Nach dem Abendessen hatte wenigstens keiner einen andern Gedanken als den, die Ruhe zu suchen, die jeder so nothig brauchte. Passagiere und Mannschaften versanken denn auch bald in tiefen Schlummer.
Im Laufe der Nacht erfolgte kein Angriff - kein Ueberfall, weder durch die Bravos-Indianer, noch durch die Alfaniz'schen Quivas.
Beim Erwachen am fruhen Morgen stie?en die beiden Schiffer einen Schrei des Unmuths aus.
Das Wasser war seit gestern um funfzig Centimeter gefallen, und die Piroguen sa?en fest. Kaum einzelne gelbliche Wasserfaden rannen noch im Bett des Orinoco hin.
Die Schifffahrt war damit also fur die ganze Dauer der trocknen Jahreszeit unterbrochen.
Als die Mannschaften dann nach dem Vordertheile der Piroguen zusammengerufen wurden, zeigte es sich, da? einer der Leute beim Appell fehlte.
Jorres war wieder verschwunden, und diesmal sollte er auch nicht zuruckkehren.
Siebentes Capitel
Der Pic Maunoir uberragt die Savanne um volle funfzehnhundert Meter. Die Bergkette, die sich an die gewaltige Masse anschlie?t und deren unerschutterliches Bollwerk er zu bilden scheint, verzweigt sich uber Sehweite hinaus nach Sudosten.
Etwa vierundzwanzig Kilometer davon erhebt sich der Ferdinand von Lesseps-Pic - so hat ihn wenigstens Chaffanjon auf seiner Karte bezeichnet.
Hier beginnt die bergige Gegend, wo das orographische System Venezuelas die gro?ten Erhebungen zeigt. Hier wolben sich breite, gewaltige Rucken und kreuzen sich diese verbindende Kamme in allen Richtungen. Der Anblick, den die Gebirge bieten, wirkt uberraschend gro?artig. Hier steigt die Sierra Parima, die Nahrmutter des Orinoco, auf, dort von Wolken umhullt, der »Rothe Berg«, von dem zahllose, bei den Indianern in besonderem Rufe stehende Bache herabrieseln -jener Roraima, ein riesiger Meilenstein im Mittelpunkt der Grenzen der drei Staaten.
Wenn es moglich gewesen ware, waren Jacques Helloch und seine Gefahrten auf dem Strom bis zur Sierra Parima, aus der dessen erste Quellen hervorsprudeln, hinausgefahren. Darauf mu?ten sie jetzt leider verzichten, wenn es auch zur Noth moglich gewesen ware, die Reise mittelst der Curiares ihrer Piroguen noch fortzusetzen. Diese Boote hatten aber nur ein bis zwei Personen aufnehmen konnen. Wie ware es aber moglich gewesen, ohne Mithilfe der Mannschaften weiter zu kommen, und was ware aus dem gesammten Gepack dabei geworden? Am Morgen dieses Tages traten Jacques Helloch, Germain Paterne, Jean, dessen Krafte zusehends zunahmen, und der Sergeant Martial, denen sich die Schiffer Valdez und Parchal angeschlossen hatten, zu einer Berathung - einem von den Indianern Nordamerikas sogenannten Palaver - zusammen.
Ob Palaver oder Berathung - jedenfalls sollten dabei wichtige Beschlusse gefa?t werden, von denen die Fortsetzung und vielleicht auch der ganze Erfolg der Reise abhingen.
Die genannten sechs Personen hatten am Saume des Waldes an einer Stelle Platz genommen, die den Namen des »Lagers am Pic Maunoir« erhielt, obgleich der Pic auf dem jenseitigen Ufer lag. Darunter dehnte sich das mit Sand und Steinen bedeckte Flu?bett aus, in dem die Falcas an der Mundung eines Rio, des Rio Torrida, auf dem Trocknen sa?en.
Das Wetter war schon, der Wind frisch und regelma?ig. Zur Linken, auf dem entgegengesetzten Ufer, erglanzte der von den Sonnenstrahlen gebadete Gipfel des Pics und auf seiner bewaldeten ostlichen Seite leuchtete eine breite, helle Flache.
Die Mannschaften waren beschaftigt, auf dem Vordertheil der Pirogue, das von leichtem, nach Suden wegziehendem Rauche halb verhullt war, die erste Mahlzeit herzurichten.
Uebrigens zeigte sich jetzt kein Indianer, ebenso wenig auf dem Flusse oder an dessen Ufer, noch unter den ersten Baumen des Waldes. Von bewohnten oder verlassenen Strohhutten war keine Spur zu sehen, obwohl sonst zu dieser Zeit die Ufer hier mehrfach von den Eingebornen aufgesucht wurden. Die in diesen Landestheilen zerstreuten Indianer nehmen aber nirgends feste Wohnsitze ein. Selbstverstandlich dringen Handler von San- Fernando niemals soweit den Flu? hinauf, da sie zu leicht von Wassermangel uberrascht wurden. Mit welchem Flecken, welchem Rancho sollten sie auch hier in
Geschaftsverbindung treten? Jenseits von dem jetzt auch verodeten la Esmeralda trifft man Wohnstatten nicht einmal in genugender Anzahl beisammen, um ein Dorf zu bilden, und im Ganzen ist es selten, da? Piroguen uber die Mundung des Cassiquiare hinausgehen.
Unter den Versammelten nahm Jacques Helloch sofort das Wort.
»Sie sind noch niemals auf dem obern Orinoco weiter hinauf gekommen, Valdez? fragte er.
- Niemals, antwortete der Schiffer der »Gallinetta«.
- Sie auch nicht, Parchal?
- Auch ich nicht, erklarte der Schiffer der »Moriche«.
- Keiner Ihrer Leute kennt den Flu?lauf oberhalb des Pic Maunoir?
- Keiner, versicherten Parchal und Valdez.
- Keiner. au?er vielleicht Jorres, lie? sich Germain Paterne vernehmen, doch der hat sich von uns getrennt. Ich habe ihn in Verdacht, da? er nicht zum erstenmale diese Gebiete durchstreift, obgleich er das Gegentheil hartnackig behauptete.
- Wohin mag er denn gegangen sein? fragte der Sergeant Martial.
- Dahin, wo er ohne Zweifel erwartet worden ist, antwortete Jacques Helloch.
- Erwartet?.
- Jawohl, Sergeant; seit einiger Zeit ist mir das Verhalten des Mannes uberhaupt verdachtig vorgekommen.
- Und mir nicht weniger, setzte Valdez hinzu. Als ich ihn nach seiner nachtlichen Abwesenheit am Rio Mavaca fragte, warum er eigentlich weggeblieben ware, gab er mir eine recht nichtssagende Antwort.
- Doch als er in San-Fernando an Bord kam, fiel Jean jetzt ein, war es doch seine Absicht, sich nach der Mission Santa-Juana zu begeben.
- Es ist auch nicht zu bezweifeln, da? er den Pater Esperante gekannt hat, setzte Germain Paterne hinzu.
- Das ist wahr, sagte der Sergeant Martial, es giebt aber keine Erklarung dafur, warum er gerade jetzt verschwunden ist, wo wir nur noch einige Tagreisen von der Mission entfernt sind.«
Schon in den letzten Tagen hatte sich der Gedanke, da? Jorres den schlimmsten Verdacht rechtfertigen konne, bei Jacques Helloch mehr und mehr befestigt. Wenn er davon gegen niemand gesprochen hatte, kam das daher, da? er seine Gefahrten nicht beunruhigen wollte. Von Allen war er jetzt auch der, den das Verschwinden des Spaniers am wenigsten uberraschte, wenn er sich auch kein Hehl daraus machte, da? das recht ernste Folgen haben konnte.
Wenn er daruber nachdachte, fragte er sich wohl auch schon, ob Jorres nicht einer der aus Cayenne entwichenen Straflinge sei, die jetzt an der Spitze der von Alfaniz angefuhrten Quivas standen. Alfaniz war ja ebenso Spanier wie er. Wenn das der Fall war, was machte er dann zur Zeit, als man ihn traf, in San-Fernando?. Warum verweilte er uberhaupt in jenem Orte? Gewi? war nur, da? er sich daselbst befand und da? er, nachdem ihm bekannt geworden war, da? die Passagiere der Piroguen nach Santa-Juana gehen wollten, dem Schiffer der »Gallinetta« seine Dienste anbot.
Jetzt, wo Jacques Helloch's Verdacht in Folge der Flucht des Spaniers festere Gestalt angenommen hatte, erfullten ihn folgende Gedanken:
Wenn Jorres nicht der Alfaniz'schen Bande angehort und er keine schlechten Absichten hat, wenn es wirklich seine Absicht war, nach der Mission zu gelangen, warum verla?t er uns so nahe am Ziel der Reise?
Er ist aber verschwunden, wo man erst recht hatte voraussetzen sollen, da? er bei der ubrigen Gesellschaft bliebe. Und wer wei?, ob er nicht, auf eine geheim erhaltene Nachricht hin, da? die Quivas und ihr Fuhrer in den benachbarten Savannen umherschwarmten, die Nacht benutzt hat, um das Raubgesindel aufzusuchen.
Wenn das der Fall war, jetzt, wo die Piroguen festsa?en und die kleine Gesellschaft gezwungen war, ziemlich weit durch den dichten Urwald zu marschieren, um nach Santa-Juana zu gelangen, dann drohte dieser