Mit Fleisch von Hirschen, Bisam- und Wasserschweinen, die die Jager noch am Abend erlegt hatten, frisch versehen, stie?en die Falcas schon am nachsten Tage vom Ufer wieder ab. Die Witterung war recht schlecht. Wiederholt sturzten gewaltige Regengusse herab. Jeanne von Kermor litt nicht wenig von dieser Unbill der Witterung. Ihr Zustand besserte sich nicht. Das Fieber blieb bestehen und wurde sogar trotz aller angewendeten Mittel langsam schlimmer.

Die vielen Windungen des Stromes, der von Rissen durchsetzt und in der Breite auf zweihundert Meter eingeengt war, gestatteten es an diesem Tage nicht, uber die Insel Yano, die letzte, der die Piroguen flu?aufwarts begegnen sollten, hinauszukommen.

Am nachsten Tage, am 21. October, bot ein Raudal, das zwischen hohen, nahe bei einander liegenden Ufern herabbrauste, noch einige Schwierigkeiten und gegen Abend ankerten die »Moriche« und die »Gallinetta«, die tagsuber bessern Wind gehabt hatten, vor dem Rio Padamo.

Das Fieber, das an dem jungen Madchen nagte, war noch immer nicht gewichen. Jeanne fuhlte sich mehr und mehr abgeschlagen, und ihre Schwache gestattete ihr nicht einmal mehr, das Deckhaus zu verlassen.

Hierdurch geangstigt, machte sich der alte Soldat die schlimmsten Vorwurfe, dieser Reise zugestimmt zu haben. Alles das war seine Schuld!. Was war aber zu thun?... Wie lie?en sich die Fieberanfalle bannen und ihre Wiederkehr verhuten? Selbst angenommen, da? die Reiseapotheke der »Moriche« ein wirksames Mittel enthielt, war es unter den jetzigen Umstanden nicht rathsamer, umzukehren?. Binnen wenigen Tagen mu?ten die Piroguen mit Hilfe der Stromung ja San-Fernando wieder erreichen konnen.

Jeanne von Kermor hatte den Sergeanten Martial und Jacques Helloch uber diese Frage reden horen, und sagte darauf traurig und mit kaum vernehmbarer Stimme:

»Nein! Nein! Kehren wir nicht nach San-Fernando zuruck! Ich will bis zur Mission gehen. will gehen, bis ich meinen Vater wieder gefunden habe! Nach Santa-Juana. Santa-Juana!«

Nach dieser Anstrengung sank sie fast bewu?tlos zuruck.

Jacques Helloch wu?te nicht, wofur er sich entscheiden sollte. Gab er den Bitten des Sergeanten Martial nach, so lief er Gefahr, bei dem jungen Madchen eine verderbliche Krisis heraufzubeschworen, wenn diese bemerkte, da? die Piroguen wieder den Strom hinabschwammen. Alles in Allem schien es gerathener, die Reise fortzusetzen und wowoglich Santa-Juana zu erreichen, wo weitere Hilfe gewi? ebenso sicher zu finden war, wie in San-Fernando.

Dann wandte sich Jacques Helloch noch an Germain Paterne.

»Du vermagst also nichts zu thun? rief er mit verzweifelter Stimme. Du kennst keine Arznei, die dieses Fieber, an dem sie zu Grunde gehen mu?, zu beseitigen vermag?. Siehst Du nicht, da? das arme Kind von Tag zu Tag mehr verfallt?«

Germain Paterne wu?te nicht, was er antworten oder was er au?er dem, das er schon versucht hatte, noch thun sollte. Das schwefelsaure Chinin, wovon er reichlichen Vorrath besa?, hatte trotz Anwendung in gro?en Dosen das Fieber nicht zu unterdrucken vermocht.

Und als der Sergeant Martial und Jacques Helloch ihn mit ihren Fragen besturmten, kam er in arge Verlegenheit.

»Das schwefelsaure Chinin bleibt auf sie ohne Wirkung - das war Alles, was er zu sagen im Stande war. Vielleicht mu?te man zu gewissen Krautern oder Baumrinden greifen, die sich hier in der Gegend finden mussen. Doch wer soll sie uns zeigen und wie konnten wir sie herbeischaffen?«

Valdez und Parchal, die hieruber gefragt wurden, bestatigten die Aussagen Germain Paterne's. In San- Fernando benutzte man allgemein gewisse fieberwidrige Erzeugnisse des Landes. wirklich specifische Mittel gegen die von sumpfigen Ausdunstungen hervorgerufenen Fieber, von denen Fremde und Einheimische in der trocknen Jahreszeit so viel zu leiden haben.

»Am meisten, versicherte Valdez, bedient man sich der Rinde der Cinchora und vor Allem der des Coloradito.

- Wurden Sie diese Pflanzen erkennen?

- Nein, antwortete Valdez. Wir sind nur Schiffsleute und immer auf dem Strome. Da mu?te man sich schon an die Ilaneros wenden, von denen an den Ufern leider keiner zu sehen ist.«

Germain Paterne war es recht wohl bekannt, da? die Wirkung des Coloradito bei Sumpffiebern fast souveran ist, und es unterlag keinem Zweifel, da? auch hier das Fieber weichen wurde, wenn die Kranke mehrere Abkochungen dieser Rinde nehmen konnte. Leider war auch er, ein Botaniker, nicht im Stande, die Pflanze auf den Ufersavannen zu suchen.

Auf die bestimmte Willensau?erung Jeanne von Kermor's hin hatten ihre Gefahrten inde? beschlossen, die Reise ohne Verzug fortzusetzen.

Das werthvolle Heilmittel konnte man sich in Santa-Juana jedenfalls verschaffen. Doch wie viel Zeit wurden die beiden Piroguen brauchen, die zweihundert Kilometer, die es noch bis zur Mission war, zuruckzulegen?

Am folgenden Tage wurde die Fahrt also mit dem Morgengrauen fortgesetzt. Heute drohte es mit Gewittern und man horte zuweilen auch fernen Donner. Dabei herrschte aber ein gunstiger Wind, den sich Valdez und Parchal nicht entgehen lassen wollten. Die braven Manner nahmen an dem Schmerze ihrer Passagiere aufrichtigen Antheil. Sie liebten ja den jungen Mann und waren untrostlich, ihn von Tag zu Tag schwacher werden zu sehen. Der Einzige, der sich ganz gleichgiltig erwies, war der Spanier Jorres. Er schien gar nicht darauf zu achten, was an Bord vorging.

Seine Blicke schweiften nur uber die Ilanos auf der rechten Seite des Ufers. In der Befurchtung, Verdacht zu erwecken, hielt er sich dann meist ganz vorn auf der »Gallinetta« auf, wahrend seine Kameraden sich um den Mast herum ausgestreckt hatten. Ein- oder zweimal machte Valdez daruber eine Bemerkung, und ohne Zweifel hatte auch Jacques Helloch das Benehmen des Spaniers verdachtig gefunden, wenn er Mu?e gefunden hatte, diesen zu beobachten. Seine Gedanken waren aber ganz wo anders, und wahrend die Falcas Seite an Seite dahinglitten, verweilte er lange Stunden auf dem Fahrzeuge am Eingang des Deckhauses und behielt das junge Madchen im Auge, das zu lacheln sachte, um ihm fur seine Aufmerksamkeit zu danken.

Und heute sagte sie zu ihm:

»Herr Jacques, ich mochte Sie wohl um ein Versprechen bitten.

- Sprechen Sie. sprechen Sie, Fraulein Jeanne. Ich werde das Versprechen halten, welches es auch sei.

- Herr Helloch. vielleicht werd' ich doch nicht stark genug sein, unsre Nachsuchungen fortzusetzen. Vielleicht mu? ich, in der Mission angelangt, in Santa-Juana langere Zeit zuruckbleiben. Wurden Sie nun, wenn wir erfahren, was aus meinem Vater geworden ist. ja. wurden Sie.

- Versuchen, ihn aufzufinden? - Gewi?, Jeanne. meine liebe Jeanne. Ja, ich werde hinausziehen, werde den Spuren des Oberst von Kermor folgen, ihn sicherlich finden und ihn seiner Tochter zufuhren.

- Ich danke Ihnen, Herr Helloch, danke Ihnen im voraus von ganzem Herzen!« antwortete die Kranke, deren Kopf, den sie fur einen Augenblick erhoben hatte, auf das Lager zurucksank.

Durch eine Mundungsstelle, die weit breiter als der Flu? selbst ist, ergie?t der tiefe Padamo eine gro?e Masse klaren Wassers in den Orinoco. Es ist einer der Nebenflusse, der nicht ohne Grund mit dem Guaviare und dem Atabapo in Wettbewerb treten konnte.

Weiter aufwarts herrschte eine ziemlich schnelle Stromung zwischen steil abfallenden Ufern, uber denen der Saum dichter Waldmassen sichtbar war. Die Piroguen fuhren manchmal unter Segel, manchmal wurden sie durch Pagaien fortbewegt. Vom Ocamo an nach aufwarts schrumpfte die Strombreite nun auf funfzig Meter zusammen.

Der Tag verlief fur die Kranke recht schlecht. In Folge eines sehr starken Fieberanfalls nahm ihre Schwache noch weiter zu. Jetzt nahte offenbar der todliche Ausgang, wenn es Germain Paterne nicht gelang, das einzige Arzneimittel zu beschaffen, das hier noch eine Wirkung versprach.

Wie konnten wir die schmerzliche Unruhe schildern, die unter den Passagieren der Piroguen herrschte! Des Sergeanten Martial hatte sich eine solche Verzweiflung bemachtigt, da? man fur seinen Verstand furchten konnte. Die Leute von der »Gallinetta« wichen gar nicht mehr von seiner Seite, weil sie besorgten, da? er sich in einem plotzlichen Anfalle geistiger Gestortheit in den Flu? sturzen konnte.

Jacques Helloch blieb bei Jeanne, milderte den brennenden Durst, der sie verzehrte, mit etwas frischem Wasser und lauschte, beangstigt durch ihr leises Seufzen, auf jeden Laut von ihren Lippen. Sollte er wirklich die nicht retten konnen, der er so innig in reinster Liebe zugethan war und fur die er sein Leben gern hundertmal in die Schanze geschlagen hatte?.

Вы читаете Der stolze Orinoco
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату