Die Archaologen gruben gerade in einer Schicht, die auf das Jahr 320000 vor unserer Zeit datiert wurde, als einer von ihnen ein halbverschuttetes Kondom fand. Es steckte noch in seinem Alututchen, und keiner glaubte auch nur einen Augenblick daran, da? es in diese Schicht gehorte. Aber die Tatsache, da? man es dort gefunden hatte - halb verschuttet - deutete darauf hin, da? sie es mit der Sorgfalt beim Graben nicht so genau nahmen. Besturzung regte sich im Team, die auch noch andauerte, nachdem man einen Doktoranden mit Schimpf und Schande nach Paris zuruckgeschickt hatte. »Wo ist diese Linse?« fragte Chris Marek. »Kate hat sie.«

Sie gab sie Chris. Wahrend alle anderen jubelten, wandte er sich ab, wickelte das Packchen aus und hielt die Tute gegen das Licht. »Eindeutig modern«, sagte er. Er schuttelte unglucklich den Kopf. »Ich gehe der Sache nach. Aber du darfst nicht vergessen, sie im Tagesbericht zu erwahnen.« Er werde daran denken, erwiderte Marek.

Dann drehte Rick Chang sich um und klatschte in die Hande. »Okay, Leute. Die Aufregung ist vorbei. Macht euch wieder an die Arbeit.« Fur den Nachmittag hatte Marek eine Ubungsstunde im Bogenschie?en angesetzt. Den Studenten gefielen diese Stunden sehr, sie lie?en nie eine aus, und in letzter Zeit hatte sich auch Kate dazu- gesellt. An diesem Tag war das Ziel eine Strohpuppe, die etwa funfzig Meter entfernt stand. Die Studenten standen alle in einer Reihe, die Bogen in den Handen, und Marek ging hinter ihnen auf und ab.

»Um einen Mann zu toten«, sagte er, »mu?t ihr folgendes bedenken: Mit ziemlicher Sicherheit tragt er einen Plattenpanzer auf der Brust. Dagegen sind Kopf, Hals und Beine eher ungeschutzt. Um ihn zu toten, mu?t ihr ihn am Kopf treffen oder seitlich am Oberkorper, wo der Panzer ihn nicht schutzt.«

Kate horte Marek amusiert zu. Andre nahm alles so ernst. Um einen Mann zu toten. Als wurde er es wirklich ernst meinen. Hier, im gelben Nachmittagslicht Sudfrankreichs, wahrend in der Entfernung Autos hupten, wirkte dieser Gedanke etwas absurd.

»Aber wenn ihr einen Mann nur stoppen wollt«, fuhr Marek fort, »dann schie?t ihm in die Beine. Er geht sofort zu Boden. Heute benutzen wir die Funfzigpfundbogen.«

Die funfzig Pfund bezogen sich auf das Zuggewicht, die Kraft, die man benotigte, um die Sehne nach hinten zu ziehen. Die Bogen waren schwer und schwierig zu spannen. Die Pfeile waren fast einen Meter lang. Viele der Studenten hatten Probleme damit, vor allem am Anfang. Meistens beendete Marek die Ubungsstunde mit ein wenig Gewichtheben, um ihre Muskeln aufzubauen.

Er selbst konnte einen Hundertpfundbogen spannen. Auch wenn das schwer zu glauben war, beharrte er doch darauf, da? dies dem Zuggewicht der echten Waffen des vierzehnten Jahrhunderts entsprach — weit mehr als irgendeiner von ihnen bewaltigen konnte. »Okay«, sagte Marek. »Pfeile anlegen, zielen und loslassen, bitte.« Pfeile flogen durch die Luft. »Nein, nein, David, du darfst nicht ziehen, bis du zitterst. Du mu?t die Kontrolle behalten. Carl, schau dir deine Haltung an. Bob, zu hoch. Deanna, denk an deine Finger. Rock, das war schon viel besser. Okay, und jetzt das Ganze noch einmal, Pfeile anlegen, zielen und... loslassen!«

Es war schon spater Nachmittag, als Stern Marek uber Funk anrief und ihn bat, ins Lagerhaus zu kommen. Er habe gute Nachrichten, sagte er. Marek fand ihn am Mikroskop, wo er gerade die Linse untersuchte. »Was ist?«

»Hier. Schau's dir selber an.« Er trat beiseite, und Marek blickte durchs Mikroskop. Er sah die Linse, die scharfe Linse des Bifokal-schnitts. Hier und dort war die Linse mit wei?en Kreisen gesprenkelt, wie von Bakterien.

»Was soll ich sehen?« fragte Marek. »Linker Rand.«

Er bewegte den Objekttrager, bis er den linken Rand vor Augen hatte. In der Lichtbrechung sah der Rand sehr wei? aus. Dann fiel ihm auf, da? das Wei?e uber den Rand hinauswuchs, auf die Linsenoberflache. »Das sind Bakterien, die auf der Linse wachsen«, sagte Stern. »Sieht aus wie Steinlack.«

»Steinlack« war der Ausdruck fur die Patina aus Bakterien und Schimmel, die auf der Unterseite von Steinen wuchs. Weil Steinlack organisch war, konnte man ihn datieren. »Kann man ihn datieren?«

»Man konnte«, erwiderte Stern, »wenn man genug Material fur einen C-14-Test hatte. Aber ich kann dir gleich sagen, da? es nicht genug ist. Von dieser Menge bekommt man keine vernunftige Datierung. Wir brauchen es gar nicht erst zu versuchen.« »Und?«

»Der Punkt ist, das war der freiliegende Rand der Linse, nicht? Der Rand, von dem Kate sagte, da? er aus der Erde herausragte?« »Richtig.«

»Das hei?t, die Linse ist alt. Andre. Ich wei? nicht, wie alt, aber sie ist keine Verunreinigung. Rick sieht sich gerade die Knochen an, die heute gefunden wurden, und er glaubt, da? einige davon aus einer spateren Periode als der unseren stammen, aus dem achtzehnten, vielleicht sogar dem neunzehnten Jahrhundert. Was bedeutet, da? einer von denen eine Bifokalbrille getragen haben konnte.«

»Ich wei? nicht. Die Linse sieht sehr prazise geschliffen aus..,« »Was nicht hei?en mu?, da? sie neu ist«, erwiderte Stern. »Gute Schleiftechniken gibt es seit zweihundert Jahren. Ich werde diese Linse einem Optikspezialisten in New Haven schicken, damit der sie untersucht. Und ich habe Elsie gebeten, sich sofort an die 01-tuchdokumente zu machen und nachzuschauen, ob sie dort irgendwas Ungewohnliches entdeckt. Aber ich glaube, vorerst konnen wir uns alle wieder entspannen.«

»Das ist eine gute Nachricht«, sagte Marek grinsend.

»Ich dachte mir, da? du es wissen willst. Dann bis zum Abendessen.«

Zum Abendessen trafen sie sich auf dem alten Marktplatz von Domme, einem Dorf auf einer Anhohe, wenige Kilometer von ihrer Grabungsstatte entfernt. Als die Nacht hereinbrach, hatte Chris, der den ganzen Tag murrisch gewesen war, seine schlechte Laune uberwunden und freute sich aufs Abendessen. Er fragte sich, ob Marek etwas vom Professor gehort hatte, und wenn nicht, was er deswegen unternehmen wollte. Er hatte eine unbestimmte Vorahnung.

Seine gute Laune schwand dahin, als er im Restaurant ankam und die beiden Borsenmaklerparchen wieder an ihrem Tisch fand. Anscheinend hatte man sie fur einen zweiten Abend eingeladen. Chris wollte gleich wieder kehrtmachen, doch Kate stand auf, legte den Arm um ihn und schob ihn zum Tisch.

»Lieber nicht«, sagte er leise. »Ich kann diese Leute nicht ausstehen.« Aber sie umarmte ihn kurz und druckte ihn auf einen Stuhl. Er sah, da? an diesem Abend offensichtlich die Borsenmakler den Wein bezahlten — Chateau Lafite-Rothschild, uber zweitausend Francs die Flasche. Ach, was soll's, dachte er.

»Was fur ein bezauberndes Stadtchen«, sagte eine der Frauen. »Wir haben uns heute die Mauern angeschaut, die au?en herumlaufen. Die sind ziemlich lang. Und hoch. Und dieses hubsche Tor, durch das man in die Stadt kommt, das mit den runden Turmen auf jeder Seite.« Kate nickte. »Es ist nur irgendwie witzig«, sagte sie, »da? viele von den Dorfern, die wir heute so bezaubernd finden, im Grunde genommen die Einkaufszentren des vierzehnten Jahrhunderts waren.« »Einkaufszentren? Wie meinst du das?«

In diesem Augenblick fing Mareks Funkgerat, das er sich an den Gurtel gehakt hatte, an zu knistern. »Andre? Bist du dran?«

Es war Elsie. Sie ging nie mit den anderen zum Abendessen, sondern arbeitete bis spat in die Nacht an ihrer Katalogisierung. Marek griff nach dem Apparat. »Ja, Elsie.«

»Ich habe hier gerade was sehr Komisches gefunden.« »Ja...«

»Wurdest du David sagen, er soll herkommen? Ich brauche seine Hilfe bei einem Test. Aber eins kann ich euch jetzt schon sagen -falls das ein

Witz sein soll, ich finde den nicht lustig.«

Es klickte, und die Verbindung war unterbrochen.

»Elsie?«

Keine Antwort.

Marek sah in die Runde. »Hat einer von euch Elsie einen Streich gespielt?«

Alle schuttelten den Kopf.

Chris Hughes sagte: »Vielleicht dreht sie langsam durch. Wurde mich nicht wundern, sie macht ja nichts anderes, als immer nur diese Pergamente anzustarren.«

»Ich schau nach, was sie will«, sagte David Stern, stand auf und verschwand in der Dunkelheit.

Chris uberlegte, ob er mit ihm gehen sollte. Doch Kate sah ihn an und schenkte ihm ein Lacheln, und so lie? er sich zurucksinken und griff nach seinem Weinglas.

»Du hast eben gesagt — diese Stadte waren wie Einkaufszentren.« »Viele davon, ja«, sagte Kate Erickson. »Diese Stadte waren Spekulationsobjekte, die Grundbesitzern Geld einbringen sollten. Wie die Einkaufszentren heute. Und wie diese Zentren wurden sie alle nach einem ahnlichen Muster erbaut.«

Sie drehte sich um und deutete auf den Marktplatz von Domme hinter ihnen. »Seht ihr diesen uberdachten

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