Da kam ihm auch der Gedanke, da? er dem Wunsche des jungen Madchens hatte widerstehen und Anordnungen zur Ruckkehr nach San-Fernando geben sollen. Es erschien ja fast widersinnig, unter den vorliegenden Verhaltnissen bis zu den Quellen des Orinoco hinaufgehen zu wollen, und mit Erreichung derselben war man ja noch nicht einmal in Santa-Juana. Setzte kein Rio die Mission mit dem Flusse in Verbindung, so mu?te man noch einen Weg uber Land einschlagen und bei druckender Hitze durch unbegrenzte Walder wandern.
Als Jeanne von Kermor aber aus ihrer Betaubung erwachte, als das Fieber sie nur einigerma?en verlassen hatte, da fragte sie auch schon mit unruhiger Stimme:
»Herr Jacques, wir fahren doch immer noch auf dem richtigen Wege weiter?
- Ja, Jeanne, ja! antwortete er.
- Ich denke ohne Unterla? an meinen armen Vater!. Ich habe auch getraumt, da? wir ihn gefunden hatten. da? er bei seiner Tochter ware. und er dankte Ihnen, dankte fur Alles, was Sie fur mich. und fur ihn. gethan hatten.«
Jacques Helloch wandte den Kopf ab, um seine Thranen zu verbergen. Ja, er weinte, dieser thatkraftige Mann weinte, weil er sich ohnmachtig fuhlte gegenuber diesem sich immer verschlimmernden Leiden. gegenuber dem Tode dessen kalte Hand sich schon nach dem jungen Madchen ausstreckte.
Am Abend hielten die Piroguen bei Port Mapaya an, von wo sie fruh am nachsten Morgen wieder abfuhren und sich bald der Segel, bald der Pagaien bedienten. Da das Wasser sehr niedrig war, liefen die Falcas wiederholt Gefahr, auf dem sandigen Grunde des Flusses aufzufahren.
Im Laufe dieses recht anstrengenden Tages kamen die beiden Piroguen an der Stelle voruber, wo die Cerros Moras das sonst flache rechte Ufer mit ihren letzten Auslaufern unterbrechen.
Am Nachmittag drohte ein neuer, ungemein heftiger Anfall das Leben der Kranken zu beendigen. Man glaubte ihr letztes Stundlein sei gekommen, der Sergeant Martial geberdete sich so verzweifelt, da? Germain Paterne, um Jeanne dessen Weinen und Schluchzen nicht horen zu lassen, ihn nach der »Moriche« hinuberbringen lie?, die kaum funfzig Schritte weit hinter der ersten Pirogue folgte. Das schwefelsaure Chinin erwies sich vollig unwirksam.
»Germain. Germain, sagte da Jacques Helloch, der seinen Genossen nach dem Vordertheile der »Gallinetta« gefuhrt hatte, Jeanne wird sterben mussen.
- Gieb noch nicht alle Hoffnung auf, Jacques!
- Ich sage Dir, sie wird sterben. und selbst, wenn dieser Anfall sie nicht todtet. einen zweiten solchen halt sie nicht mehr aus!«
Das war nur zu gewi?, und Germain Paterne lie? den Kopf sinken.
»Und nichts dagegen thun zu konnen, seufzte er, nichts!«
Gegen drei Uhr am Nachmittage fiel ein gewaltiger Regen herab, der die erstickende, fast unausgesetzt gewitterdrohende Luft etwas abkuhlte. Das war recht erwunscht, denn dem Flusse kam das reichliche, aus den bleigrauen Wolken stromende Wasser recht sehr zu gute. Die hier so zahlreichen Zuflusse erhohten den Wasserstand und begunstigten ja damit die Weiterfahrt der Piroguen.
Um vier Uhr kam hinter einer vorspringenden Waldmasse an der linken Seite der ziemlich hohe Cerro Yaname in Sicht, und oberhalb des scharfen Bogens, den der Orinoco hier beschreibt, offnete sich die schmale Mundung des Rio Mavaca.
Da der Wind sich ganzlich gelegt hatte, unterbrachen Valdez und Parchal die Fahrt am Fu?e eines Sitio, der nur aus wenigen, von funf bis sechs Mariquitarer-Familien bewohnten Strohhutten bestand.
Der Erste, der ans Land eilte, war Jacques Helloch, der noch nach der »Moriche« ein: »Kommen Sie mit, Parchal!« gerufen hatte.
Wohin wollte er?
Den Capitan des Sitio aufsuchen.
Und welches Anliegen hatte er an diesen?
Er wollte ihn anflehen, die Sterbende dem Tode zu entrei?en.
Der Capitan bewohnte eine ziemlich ansehnliche Hutte, wie es die der Mariquitarer im allgemeinen sind. Es war ein geweckter, recht freundlicher Indianer von etwa vierzig Jahren, der die beiden Fremden sehr zuvorkommend empfing.
Auf Ersuchen Jacques Helloch's fragte ihn Parchal sofort nach dem Coloradito.
Wahrscheinlich kannte der Capitan ja diese Pflanze, und jedenfalls kam sie in der Gegend hier vor.
»Ja, gewi?, erwiderte der Indianer, wir machen von ihr bei Fiebern gar oft Gebrauch.
- Und sie heilt diese Leiden?
- Immer!«
Vorstehende Worte wurden in der Indianersprache gewechselt, die Jacques Helloch nicht verstand; als Parchal ihm aber die Worte des Capitans ubersetzte, rief er drangend:
»Der Indianer soll uns etwas von dieser Rinde schaffen. Ich bezahle Alles, was er dafur verlangt. gebe Alles, was ich besitze.«
Der Capitan entnahm einem der Korbe in seiner Hutte einige holzartige Stuckchen, die er Parchal einhandigte.
Im nachsten Augenblick waren Jacques Helloch und Parchal schon zuruck an Bord der »Gallinetta«.
»Germain! Germain! Der Coloradito! Der Coloradito!«
Das war Alles, was Jacques Helloch hervorzubringen vermochte.
»Gut, Jacques, ein neuer Fieberanfall ist noch nicht wieder eingetreten, antwortete Germain Paterne. Jetzt ist die richtige Zeit. Wir werden sie retten, lieber Freund. ja, ja, wir retten sie noch!«
Wahrend nun Germain Paterne die Abkochung zubereitete, sachte Jacques Helloch die Kranke zu beruhigen. Noch niemals hatte das Sumpffieber dem Coloradito widerstanden. darin konnte man dem Capitan von Mavaca trauen.
Die arme Leidende mit ihren gro?en Augen und wachsbleichen Wangen hatte nach dem Anfall, bei dem ihre Korperwarme bis auf einundvierzig Grad gestiegen war, doch noch die Kraft, ein wenig zu lacheln.
»Ich fuhle mich schon besser, stammelte sie, und ich habe doch noch gar nichts genommen.
- Jeanne, meine liebste Jeanne,« murmelte Jacques Helloch, wahrend er neben ihr niederkniete.
Germain Paterne genugten wenige Minuten, um aus der Rinde des Coloradito einen Auszug zu bereiten, und Jacques Helloch naherte die Tasse den Lippen des jungen Madchens.
Als diese den Inhalt getrunken hatte, sagte sie nur: »Danke, danke!« dann fielen ihr die Augen zu.
Jetzt mu?te man sie allein lassen. Germain Paterne zog auch Jacques Helloch, der nicht von ihrer Seite gehen wollte, mit sich fort. Beide nahmen dann schweigend auf dem Vordertheil der Pirogue Platz.
Die Mannschaften waren schon veranla?t worden, ans Land zu gehen, um an Bord jedes Gerausch zu vermeiden. Wenn die Kranke einschlummerte, war es hochst wichtig, ihren Schlaf durch nichts zu storen.
Der Sergeant Martial war uber Alles benachrichtigt worden; er wu?te, da? das fieberwidrige Mittel erlangt und da? es Jeanne schon eingegeben worden war. Jetzt verlie? er die »Moriche«, sprang eiligst ans Ufer und lief nach der »Gallinetta« zu.
Germain Paterne bedeutete ihm zuruckzubleiben. Der arme Mann gehorchte, und mit Thranen in den Augen lehnte er sich gegen ein Felsstuck.
Nach der Ansicht Germain Paterne's mu?te, wenn ein neuer Anfall ausblieb, die Aufsaugung des Coloradito ihre Wirkung gethan haben. Binnen zwei Stunden wurde das entschieden sein. Binnen zwei Stunden mu?te man wissen, ob die
Hoffnung, ja sogar die gewisse Aussicht vorlag, das junge Madchen zu retten.
Mit welch unsaglicher Angst warteten jetzt Alle auf die Entscheidung! Jeder lauschte gespannt, ob ein Seufzer den Lippen der Kranken entschlupfte. ob sie riefe. doch kein Wort von ihr wurde horbar.
Jacques Helloch naherte sich dem Deckhause.
Jeanne schlummerte, schlummerte ganz ruhig, ohne jedes Zeichen von Athemnoth.
»Sie ist gerettet. gerettet! hauchte er Germain Paterne ins Ohr.
- Ich hoffe es. ich glaub es! O, der Coloradito ist ein vortreffliches Mittel. leider sind nur die Apotheken am obern Orinoco gar so selten!«
Als Jeanne dann am Nachmittage einmal erwachte, konnte sie, die Hand ausstreckend, mit vollem Recht zu Jacques Helloch sagen:
»Ich fuhle mich jetzt besser. ja, weit besser!«