wurde eine Form dieser Epidemie ursprunglich nur durch Ratten ubertragen, doch es gab auch eine andere, die durch die Luft ubertragen wurde, durch Husten und Niesen, und so mu?te jeder, der in einen alten, lange verschlossenen Hohlraum eindrang, auf der Hut sein.

Hinter sich horte sie ein Klappern. Marek kam gerade durch das Loch. Er fing an zu rutschen und sprang deshalb zu Boden. In der Stille danach horte sie die leisen Gerausche von Kieseln und Erdbrocken, die den Haufen herunterrieselten.

»Du wei?t«, sagte sie, »da? wir hier lebendig begraben werden konnten?« »Wo bleibt dein Optimismus?« sagte Marck. Eine gro?e Leuchtstofflampe mit Retlektoren in der Hand, bewegte er sich vorwarts. Das Licht erhellte einen ganzen Abschnitt des Gewolbes. Jetzt, da sie besser sehen konnten, wirkte der Raum enttauschend nackt. Links stand ein Steinsarkophag, auf dem Deckel der daneben an der Wand lehnte, war das Relief eines Ritters eingemei?elt. Sie schauten in den Sarkophag, er war leer. An einer anderen Wand stand ein grober Holztisch. Auch darauf war nichts zu sehen. Links von ihnen fuhrte ein offener Gang zu einer steinernen Treppe, die jedoch schon nach wenigen Stufen unter einem Erdhaufen verschwand. Rechts von ihnen blockierten weitere Erdhaufen einen anderen Durchgang, einen anderen Steinbogen.

Marek seufzte. »Die ganze Aufregung... fur nichts.«

Aber Kate machte sich immer noch Sorgen um die Erde, die sich loste und in den Raum rieselte. Deshalb sah sie sich die Erdhaufen auf der rechten Seite genauer an.

Und nur deshalb entdeckte sie es.

»Andre«, sagte sie. »Komm her.«

Es war ein erdfarbener Vorsprung, braun auf dem Braun des Haufens, aber seine Oberflache glanzte leicht. Sie strich mit der Hand daruber. Es war Oltuch. Sie legte eine scharfe Ecke frei. Oltuch, in das etwas eingewickelt war.

Marek schaute ihr uber die Schulter. »Sehr gut. Sehr gut.« »Hatten die damals schon Oltuch?«

»O ja. Oltuch ist eine Erfindung der Wikinger, ungefahr im neunten Jahrhundert. Und zu unserer Zeit in Europa schon ziemlich verbreitet. Obwohl wir,soweit ich wei?, im Kloster sonst nichts gefunden haben, was in Oltuch eingewickelt war.«

Er half ihr graben. Sie gingen behutsam vor, weil sie nicht wollten, da? der Erdhaufen auf sie herabsturzte, aber bald hatten sie es freigelegt: ein Quadrat von etwa sechzig Zentimetern Kantenlange, verschnurt mit olgetrankter Schnur.

»Ich wurde sagen, es sind Dokumente«, bemerkte Marek. Seine Finger zuckten im grellen Licht, er wollte das Paket unbedingt offnen, hielt sich aber zuruck. »Wir nehmen es mit.«

Er klemmte es sich unter den Arm und ging zum Eingang zu-ruck. Kate warf noch einen letzten Blick auf den Erdhaufen und fragte sich, ob sie vielleicht irgend etwas ubersehen hatte. Aber das hatte sie nicht. Sie schwang die Taschenlampe und -Hielt plotzlich inne.

Aus dein Augenwinkel heraus erhaschte sie einen Blick auf etwas Glanzendes. Sie drehte sich um, schaute noch einmal hin. Im ersten Augenblick fand sie es nicht mehr, doch dann sah sie es.

Es war ein kleines Stuckchen Glas, das aus der Erde herausragte.

»Andre?« sagte sie. »Ich glaube, da ist noch mehr.«

Das Glas war dunn und vollig durchsichtig. Der Rand war abgerundet und glatt, die Fertigungsqualitat wirkte beinahe modern. Mit den Fingerspitzen wischte sie die Erde weg und sah dann, worum es sich handelte: um die Linse einer Brille.

Es war eine Bifokallinse.

»Was ist das?« fragte Andre, der nun wieder zu ihr kam. »Das mu?t du mir sagen.«

Er buckte sich daruber, hielt seine Lampe sehr nahe daran. Sein Gesicht war so dicht vor dem Glas, da? seine Nase es beinahe beruhrte. »Wo hast du das gefunden?« Er klang besorgt. »Gleich hier.«

»Freiliegend, so wie jetzt?« Seine Stimme klang angespannt, beinahe vorwurfsvoll.

»Nein, nur der Rand ragte heraus. Ich habe es freigelegt.« »Wie?«

»Mit dem Finger.«

»Du willst mir also sagen, da? es teilweise verschuttet war?« Er klang,

als glaubte er ihr nicht.

»He, was soll das?«

»Bitte antworte mir einfach.«

»Nein, Andre, es war gro?tenteils verschuttet. Alles bis auf diese linke Ecke steckte in der Erde.«

»Mir ware es lieber, wenn du es nicht beruhrt hattest.«

»Mir auch, wenn ich gewu?t hatte, da? du dich auffuhrst wie ein —«

»Das mu? erklart werden«, sagte er. »Dreh dich um.« »Was?« »Dreh dich um.« Er packte sie an der Schulter und drehte sie grob herum, so da? sie ihm den Rucken zukehrte.

»O Gott.« Sie schaute uber die Schulter, um zu sehen, was er tat. Er hielt seine Lampe sehr dicht an den Rucksack und suchte ihn langsam und Stuck fur Stuck ab. Dann kamen ihre Shorts dran. »Ah, soll das hei?en ...« »Bitte sei ruhig.«

Es dauerte eine ganze Minute, bis er fertig war. »Die linke untere Rei?verschlu?tasche deines Rucksacks ist offen. Hast du sie aufgemacht?« »Nein.«

»Dann war sie die ganze Zeit offen? Seit du dir den Rucksack umgeschnallt hast?«

»Wahrscheinlich.«

»Hast du irgendwann die Wand gestreift?«

»Ich glaube nicht.« Sie hatte extra aufgepa?t, weil sie die Wand nicht zum Einsturz bringen wollte. »Bist du sicher?«

»Ach du meine Gute. Nein, Andre, ich bin nicht sicher.«

»Na gut. Jetzt kontrolliere mich.« Er gab ihr die Lampe und drehte ihr den Rucken zu.

»Wie kontrollieren?« fragte sie.

»Das Glas ist eine Verunreinigung«, sagte er. »Wir mussen erklaren,

wie es hierhergekommen ist. Schau nach, ob bei meinem Rucksack irgendwas offen ist.«

Sie tat es. Nichts war offen.

»Hast du ihn sorgfaltig abgesucht?«

»Ja, sorgfaltig«, erwiderte sie verargert.

»Ich glaube, du hast dir nicht genug Zeit genommen.«

»Doch, Andre, das habe ich.«

Marek starrte den Erdhaufen vor ihnen an. Kleine Kiesel rieselten herunter. »Es kann sein, da? die Linse aus einem unserer Rucksacke gefallen ist und dann von Erde bedeckt wurde...« »Ja, moglich war's.«

»Wenn du sie mit der Fingerspitze freilegen konntest, konnte sie nicht sehr fest vergraben sein ...« »Nein, nein. Sehr locker.«

»Na gut. Dann durfte das die Erklarung sein.« »Was?«

»Irgendwie haben wir die Linse mitgebracht, und wahrend wir uns mit dem Oltuchpaket beschaftigten, ist sie aus dem Rucksack gefallen und wurde dann von Erde bedeckt. Dann hast du sie gesehen und freigelegt. Das ist die einzige Erklarung.« »Okay...«

Er holte eine Kamera aus dem Rucksack und fotografierte das Glas mehrmals aus verschiedenen Entfernungen - zuerst sehr nahe und dann immer weiter weg. Erst dann zog er ein Plastiktutchen hervor, hob das Glas vorsichtig mit einer Pinzette an und steckte es in die Tute. Dann holte er eine kleine Rolle Blaschenfolie heraus, schlug die Tute darin ein, umwickelte das ganze mit Klebeband und gab ihr das Bundel. »Du bringst es raus. Bitte sei vorsichtig.« Jetzt wirkte er wieder ein bi?chen entspannter. Und war wieder netter zu ihr.

»Okay«, sagte sie. Dann kletterte sie den Erdhugel wieder hoch und kroch nach drau?en.

Von den Studenten wurden sie mit Jubel begru?t, und das Oltuchpaket wurde an Elsie ubergeben, die es sehr schnell ins Lagerhaus brachte. Alle lachten und grinsten, bis auf Chang und Chris Hughes. Sie trugen beide Kopfhorer und hatten alles gehort, was in der Kammer passiert war. Beide machten ein dusteres, besorgtes Gesicht. Die Verunreinigung einer Ausgrabungsstatte war ein sehr ernstes Problem, das wu?ten sie alle. Weil sie nachlassiges Arbeiten bei der Grabung nahelegte, stellte sie auch alle anderen, einwandfreien Entdeckungen, die das Team gemacht hatte, in Frage. Ein typisches Beispiel dafur war ein kleinerer Skandal, der im Jahr zuvor in Les Eyzies passiert war.

Les Eyzies war eine palaolithische Grabungsstatte, eine fruhmenschliche Behausung an einem Felsabhang.

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