Und zu dem Sergeanten Martial, der nun Erlaubni? erhalten hatte, an Bord der »Gallinetta« zuruckzukehren, sagte sie:
»Es geht gut, lieber Onkel!« und dabei wischte sie dem alten Soldaten die Thranen aus den Augen.
Die ganze Nacht hielt man an ihrem Lager Wache, und wiederholt wurde ihr die heilsame Abkochung eingeflo?t. Im ubrigen schlief sie friedlich, und bei ihrem Erwachen am nachsten Morgen konnte es niemand mehr zweifelhaft sein, da? sie der Genesung entgegenging. Wie jubelten da die Passagiere und wie aufrichtig theilten die Mannschaften ihre Freude!
Selbstverstandlich nothigte man den Capitan von Mavaca, trotz seiner lobenswerthen Weigerung, zu Gunsten seiner Familie aus der Ladung der »Moriche« zu wahlen, was ihm begehrenswerth erschien. Der wackre Mann zeigte sich hochst bescheiden. Einige Messer, eine kleine Axt, ein Stuck Stoff, einige kleine Spiegel und Glasgegenstande nebst einem halben Dutzend Cigarren. das nahm er als Entschadigung fur seinen Coloradito an.
Erst ganz kurz vor der Abfahrt fiel es auf, da? Jorres nicht an Bord der Pirogue und wahrscheinlich vom Abend vorher bis heute Morgen abwesend gewesen war.
Als er sich schlie?lich einstellte und Jacques Helloch ihn deswegen fragte, gab er zur Anwort, da? er, da die Mannschaft Befehl erhalten hatte, ans Land zu gehen, gleich drau?en im Wald geschlafen habe, und man mu?te sich wohl mit dieser uncontrolierbaren Antwort, die ja nicht erfunden zu sein brauchte, begnugen.
In den folgenden vier Tagen kamen die Falcas nur muhsam den Orinoco weiter hinauf, so da? in vierundzwanzig Stunden kaum zehn Kilometer zuruckgelegt wurden. Doch immerhin! Jeannes Genesung ging ja schnell vor sich, und Dank der guten Nahrung, die Germain Paterne fur sie mit besondrer Sorgfalt auswahlte, nahmen ihre Krafte zusehends zu. Jacques Helloch wich gar nicht mehr von ihrer Seite, und der Sergeant Martial hatte das schlie?lich ganz naturlich gefunden.
»Das sollte nun einmal so kommen! wiederholte er sich immer, doch, alle Bomben und Granaten, was wird mein Oberst dazu sagen?«
Am nachsten Tage schon konnte die Reconvalescentin das Deckhaus zwischen zwolf und zwei Uhr einmal verlassen. In eine leichte Decke eingehullt und auf weichem Lager aus trockenen Grasern auf dem Hintertheile der Pirogue ausgestreckt, athmete sie begierig die reine und starkende Luft der Savannen ein.
Die Breite des Flusses uberstieg jetzt keine drei?ig Meter. Sehr haufig mu?ten nun die Falcas mittelst der Garapatos oder der Estrilla weiter getrieben werden. Man traf auch noch auf einige kleine, aber beschwerliche Raudals, und das Wasser war bisweilen so seicht, da? man sich fast veranla?t sah, die Piroguen zu entladen.
Zum Gluck konnte man sich diese langwierige Arbeit ersparen. Dadurch, da? die Mannschaften ins Wasser stiegen, wurden die Fahrzeuge so weit entlastet, da? sie auch uber die schlimmsten Stellen hinwegkamen. So war es mit dem Raudal von Manaviche und dem von Yamaraquin am Fu?e des Cerro Bocon, der den Flu? um achthundert Meter uberragt.
Jeden Abend gingen Jacques Helloch und der Sergeant Martial in die wildreichen Uferwalder jagen und kehrten nie zuruck, ohne eine Anzahl Hoccos oder Pavas mitzubringen. In den sudlichen Provinzen Venezuelas spielt die Frage der Ernahrung uberhaupt keine Rolle, wenigstens nicht fur den Liebhaber des hier ganz vortrefflichen Wildes - ohne von den Fischen zu reden, die uberall in Unmasse vorkommen.
Jeannes Gesundheit war jetzt wieder vollig hergestellt. Sie hatte seit der Anwendung des Coloradito nicht den geringsten Fieberanfall mehr gehabt. Ein Ruckfall der Krankheit war auch nicht zu befurchten, wenn man nur die von ihrer Jugend unterstutzte Natur walten lie?. Im Laufe des 25. tauchte eine geradlinige Bergkette auf, die man auf den Karten unter dem Namen der Cerros Guanayos findet.
Am 26. uberwanden die Piroguen nicht ohne gro?e Schwierigkeiten und ermudende Anstrengungen das Raudal von Marques.
Wiederholt drangte sich Jacques Helloch, Valdez und Parchal die Wahrnehmung auf, da? das rechte Ufer doch nicht so verlassen war, wie es anfanglich erschien. Gelegentlich glaubte man menschliche Gestalten wahrzunehmen, die zwischen den Baumen und hinter dem Buschwerk hinhuschten. Waren das Guaharibos, so konnte man sich daruber beruhigen, denn diese Stamme sind so gut wie ganz harmlos.
Jetzt war es nicht mehr so wie zur Zeit, als Chaffanjon den Orinoco befuhr und seine Leute taglich einen Ueberfall durch Eingeborne befurchten mu?ten. Die Mannschaften legten jenen Wahrnehmungen auch keinerlei Bedeutung bei.
Es bleibe aber nicht unerwahnt, da? Jacques Helloch und der Sergeant Martial immer vergeblich versuchten, an die fluchtigen Gestalten, die sie am Saume des Waldes zu sehen glaubten, heranzukommen. Jede Verfolgung derselben erwies sich als fruchtlos.
Wenn das aber keine Guaharibos, sondern Quivas - und vorzuglich solche von der Bande jenes Alfaniz - waren, bildete ihr Vorkommen hier gewi? eine ernste Gefahr. Parchal und Valdez behielten darum auch das Ufer stets scharf im Auge und erlaubten keinem ihrer Leute mehr, ans Land zu gehen.
Die Art und Weise, wie sich Jorres dabei verhielt, erweckte keinerlei Verdacht, ja er bekundete sogar niemals den Wunsch, sein Fahrzeug zu verlassen. Uebrigens hatten die Piroguen nur noch sieben bis acht Tagereisen vor sich und mu?ten dann wegen Wassermangels im Flu?bett so wie so still liegen bleiben. Der Orinoco war dann auf ein dunnes Wasserfadchen reduciert, das sich aus der Parimakette hervorschlangelt und aus dem erst dreihundert Zuflusse die gro?e Verkehrsader Sudamerikas machen.
Dann wurde es nothig, die Falcas zu verlassen und bis Santa-Juana eine Strecke von etwa funfzig Kilometern durch die dichten Walder des rechten Ufers zu Fu? zuruckzulegen. Da lag ja das vorlaufige Ziel, und diese Aussicht mu?te Jedem die Beschwerden eines solchen beschwerlichen Marsches erleichtern. Der 27. October und der folgende Tag konnten zu den schlimmsten Reisetagen seit der Abfahrt von Caicara gezahlt werden. Es bedurfte der gro?ten Hingebung der Mannschaften und aller Geschicklichkeit der Schiffer, um das Raudal der Guaharibos zu uberwinden, die Stelle, die 1760
Diaz de la Fuente, der erste Erforscher des Orinoco, erreichte. Das veranla?te Germain Paterne zu der gerechtfertigten Bemerkung:
»Wenn die Indianer dieses Namens nicht zu furchten sind, so kann man das jedenfalls nicht von den Stromschnellen sagen, die nach ihnen benannt sind.
- Ja, es ware ein Wunder, wenn wir ohne Beschadigungen daruber hinwegkamen, antwortete Valdez.
- Da der Himmel schon ein solches gethan hat, indem er die Rettung unsers lieben Jean gelingen lie?, wird er auch noch ein zweites fur die Pirogue thun, die ihn tragt. Ein Wunder ist ja leicht gethan, wenn man der allmachtige Gott, der Schopfer des Himmels und der Erde ist.
- Amen!« murmelte der Sergeant Martial in feierlichstem Ernste.
Und wahrlich, es war wunderbar, hier nur mit einigen leichten Havarien wegzukommen, mit ein paar Rissen und Schrammen, die gleich unterwegs geheilt werden konnten.
Man stelle sich eine Treppe von hintereinander liegenden Wasserbecken vor, die auf einer Strecke von zwolf Kilometern einander folgen. Diese Anordnung erinnerte lebhaft an die machtigen Schleusenanlagen des Gotacanals in Schweden. Der Canal von Stockholm nach Gothenburg ist jedoch mit Kammern und mit sich offnenden und schlie?enden Wasserthoren versehen, die den Schiffsverkehr darauf erleichtern. Hier gab es dagegen weder Kammern noch Schleusenthore, man mu?te sich vielmehr uber die Treppenabsatze, die kaum einen Zoll Wasser unter den Bodenplanken der Falcas ubrig lie?en, muhsam emporarbeiten. Alle Ruderer mu?ten also dabei mithelfen und die Fahrzeuge mit der an Baumen oder Felsblocken befestigten Espilla vorwarts schleppen. Ware die trockne Jahreszeit schon weiter vorgeschritten gewesen, so hatte dieses Raudal die Piroguen gewi? endgiltig aufgehalten.
Das ist so sicher, da? z. B. Chaffanjon an dieser Stelle sein Fahrzeug verlassen und seine Weiterreise, die ihn bis zu den Orinocoquellen fuhren sollte, in einem Curiare ausfuhren mu?te.
Fruh am Morgen brach man wieder auf. Die Breite des Flusses wechselte nur noch zwischen funfzehn und zwanzig Metern. Die Falcas uberschifften auch noch andre Stromschnellen am Fu?e der Sierra Guahariba - unter andern das Raudal der Franzosen - und mehr als einmal rissen die kaum noch schwimmenden, sondern mehr mit den Armen fortgeschobenen Fahrzeuge tiefe Furchen in das sandige Flu?bett. Am Abend endlich legten Parchal und Valdez die Falcas am Abhange des linken Ufers fest.
Ihnen gegenuber, auf dem andern Ufer, ragte die dunkle Masse eines hohen Pics empor. Das konnte kein andrer als der Pic Maunoir sein - so getauft von dem franzosischen Reisenden zu Ehren des Generalsecretars der Geographischen Gesellschaft von Paris.
Vielleicht wurde, in Folge der Uebermudung, diese Nacht nicht so scharf Wache gehalten.