Durch die Entladungsschlage dieser lebenden »Leydener Flaschen«, die immer einen gro?en Vorrath hochgespannter Elektricitat enthalten, wurden die Rinder erst von heftigen Zuckungen befallen, dann mehr und mehr gelahmt und endlich ganz bewegungslos gemacht. Dann sanken sie auf die Seite und bewegten hochstens noch zum letzten Male die von den elektrischen Entladungen durchschutterten Beine.
Viele davon versanken binnen wenigen Secunden, wahrend andre in ihrer Verwirrung, die Zurufe der Fuhrer, von denen einige selbst von den Gymnoten getroffen worden waren, uberhorend, von der Stromung weggerissen wurden und das andre Ufer erst einige hundert Meter flu?abwarts erklimmen konnten.
Da es nicht moglich gewesen war, die noch nach dem Ufer herandrangenden hintern Reihen der Thiere, welche die andern gleichsam vor sich herschoben, anzuhalten, mu?ten sich immer weitere von den erschreckten Rindern wohl oder ubel ins Wasser sturzen. Jedenfalls hatte sich die elektrische Energie der Parayos und der Cariben aber allmahlich erschopft. So gelangte denn eine gro?e Menge der Thiere ohne gro?eren Schaden an das linke Ufer, von wo aus sie gerauschvoll nach der Savanne zu entflohen.
»Na, meinte Germain Paterne, so etwas sieht man in der Seine und Loire denn doch nicht, nicht einmal in der Garonne, und es ist wahrlich ein Schauspiel, das der Muhe des Zusehens lohnt!
- Donner und Doria, platzte der Sergeant Martial heraus, wir wurden uns vor diesen verwunschten Aalen schon zu hutenwissen!
- Gewi?, mein wackrer Sergeant, erklarte Jacques Helloch; gegebenenfalls schutzt man sich dagegen, wie gegen eine elektrische Batterie.
- Das Klugste bleibt aber doch, bemerkte Parchal, nicht da ins Wasser zu fallen, wo es von den gefahrlichen Burschen wimmelt.
- Ganz recht, Parchal, ganz recht!« stimmte Germain Paterne ihm zu.
Es ist allbekannt, da? Gymnoten in den Flussen Venezuelas sehr zahlreich vorkommen und manches Unheil anrichten; dagegen wissen die Fischer daselbst auch, da? jene ein vortreffliches Nahrungsmittel abgeben. Deshalb fangen sie die Zitterrochen und dergleichen mit Angeln, lassen sie in fruchtlosen Entladungen sich erschopfen und konnen dann ohne Gefahr damit hantieren.
Was soll man aber von Humboldt's Berichte halten, worin ausgesprochen ist, da? seiner Zeit Pferdeherden unter diese Wasserwutheriche gejagt und deren elektrischen Schlagen ausgesetzt worden waren, nur um den Fang der Fische zu erleichtern? Elisee Reclus' Ansicht geht dahin, da? selbst zur Zeit, wo noch zahllose Pferde durch die Ilanos schwarmten, diese doch noch fur zu werthvoll galten, als da? man sie in so barbarischer Weise hingeopfert hatte, und er durfte damit Recht haben. Als die Piroguen ihre Fahrt wieder aufgenommen hatten, wurde diese durch die Schwache des Windes verzogert, der im allgemeinen jeden Nachmittag abflaute. An verschiedenen engen Stellen mit verstarkter Stromung mu?te man sich deshalb mittelst der Estrillas weiterhelfen, was den Verlust einiger Stunden verursachte. Schon war die Nacht herangekommen, als die Passagiere am Fu?e des Dorfes la Esmeralda anhielten.
Zu dieser Zeit war uber dem rechten Ufer der Himmel glanzend von lodernden Flammen beleuchtet, die aus dem bewaldeten Gipfel der Pyramide des zweitausendvierhundertvierundsiebzig Meter uber das Meer emporragenden Duido hervorzungelten. Es handelte sich dabei nicht um einen Krater, der seine Gluthmassen durch vulcanische Zuckungen ausspie, sondern nur um einfache, hupfende Flammengarben, die die obern Abhange des Cerro umgaukelten, wahrend durch jene blendenden Blitze verwirrte Wasserfledermause uber den still am Ufer liegenden Falcas hin und her huschten.
Sechstes Capitel
So lange die Bares noch Bares sein werden, wird das Auftreten jener riesigen Irrlichter auf dem Gipfel des Duido in deren Lande auch als ein ubles Anzeichen, als ein Vorlaufer von Unglucksfallen betrachtet werden.
Und so lange die Mariquitarer Mariquitarer bleiben, wird bei ihnen dieselbe Naturerscheinung als Hinweis auf gluckliche Ereignisse gelten.
Diese beiden Indianerstamme deuten sich also das Verhalten ihres prophetischen Berges in grade entgegengesetzter Weise. Ob nun der eine oder der andre Recht hat, jedenfalls ist die Nachbarschaft des Duido fur das Dorf la Esmeralda nicht von Vortheil gewesen.
Kaum fande man wohl eine lieblichere Lage in den an den Orinoco grenzenden Savannen, kaum zur Viehzucht geeignetere Weidegrunde oder ein besseres Klima, dem jedes Ueberma? tropischer Luftwarme fremd ist. Und doch erscheint la Esmeralda in einem Zustande trauriger Verlassenheit und beklagenswerthen Verfalls. Von dem alten, durch spanische Ansiedler gegrundeten Dorfe ist nichts mehr ubrig, als eine kleine Kirche und funf bis sechs Strohhutten, die aber auch nur zur Zeit der Jagd und des Fischfangs bewohnt sind.
Als die »Gallinetta« und die »Moriche« hier eintrafen, fanden sie im Hafen auch nicht ein einziges Fahrzeug vor.
Wer hat denn aber die Indianer von hier vertrieben?. Die schrecklichen Muskitos sind es, die den Ort unbewohnbar machen, die Myriaden von Insecten, deren verwunschte Rasse alle Flammen des Duido nicht zu vernichten vermochten.
Die Falcas wurden von ihnen auch derma?en belastigt, die Muskitonetze erwiesen sich so unzureichend und Passagiere und Mannschaften hatten so arg von Insectenbissen zu leiden -selbst der Neffe des Sergeanten Martial, den sein Onkel diesmal nicht genugend zu schutzen im Stande war - da? Parchal und Valdez schon vor Tagesanbruch mit Hilfe der Palancas abfuhren, ohne erst die Morgenbrise abzuwarten.
Gegen sechs Uhr sprang der Morgenwind auf, und zwei Stunden spater kamen die Piroguen an der Mundung des Iguapo, eines der Zuflusse des rechten Ufers, voruber.
Jacques Helloch dachte ebensowenig daran, den Iguapo zu untersuchen, wie er den Cunucunuma oder den Cassiquiare beachtet hatte, und Germain Paterne erwahnte dieser Pflichtvergessenheit mit keinem Worte, nicht einmal in der Form einer freundschaftlichen Neckerei.
Der Sergeant Martial wurde dagegen, und Jacques Helloch nicht minder, durch eine andre Wahrnehmung beunruhigt.
So kraftig, ausdauernd und energisch Jeanne von Kermor auch war, die bisher allen Anstrengungen getrotzt hatte, war doch zu befurchten, da? sie den ubeln Einwirkungen des Klimas und des Landes hier noch ihren Tribut werde zollen mussen. In den mehr sumpfigen Gegenden herrschen endemische Fieber, denen man nur selten entgeht. Dank ihrer widerstandsfahigen Constitution hatten Jacques Helloch, Germain Paterne und der Sergeant Martial noch nichts von diesen Einflussen gespurt, und schon in Folge langer Gewohnung waren die Mannschaften dagegen gefeit. Das junge Madchen litt dagegen seit einigen Tagen an allgemeinem Unwohlsein, dessen ernste Bedeutung niemand verkennen konnte.
Germain Paterne durchschaute bald, da? Jeanne von Kermor von einem Sumpffieber bedroht war. Ihre Krafte nahmen ab, ihr Appetit schwand ganzlich, und von diesem Tage ab war sie durch unuberwindliche Schlaffheit genothigt, sich stundenlang unter dem Deckhause niederzulegen. Sie zwang sich jedoch nach Moglichkeit, dem zu widerstehen, weil sie der Gedanke bedruckte, ihren Reisegenossen noch weitere Unruhe zu machen.
Noch blieb ja die Hoffnung, da? dieses Unwohlsein ein vorubergehendes sein werde; vielleicht irrte sich Germain Paterne uberhaupt in seiner Diagnose, und au?erdem mu?te ja, bei Jeannes geistiger und korperlicher Zahigkeit, die Natur ihr bester Arzt sein, der noch durch das wirksamste Hilfsmittel -durch ihre Jugend - unterstutzt wurde.
Immerhin setzten die Passagiere die Fahrt auf dem obern Theile des Stromes nur mit zunehmender Aengstlichkeit fort.
An diesem Tage legten die Piroguen fur die Nacht nahe der Mundung des Gabirima, eines linksufrigen Nebenflusses, an. Von den Bares-Indianern, die Chaffanjon erwahnt, fand man hier keine Spur. Das war nicht zu bedauern, da die zwei Hutten von Gabirima, zur Zeit als der franzosische Reisende hier weilte, nur einer Familie von Raubern und Mordern Obdach gewahrten. Ein Mitglied derselben war der vormalige Capitan von la Esmeralda gewesen. Ob jene nun Verbrecher geblieben oder ehrbare Leute geworden waren, das lie? sich nicht entscheiden, jedenfalls aber waren sie von hier fortgezogen, so da? irgendwelche Auskunft uber die Bande des Alfaniz nicht zu erlangen war.