Orinoco zuruckzukehren, von wo sie durch columbische Truppen vertrieben worden waren. Ehe sie jedoch das Bergland des Roraima verlie?en, wollte ihr neuer Fuhrer noch einmal diese (die linke) Seite des Stromes absuchen. Er verlie? zeitweilig die Bande, ging langs der Ilanos bis nach San-Fernando de Atabapo hinunter und kam dabei auch durch den Rancho von Carida, wo Herr Manuel Assomption mit vollem Rechte behauptete, ihn schon damals gesehen zu haben. In San-Fernando wartete er grade auf eine Gelegenheit, nach den Quellen des Orinoco zuruckzukehren, als die Piroguen »Gallinetta« und »Moriche« sich zur Abfahrt nach der Mission von Santa-Juana rusteten.
Alfaniz - der gewohnlich den Namen Jorres fuhrte - bot unter dem Vorwande, sich ebenfalls nach der Mission begeben zu wollen, dem Schiffer der »Gallinetta«, der seine Mannschaft vervollstandigen mu?te, seine Dienste an, und wurde, wie wir wissen, angenommen - angenommen zum Unheil fur die, die sich nach dem Oberlaufe des Stromes hinauswagen wollten.
Sobald sich Alfaniz dann mit den Quivas wieder vereinigt hatte, wollte er endlich der Rache, die er dem Oberst von Kermor geschworen hatte, Genuge leisten.
Er hatte ja gehort, da? der mit dem Sergeanten Martial auf der »Gallinetta« reisende junge Mann im Begriff stand, seinen Vater zu suchen, dessen Aussagen vor dem Criminalgerichtshofe der Untern Loire seine Verurtheilung zu lebenslanger Zwangsarbeit und seine Verschickung nach dem Bagno von Cayenne herbeigefuhrt hatten.
Jetzt oder niemals bot sich die unerwartete Gelegenheit, den jungen Mann und mit ihm vielleicht auch den Sergeanten Martial abzufangen, wenn es moglich war, sie auf dem Landwege nach der Mission zu uberraschen - die Gelegenheit, an Stelle des Vaters wenigstens an dem Sohne Rache zu nehmen.
Das Weitere ist bekannt. Nachdem Alfaniz in der Nacht, die er am Sitio von Yaname auf dem Lande zubrachte, einen Genossen getroffen hatte, war er nach der Ankunft der Piroguen bei dem spatern Lager am Pic Maunoir entflohen.
Nach Ermordung des Vaters Gomos, weil dieser ihm nicht als Fuhrer dienen wollte, war er dann am Rio Torrida hinauf und uber die Furt von Frascaes gegangen und hatte die Bande der Quivas dort im Walde gefunden.
Jetzt, wo Jacques Helloch und dessen Gefahrten in seiner Gewalt waren, gedachte sich der Elende auch der Piroguen an ihrem Halteplatz auf dem Orinoco zu bemachtigen.
Der Sohn oder vielmehr die Tochter des Oberst von Kermor war nun in seiner Hand.
Elftes Capitel
Dreizehn Jahre vor dem Anfange dieser Erzahlung gab es in der Gegend, die der Rio Torrida durchstromt, weder ein Dorf, noch einen Rancho oder Sitio. Kaum zogen dann und wann Indianer durch sie hin, wenn diese gezwungen waren, fur ihre Herden neue Weideplatze zu suchen. Die ganze Gegend bestand nur aus ausgedehnten, zwar fruchtbaren, doch unangebauten Ilanos, fast undurchdringlichen Waldern und sumpfigen Esteros, die im Winter durch die aus ihren Betten tretenden Wasseradern der Nachbarschaft immer frisch gefullt wurden. Nur Raubthiere, Schlangen, Affen und mancherlei Vogel - die Insecten, vorzuglich die Muskitos, nicht zu vergessen - vertraten das Thierleben in diesen fast noch unbekannten Gebieten. Sie bildeten trotz ihrer reichen Pflanzenwelt thatsachlich eine Wustenei, wohin niemals Handler oder Unternehmer aus der Republik Venezuela vordrangen.
Ging man einige hundert Kilometer in nordlicher und nordostlicher Richtung hinauf, so verlor man sich schlie?lich in einem hochst merkwurdigen Gebietstheile, dessen hohere Stellen vielleicht mit dem Gebirgszuge der Anden zusammengehangen hatten, ehe einst deren gro?e Bergseen sich durch ein weitverzweigtes Netz von Wasseradern in die Tiefen des Atlantischen Oceans entleerten. Es ist ein vielfach zerrissenes Land, wo sich Bergkamme kreuzen, wo manche Hohen dem Naturgesetz der Schwere zu spotten scheinen -ebenso wie ihre hydrographischen und orographischen Wunderlichkeiten - ein ungeheurer Raum und die unerschopfliche Nahrmutter des Orinoco, den er nach Norden entsendet, und des Rio Blanco, der nach Suden hin stromt, beherrscht von der himmelanstrebenden Bergmasse des Roraima, dessen jungfraulichen Gipfel Im Thurn und Perkin einige Jahre spater zuerst erklimmen sollten.
So unausgebeutet, so verlassen war dieser weit entfernte Theil von Venezuela, als es ein Fremder, ein Missionar, unternahm, ihn wenigstens streckenweise umzugestalten.
Die auf diesem Gebiete zerstreut vorkommenden Indianer gehorten der gro?en Mehrzahl nach zum Stamme der Guaharibos. Gewohnheitsgema? durchstreiften sie die Ilanos im Innern tiefer Walder am rechten Ufer des obern Orinoco. Es waren elende Wilde, noch von keinem Hauche der Civilisation beruhrt. Kaum hatten sie Strohhutten, um Unterkommen zu finden, kaum Lumpen aus Baumrinde, sich zu bedecken. Sie nahrten sich von Wurzeln, Palmensprossen, von Ameisen und von Holzlausen (den sogenannten Todtenuhren) und verstanden sich nicht einmal auf die Gewinnung des Maniocmehls, das in Mittelamerika sonst die Hauptnahrung bildet. Sie schienen auf der Stufenleiter der Menschheit die unterste Sprosse einzunehmen, waren klein von Wuchs, schwachlich von Constitution, hager von Gestalt und hatten den aufgetriebenen Leib der Geophagen, und in der That waren sie, vorzuglich im Winter bei mangelnder andrer Nahrung, oft genothigt, ihren Hunger mit thoniger Erde zu stillen. Die rothlichen langen Haare fallen ihnen auf die Schultern hinab, ihr Gesicht, auf dem ein scharfer Beobachter wohl noch ein Restchen unentwickelter Intelligenz entdecken konnte, und die etwas weniger tiefbraune Farbung ihrer Haut, worin sie sich von den andern Indianern, den Quivas, Piaroas, Bares, Mariquitarern und Banivas unterscheiden - Alles wies darauf hin, sie in die letzte Reihe der an sich niedrigst stehenden Rassen zu stellen.
Und diese Eingebornen galten fur so gefahrlich, da? selbst ihre nahen Stammverwandten kaum deren Gebiete zu betreten wagten, ja man hielt sie allgemein fur so eingefleischte Rauber und Morder, da? die Handler aus San-Fernando niemals uber den Ocamo und hochstens den Mavaca hinausgingen. So hatte sich der uble Ruf gebildet, in dem die Guaharibos noch vor funf Jahren standen, als Chaffanjon, ohne sich von den Befurchtungen seiner Bootsleute abschrecken zu lassen, seine Fahrt bis zu den Quellen des Stromes fortsetzte. Als er endlich auf der Hohe des Pic Maunoir mit ihnen zusammengetroffen war, erkannte er bald, wie arg die harmlosen Indianer verleumdet worden waren, und bemuhte sich, ein gerechteres Urtheil uber sie zu verbreiten.
Zu jener Zeit bildete ubrigens, in Folge seiner Aufforderung um den spanischen Missionar versammelt, schon eine Anzahl von ihnen den Kern der Mission von Santa-Juana. Sie waren bereits fur die Lehren der christlichen Religion empfanglich geworden und hatten das dem eifrigen Apostel zu verdanken, der ihnen alle Freuden des Erdenlebens opferte.
Der Pater Esperante ging von Anfang an darauf aus, mit den unglucklichen Guaharibos innigste Fuhlung zu halten. Deshalb siedelte er sich tief drin in den Savannen der Sierra Parima an. Hier beschlo? er, ein Dorf zu grunden, das sich mit der Zeit zu einem Flecken entwickeln sollte. Von dem ihm verbliebenen Vermogen glaubte er keinen edleren Gebrauch machen zu konnen, als da? er es fur dieses Werk der Barmherzigkeit verwendete, das gleich fest genug begrundet werden sollte, um seinen Bestand auch fur alle Zukunft zu sichern.
Bei seinem Eintreffen in dieser Wustenei hatte der Pater Esperante als einzige Hilfskraft nur einen jungen Begleiter namens Angelos bei sich. Dieser damals funfundzwanzigjahrige Novize der auslandischen Missionen war gleich ihm selbst von dem apostolischen Eifer entflammt, der Zeichen und Wunder zu thun vermag. Beide hatten also -doch um den Preis welcher Schwierigkeiten und welcher Gefahren! - ohne zu erschlaffen und ohne zu wanken, die Mission von Santa-Juana gegrundet und organisiert, ihnen war die leibliche und geistige Wiedergeburt eines ganzen Indianerstammes gelungen, und jetzt hatten sie eine Bevolkerung um sich versammelt, die, unter Einrechnung der auf den benachbarten Ilanos siedelnden Eingebornen, gegen tausend Kopfe zahlte.
Funfzig Kilometer im Nordosten von den Stromquellen und von der Mundung des Rio Torrida war es, wo der Missionar die Stelle fur die zukunftige Ortschaft gewahlt hatte: Eine hochst gluckliche Wahl - mit einem Boden von erstaunlicher Fruchtbarkeit, wo die nutzlichsten Baum- und Straucharten gediehen, unter andern Marimas, deren Rinde eine Art naturlichen Filz liefert; ferner Bananen, Platanen, Kaffeebaume und -stauden, die sich im Schatten gro?erer Baume mit scharlachrothen Bluthen bedeckten, Bucares, Kautschuk- und Cacaobaume, und daneben spro?ten und grunten Felder mit Zuckerrohr und Sassaparille oder mit Tabak, von dem man die »Cura nigra« fur den einheimischen Verbrauch, und die mit Salpeter vermengte »Cura seca« fur die Ausfuhr gewinnt,