- Dann ist das unmoglich, denn ich bin seit reichlich zwei Jahren nicht in San-Fernando gewesen.
- Dann tauscht Ihr Euch, Indianer; Ihr habt mich noch nie gesehen, erklarte der Spanier in schroffem Tone, und ich befahre jetzt zum erstenmale den obern Orinoco.
- Ich will Ihnen ja glauben, antwortete der Bare, und doch.«
Hiermit endete das Gesprach, und wenn Jacques Helloch auch dessen Schlu?worte horte, machte er sich doch keinerlei Gedanken daruber. Warum sollte Jorres denn zu verleugnen haben, da? er schon einmal nach Carida gekommen sei, wenn das wirklich der Fall gewesen war?
Valdez konnte den Mann obendrein nur loben, der vor keiner Arbeit, so anstrengend sie auch sein mochte, zuruckschreckte und uberall ebensoviel Kraft wie Behendigkeit entwickelte. Hochstens konnte man beobachten - ohne ihm daraus einen
Vorwurf zu machen - da? er sich von den Andern etwas abgesondert hielt, wenig sprach und dafur mehr auf Alles lauschte, was zwischen den Passagieren oder den Mannschaften gesprochen wurde.
In Folge jenes Austausches von Worten zwischen dem Bare und Jorres kam Jacques Helloch inde? auf den Gedanken, letzteren zu fragen, aus welchem Grunde er gerade nach Santa-Juana zu gehen beabsichtigte.
Jean, der sich ja lebhaft fur Alles interessierte, was diese Mission anging, erwartete gespannt die Antwort des Spaniers.
Dieser sagte da sehr einfach und ohne eine Spur von Verlegenheit zu verrathen:
»Ich war von Kindheit an fur die Kirche bestimmt und bin auch Novize im Kloster der Mercedes in Cadix gewesen. Da packte mich jedoch das Reisefieber; ich habe mehrere Jahre auf Schiffen des Staates gedient. Mit der Zeit wurde ich dessen aber uberdrussig, mein erster Beruf erschien mir wieder verlockender und deshalb gedachte ich, in eine Mission einzutreten. Vor sechs Monaten befand ich mich in Caracas noch auf einem Handelsschiffe, als ich von der vor mehreren Jahren vom Pater Esperante gegrundeten Mission Santa-Juana reden horte. Da kam mir der Gedanke, in diese einzutreten, denn ich zweifelte keinen Augenblick, in dieser bluhenden Anstalt Aufnahme zu finden. So verlie? ich denn Caracas und vermiethete mich als Ruderer, bald auf der einen, bald auf der andern Falca, bis ich in dieser Weise nach San-Fernando gelangte. Hier wartete ich auf eine Gelegenheit, den obern Orinoco hinauf zu fahren, und meine Hilfsmittel, das hei?t, was ich wahrend der Reise gespart hatte, waren nahezu erschopft, als Ihre Piroguen dort am Orte vor Anker gingen. Schnell hatte sich in San-Fernando die Nachricht verbreitet, da? der Sohn des Oberst von Kermor, in der Hoffnung, seinen Vater wiederzufinden, im Begriff stehe, nach Santa-Juana aufzubrechen. Da ich nun auch gehort hatte, da? der Schiffer Valdez einige Leute zur Vervollstandigung seiner Mannschaft sachte, bot ich mich ihm an, und so bin ich nun auf der »Gallinetta«. Mit Sicherheit kann ich aber behaupten, da? jener Indianer mich noch niemals gesehen hat, denn ich bin zum erstenmale nach Carida gekommen.«
Jacques Helloch und Jean waren verwundert uber den wahrhaftigen Ton, mit dem der Spanier sprach; das konnte sie aber nicht uberraschen, da sie aus seiner Antwort erfuhren, da? dieser Mann in seiner Jugend eine bessere Erziehung genossen hatte. Sie erklarten sich deshalb bereit, einen Indianer an seiner Stelle zur Hilfeleistung auf der »Gallinetta« anzustellen, ihn aber auf einer der Piroguen als Passagier an Bord zu behalten.
Jorres sprach den beiden Franzosen dafur seinen Dank aus. Einmal jedoch an der Arbeit als Ruderer, die er nun bis zum Rancho von Carida versehen hatte, wollte er diese Stellung auch bis zu den Quellen des Stromes beibehalten.
»Und, fugte er hinzu, sollte ich dann nicht in das Personal der Mission eintreten konnen, so wurde ich Sie, meine Herren, bitten, mich in Ihre Dienste und bis San-Fernando wieder mit zuruckzunehmen - ja am liebsten bis nach Europa, wenn Sie einst dahin zuruckkehren.«
Der Spanier sprach mit ruhiger, doch ziemlich scharfer Stimme, obgleich er diese zu mildern bemuht schien. Der Ton pa?te aber zu seinen etwas groben Zugen, zu dem entschlossenen Gesichtsausdruck, dem gro?en Kopfe mit schwarzen Haaren, dem dunkeln Teint und zu seinem Munde, dessen schmale Lippen kaum die sehr wei?en Zahne bedeckten.
Er zeigte jedoch auch noch eine andre Eigenthumlichkeit, die bisher Allen entgangen war und die von diesem Tage an von Jacques Helloch vielfach beobachtet wurde: einen ganz seltsamen Blick namlich, den er zeitweilig auf den jungen
Mann richtete. Das legte die Frage nahe, ob er vielleicht das Geheimni? Jeanne von Kermor's, von dem doch weder Valdez und Parchal, noch einer von den Leuten der Besatzung das Geringste ahnten, entdeckt haben konnte.
Dieser Gedanke machte Jacques Helloch recht unruhig und veranla?te ihn, den Spanier scharf im Auge zu behalten, obgleich weder das junge Madchen, noch der Sergeant Martial irgend welchen Verdacht geschopft hatte. Wenn der Verdacht Jacques Helloch's zur Gewi?heit werden sollte, wurde es ja Zeit sein, entschieden einzugreifen und sich von Jorres zu befreien, der in einem beliebigen Dorfe, etwa bei la Esmeralda, wenn die Piroguen daselbst landeten, ausgesetzt werden konnte. Dafur brauchte ihm auch gar kein Grund angegeben zu werden; Valdez hatte einfach seine Rechnung mit ihm zu begleichen, und jener konnte sich dann nach der Mission Santa-Juana durchschlagen, wie es ihm beliebte.
Bezuglich dieser Mission drangte es Jean jedoch, den Spanier uber das auszuforschen, was er etwa davon wissen konnte, und so fragte er ihn, ob er wohl den Pater Esperante, bei dem er sich niederlassen wollte, schon kenne.
»Jawohl, Herr von Kermor, antwortete Jorres nach leichtem Zogern.
- Haben Sie ihn gesehen?
- Gewi?, in Caracas.
- Zu welcher Zeit?
- Im Jahre 1879, wo ich mich an Bord eines Kauffahrers befand.
- War das das erste Mal, da? der Pater Esperante nach Caracas kam?
- Ja. das erste Mal. und von da zog er weiter, um die Mission Santa-Juana zu errichten.
- Was fur ein Mann ist er wohl, mischte sich hier Jacques Helloch ein, oder vielmehr, was fur ein Mann war er damals?
- Ein Mann in den funfziger Jahren, von hohem Wuchs, gro?er Korperkraft und mit schon ergrauendem Vollbart, der jetzt ganz wei? sein durfte. Man sah es ihm an, da? er ein entschlossener, energischer Charakter war, wie es im allgemeinen die Missionare sind, die ihr Leben daran wagen, die Indianer zu bekehren.
- Ein edler Beruf, sagte Jean.
- Der schonste, den ich kenne!« erwiderte der Spanier.
Das Gesprach fand mit dieser Antwort sein Ende, auch war die Zeit zum Besuche des Rancho herangekommen. Der Sergeant Martial und Jean, sowie Jacques Helloch und Germain Paterne begaben sich ans Ufer und wanderten dann durch die Mais- und Maniocselder hin nach der Wohnstatte, die der Indianer mit seiner Frau einnahm.
Diese Hutte war sorgfaltiger gebaut, als man es sonst bei den Strohhutten der Indianer der Umgegend beobachtet. Sie enthielt einige Mobel, Hangematten, Gerathe fur den Ackerbau und die Kuche, einen Tisch, mehrere als Schrank dienende Korbe und ein halbes Dutzend Schemel.
Der Bare begru?te seine Gaste, denn seine Frau war des Spanischen nicht machtig, das er ganz gelaufig sprach.
Die Frau war eine eigentlich noch halbwilde Indianerin, die offenbar tief unter ihrem Mann stand.
Letzterer, der auf sein Besitzthum etwas stolz zu sein schien, plauderte ausfuhrlich uber seinen Betrieb und seine Zukunft und druckte dabei auch sein lebhaftes Bedauern aus, da? seine Gaste den Rancho nicht in dessen ganzer Ausdehnung besichtigen konnten.
Das sollte inde? nur aufgeschoben sein, denn er erwartete, da? die Piroguen bei der Ruckfahrt hier etwas langer liegen bleiben wurden.
Maniockuchen, vorzugliche Ananasfruchte, Tafia, den der Bare aus seinem Zuckerrohr selbst bereitete, Cigaretten aus
Tabak eigner Ernte, bestehend aus zusammengerollten Tabakblattern mit einer Tabariumhullung, alles das wurde freundlichst angeboten und ebenso angenommen.
Nur Jean allein lehnte trotz des Drangens des Indianers die Cigaretten ab und kostete von dem Tafia nicht mehr, als da? er sich mit einigen Tropfen die Lippen benetzte. Das war recht klug und weise von ihm, denn der Liqueur brannte wie hollisches Feuer. Wenn Jacques Helloch und der Sergeant Martial dabei auch keine Miene