Diplom als Funftbester seines Jahrgangs abgelegt. Insgesamt war er seit dieser Zeit viel ruhiger geworden. Jetzt, mit vierundzwanzig, neigte er zu Pedanterie und Magenproblemen. Nur bei Frauen war er immer noch ein Draufganger.

»Endlich«, sagte Chris. »Es kommt.«

Das LCD zeigte einen Umri? in leuchtendem Grun. Durch den transparenten Monitor waren die Ruinen der Muhle zu sehen, uberlagert von dem grunen Umri?. Das war die neueste Methode zur Rekonstruktion archaologischer Strukturen. Fruher hatten ihnen nur gewohnliche Architekturmodelle zur Verfugung gestanden, die aus wei?em Styropor bestanden und per Hand ausgeschnitten und zusammengesetzt werden mu?ten. Aber diese Technik war langsam, Modifikationen waren schwierig.

Inzwischen wurden alle Modelle am Computer erstellt. Die Modelle konnten schnell erzeugt und problemlos verandert werden. Zusatzlich gestattete diese Methode die Betrachtung der Modelle vor Ort und einen prazisen Abgleich mit dem Original. Die Ortskoordinaten der Ruine wurden in den Computer eingespeist, und dank der durch das GPS ermittelten Stativposition war die Darstellung auf dem Monitor genau in der richtigen Perspektive.

Sie sahen zu, wie sich der Umri? fullte und dreidimensionale Gestalt annahm. Die Abbildung zeigte nun eine machtige Brucke, aus Stein erbaut und uberdacht und mit drei Wasserradern darunter. »Chris«, sagte Johnston, »du hast sie ja befestigt.« Er klang erfreut. »Ich wei?, da? es ein Risiko ist...«, sagte er.

»Nein, nein«, erwiderte der Professor. »Ich halte das fur einleuchtend.«

In der Literatur gab es Hinweise auf befestigte Muhlen, und auf jeden Fall gab es unzahlige Berichte uber Schlachten um Muhlen und Muhlenrechte. Doch tatsachlich bekannt waren nur wenige befestigte Muhlen: eine in Buerge und eine andere, erst kurzlich entdeckte, in Montauban im nachsten Tal. Die meisten Mittelalterspezialisten glaubten, da? solche befestigten Muhlen eher selten waren. »Die Pfeilerfundamente am Wasserrand sind sehr machtig«, sagte Chris. »Nachdem die Muhle aufgegeben war, benutzten die Leute sie als Steinbruch, wie alles hier in der Gegend. Sie holten sich die Steine, um damit ihre eigenen Hauser zu bauen. Aber die Steine in den Pfeilerfundamenten blieben, wo sie waren, weil sie zum Transport einfach zu gro? und zu schwer waren. Fur mich deutet das auf eine machtige Brucke hin. Wahrscheinlich befestigt.« »Du konntest recht haben«, sagte Johnston. »Und ich glaube -« Das Funkgerat an seiner Hufte knackte. »Chris? Ist der Professor bei dir? Der Staatssekretar ist da.«

Johnston schaute uber die Klosterausgrabung hinweg zu der unbefestigten Stra?e, die am Flu? entlangfuhrte. Ein gruner Landrover mit wei?er Beschriftung an den Seiten kam, eine gro?e Staubwolke aufwirbelnd, auf sie zugerast. »Ja«, sagte er. »Das kann nur Francois sein. Immer in Eile.«

»Edouard! Edouard!« Francois Bellin fa?te den Professor bei den Schultern und ku?te ihn auf beide Wangen. Bellin war ein gro?er, uberschwenglicher Mann mit schutteren Haaren. Er sprach sehr schnelles Franzosisch. »Mein lieber Freund, wir haben uns viel zu lange nicht gesehen. Dir geht es gut?«

»Ja, Francois«, sagte Johnston und wich einen Schritt vor diesem Uberschwang zuruck. Immer wenn Bellin so ubertrieben freundlich war, bedeutete das Probleme. »Und du, Francois, wie geht es dir?« »Wie immer, wie immer. Aber in meinem Alter mu? das reichen.« Er sah sich um und legte Johnston verschworerisch die Hand auf die Schulter. »Edouard, ich mu? dich um einen Gefallen bitten. Ich habe da ein kleines Problem.« »Ach so?« »Du kennst doch diese Reporterin, von L'Express —« »Nein«, sagte Johnston. »Auf keinen Fall.« »Aber Edouard -«

»Ich habe mit ihr telefoniert. Sie ist eine von diesen Spinnern, die immer an irgendwelche Verschworungen glauben. Der Kapitalismus ist schlecht, alle Konzerne sind bose —«

»Ja, ja, Edouard, du hast ja recht.« Er beugte sich zu ihm. »Aber sie schlaft mit dem Kulturminister.«

»Nicht gerade eine Empfehlung«, sagte Johnston.

»Edouard, bitte. Die Leute fangen an, auf sie zu horen. Sie kann Probleme verursachen. Fur dich. Fur mich. Fur dieses Projekt.«

Johnston seufzte.

»Du wei?t doch, hier in Frankreich denken viele, da? die Amerikaner jede Kultur zerstoren, weil sie selber keine haben. Vor allem Filme und Musik machen immer wieder Probleme. Und es gibt Diskussionen daruber, Amerikanern die Arbeit an franzosischen Kulturdenkmalern zu verbieten. Was meinst du?« »Das ist nichts Neues«, erwiderte Johnston.

»Au?erdem hat dich dein eigener Sponsor, ITC, gebeten, mit ihr zu sprechen.«

»Ach, tatsachlich?«

»Ja. Eine Ms. Kramer hat verlangt, da? du mit ihr sprichst.« Johnston seufzte noch einmal.

»Es dauert nur ein paar Minuten, das verspreche ich dir«, sagte Bellin und winkte zum Landrover. »Sie ist im Auto.« »Du hast sie mitgebracht?« fragte Johnston.

»Edouard, la? es dir gesagt sein«, erwiderte Bellin. »Es ist notig, da? du sie ernst nimmst. Ihr Name ist Louise Delvert.« Als die Reporterin aus dem Auto stieg, sah Chris eine Frau Mitte Vierzig, schlank und dunkelhaarig, mit attraktiven, markanten Gesichtszugen. Sie hatte das gewisse Etwas reifer europaischer Frauen, ein Stil, in dem sich eine raffinierte sublime Sexualitat ausdruckte. Angezogen war sie wie fur eine Expedition: Khakibluse und -hose, mit Kamera, Video- und Kassettenrekorder an Riemen um den Hals. Mit einem Notizblock kam sie sehr forsch und zielstrebig auf die beiden zu. Delvert streckte die Hand aus. »Professor Johnston«, sagte sie in akzentfreiem Englisch. Ihr Lacheln war aufrichtig und herzlich. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue, da? Sie sich Zeit fur mich nehmen.«

»Aber nicht doch«, erwiderte Johnston und nahm ihre Hand. »Sie haben einen weiten Weg hinter sich, Miss Delvert. Ich freue mich, wenn ich Ihnen helfen kann.«

Gemeinsam besichtigten sie die Klosterausgrabung, eine verschworene kleine Gruppe: der Professor und Miss Delvert vorneweg, Bellin und Chris hinterher, nicht zu dicht, aber doch so, da? sie das Gesprach horen konnten. Bellin trug ein stilles, zufriedenes Grinsen auf den Lippen, und Chris kam der Gedanke, da? es offenbar mehr als eine Art gab, mit einem lastigen Kulturminister fertig zu werden. Was den Professor anging, so war seine Frau schon seit vielen Jahren tot; und obwohl es Geruchte gegeben hatte, hatte Chris ihn noch nie mit einer anderen Frau gesehen. Um so faszinierter beobachtete er ihn jetzt. Johnston verhielt sich nicht anders als sonst, er schenkte der Reporterin einfach seine ungeteilte Aufmerksamkeit und vermittelte ihr den Eindruck, da? es auf der Welt nichts Wichtigeres gebe als sie. Und tatsachlich hatte Chris das Gefuhl, da? Delverts Fragen viel weniger aggressiv waren, als sie es geplant hatte.

»Wie Sie wissen, Professor«, sagte sie, »arbeitet meine Zeitung schon eine ganze Weile an einer Story uber die amerikanische Firma ITC.« »Ja, das wei? ich.«

»Trifft es zu, da? ITC diese Ausgrabung sponsert?« »Ja.«

»Wir haben erfahren, da? die Firma pro Jahr eine Million Dollar zu dem Projekt beitragt.« »Das kommt ungefahr hin.«

Einen Augenblick gingen sie schweigend weiter. Die Journalistin schien sich ihre nachste Frage genau zu uberlegen. »Es gibt einige in unserer Zeitung«, sagte sie, »die der Ansicht sind, da? das fur ein Projekt in mittelalterlicher Archaologie eine Menge Geld ist.«

»Nun, Sie konnen diesen Leuten sagen«, erwiderte Johnston, »da? es das nicht ist. Genaugenommen ist es fur ein Projekt dieser Gro?e ungefahr Durchschnitt. ITC gibt uns zweihundertfunfzigtausend als direkten Zuschu?, einhundertfunfundzwanzigtausend als indirekten Zuschu? an die Universitat, noch einmal achtzigtausend fur Stipendien, Reise- und Unterhaltskosten und funfzigtausend fur Labor- und Archivierungskosten.«

»Aber da bleibt doch eine betrachtliche Differenz«, konterte sie, spielte kokett mal mit dem Stift, mal mit ihren Haaren und blinzelte in Johnstons Richtung. Sie macht ihm schone Augen, dachte Chris. Bei seinem Professor hatte er noch nie eine Frau so etwas tun sehen. Man mu?te schon Franzosin sein, um eine solche Show abzuziehen. Der Professor schien es nicht zu bemerken. »Ja, naturlich bleibt da eine Differenz«, sagte er, »aber der Rest geht nicht an uns. Der ist fur die Rekonstruktionskosten selbst. Die werden separat abgerechnet, da diese Kosten, wie Sie wissen, gemeinsam mit der franzosischen Regierung getragen werden.«

»Naturlich«, sagte sie. »Und in Ihren Augen ist die halbe Million Dollar, die Ihr Team ausgibt, also ganz normal?« »Na ja, wir konnen ja Francois fragen«, sagte Johnston. »In dieser Ecke Frankreichs gibt es siebenundzwanzig laufende archaologische Projekte. Sie reichen von der palaolithischen Ausgrabung, die die Universitat von Zurich zusammen mit der Carnegie-Mellon macht, bis hin zu dem romischen castrum, der Festung, das die Uni Bordeaux zusammen mit der von Oxford ausgrabt. Die jahrlichen Kosten dieser Projekte betragen ungefahr eine halbe Million Dollar pro Jahr.« »Das wu?te ich nicht.« Sie

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