Seit dem letzten Angriffe der Quivas hatte nichts die Ruhe der Bewohner von Santa-Juana gestort, und allem Anscheine nach sollten sie auch in Zukunft von der Wiederholung eines solchen verschont bleiben.

Gegen funf Uhr am Nachmittag des 1. November, dem Tage, nachdem Jacques Helloch und seine Gefahrten in Alfaniz' Hande gefallen waren, entstand im Dorf jedoch, wenn nicht eine Panik, so doch eine gewisse Beunruhigung.

Es war namlich ein junger Indianer aufgetaucht, der in aller Eile, als ob er verfolgt wurde, von der Savanne her herangesturmt kam.

Einige Guaharibos traten aus ihren Hausern, und sobald der junge Indianer sie gewahr wurde, rief er fast angstlichen Tones:

»Pater Esperante! Pater Esperante!«

Sofort fuhrte ihn Bruder Angelos dem Missionar zu.

Dieser erkannte auf den ersten Blick den Knaben, der, als er mit seinem Vater in Santa-Juana wohnte, die Schule der Mission flei?ig besucht hatte.

»Du. Gomo?« fragte er.

Dieser konnte zunachst kaum ein Wort hervorbringen.

»Woher kommst Du denn?

- Ich bin entflohen. heute fruh. und bin gelaufen, was ich konnte, um hierher zu kommen.«

Dem jungen Indianer versagte fast der Athem.

»Ruh' Dich erst aus, mein Kind, ermahnte ihn der Missionar, Du stirbst wohl beinahe vor Hunger. Willst Du etwas essen?

- Nicht ehe ich Ihnen gesagt habe, warum ich gekommen bin. Es bedarf schleunigster Hilfe.

- Hilfe?.

- Dort unten sind Quivas. drei Stunden von hier. in der Sierra. nahe beim Flusse.

- Was? Quivas? rief Bruder Angelos.

- Und ihr Hauptling ebenfalls, setzte Gomo hinzu.

- Ihr Anfuhrer, wiederholte Pater Esperante, der entwichene Strafling, der schreckliche Alfaniz.

- Er ist vor wenigen Tagen wieder zu ihnen gesto?en, und vorgestern kurz nach Mittag haben sie eine Gesellschaft von Reisenden uberfallen, die ich nach Santa-Juana fuhrte.

- Reisende, die nach der Mission wollten?

- Ja, ehrwurdiger Vater, franzosische Reisende.

- Franzosen!«

Das Gesicht des Missionars uberflog eine plotzliche Blasse, und dann schlo? er einen Augenblick die Lider.

Hierauf ergriff er den jungen Indianer bei der Hand, zog ihn nahe zu sich heran und sagte zu ihm mit einer Stimme, die vor unwillkurlicher Erregung zitterte:

»Sage mir Alles, was Du wei?t!«

Gomo fuhr nun fort:

»Vor vier Tagen betrat ein Mann die Hutte, die mein Vater und ich in der Nahe des Orinoco bewohnten. Er fragte uns, wo sich die Quivas befanden und ob wir ihn zu ihnen fuhren wollten. Das waren dieselben, die unser Dorf San-Salvador zerstort und meine Mutter getodtet hatten. Mein Vater schlug sein Verlangen ab, und da scho? er auch ihn mit einem Revolver nieder.

- Er ist getodtet worden! murmelte Bruder Angelos.

- Ja, durch den Mann. Alfaniz.

- Alfaniz!. Und woher kam denn der elende Schurke? fragte der Pater Esperante.

- Von San-Fernando.

- Wie war er aber den Orinoco herausgekommen?

- Als Bootsmann, als Ruderknecht, unter dem Namen Jorres, an Bord einer der beiden Piroguen, die die Reisenden brachten.

- Und Du sagst, das waren Franzosen?

- Ja, gewi?, Franzosen, die nicht weiter als bis zum Rio Torrida hinausfahren konnten. Sie haben ihre Piroguen an der

Flu?mundung zuruckgelassen, und einer von ihnen, ihr Fuhrer, der von dem Schiffer einer der Falcas begleitet war, hat mich im Walde neben der Leiche meines Vaters aufgefunden. Sie fuhlten Mitleid mit mir. begruben meinen Vater und nahmen mich dann mit sich. Darauf ersuchten sie mich, sie nach Santa-Juana zu fuhren. Wir sind also aufgebrochen. und waren vorgestern an der Furt von Frascaes angelangt, als die Quivas uns uberfielen und Alle gefangen nahmen.

- Und dann? forschte der Pater Esperante weiter.

- Dann?. Dann zogen die Quivas nach der Sierra zu, und erst heute Morgen habe ich ihnen entfliehen konnen.«

Der Missionar hatte dem jungen Indianer mit gespannter Aufmerksamkeit zugehort. Das Blitzen seiner Augen bewies, wie der Zorn gegen die Verbrecherrotte in ihm aufloderte.

»Du sagst also, mein Kind, fragte er noch ein drittes Mal, da? jene Reisenden Franzosen waren?

- Ja, ehrwurdiger Vater.

- Und wie viele?

- Vier.

- Wer war sonst noch mit ihnen?

- Der Schiffer von einer der Piroguen, ein Baniva, namens Valdez, und zwei Bootsleute, die das Gepack trugen.

- Woher kamen sie denn?

- Von Bolivar, von wo sie vor zwei Monaten abgereist waren, um sich nach San-Fernando zu begeben und dann den Strom bis zur Sierra Parima hinauszufahren.«

In tiefes Sinnen verloren, schwieg der Pater Esperante einige Augenblicke still.

»Du hast von einem Fuhrer gesprochen, Gomo? fragte er. Die kleine Truppe hat also einen Fuhrer?

- Ja, einen der Reisenden.

- Und der hei?t?

- Jacques Helloch.

- Er hat noch einen Genossen?

- Der Germain Paterne hei?t und in der Savanne uberall Pflanzen sammelt.

- Wer sind denn die beiden andern Reisenden?

- Erstens ein junger Mann, der sehr freundlich gegen mich gewesen ist, und den ich aufrichtig liebe.«

In Gomos Zugen verrieth sich die lebhafteste Dankbarkeit.

»Der junge Mann, fuhr er fort, nennt sich Jean von Kermor.«

Bei diesem Namen schnellte der Missionar empor, und aus seiner ganzen Erscheinung sprach die allergro?te Ueberraschung.

»Jean von Kermor? wiederholte er. War das wirklich sein Name?

- Ja, Jean von Kermor.

- Der junge Mann, sagst Du, ist mit den Herren Helloch und Paterne aus Frankreich gekommen?

- Nein, ehrwurdiger Vater; nach dem, was mir mein Freund Jean erzahlt hat, haben sie sich unterwegs. auf dem Orinoco. beim Dorfe la Urbana erst zufallig getroffen.

- Dann sind sie in San-Fernando gewesen?

- Ja, und von da aus zusammen nach der Mission weiter gereist.

- Und was bezweckt jener junge Mann?

- Er ist im Begriff, seinen Vater zu suchen.

- Seinen Vater?. Du sagst, seinen Vater?

- Jawohl, den Oberst von Kermor.

- Den Oberst von Kermor!« rief der Missionar in unbeschreiblicher Erregung.

Wer ihn in diesem Augenblick beobachtet hatte, wurde auch gesehen haben, da? die Ueberraschung, die er vorher verrieth, sich jetzt zu einer ganz ungewohnlichen Aufregung entwickelte. So energisch der Pater Esperante auch war, so sehr er sich sonst zu beherrschhen wu?te, jetzt lie? er die Hand des jungen Indianers los und schritt,

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