zum Schalter, und in der Dunkelheit hielt Stern eine Lampe mit violettem Schein uber den Tisch.
Sofort sah Marek weitere Schriftzeichen auf dem Pergament, zwar schwach, aber doch deutlich erkennbar.
»Das war ursprunglich eine Ubernachtungsrechnung«, sagte El-sie. »Dann wurde es abgeschabt, und zwar schnell und oberflachlich, als hatte es jemand sehr eilig gehabt.«
»Willst du damit sagen, da? der Professor es abgeschabt hat?« fragte Chris.
»Ich habe keine Ahnung, wer es abgeschabt hat. Aber es wurde nicht sehr fachmannisch gemacht.«
»Na gut«, sagte Marek. »Es gibt eine Moglichkeit, diese Sache eindeutig und ein fur allemal zu klaren.« Er wandte sich an Stern. »Was ist mit der Tinte, David? Ist sie echt?« Stern zogerte. »Ich bin mir nicht sicher.« »Nicht sicher? Warum nicht?«
»Chemisch gesehen«, sagte Stern, »ist sie genau das, was man erwarten wurde: Eisen in der Form von Eisenoxid, gemischt mit Gallussaure als organischem Bindemittel. Dazu ein wenig Kohlenstoff fur die Schwarze und funf Prozent Saccharose. Damals wurde Zucker benutzt, um die Tinte glanzend zu machen. Es ist also gewohnliche Eisengallustinte, vollig korrekt fur die Zeit. Aber das hei?t noch nicht viel.« »Genau.« Stern wollte damit sagen, da? sie gefalscht werden konnte. »Also habe ich eine Gallussaure- und Eisentitration durchgefuhrt«, sagte Stern, »was ich in zweifelhaften Fallen immer mache. Sie verrat uns exakt das Mengenverhaltnis der Tintenbestandteile. Die Titration deutet darauf hin, da? diese Tinte ahnlich ist wie die Tinte auf den anderen Dokumenten, aber nicht mit ihr identisch.« »Ahnlich, aber nicht identisch«, sagte Marek. »Wie ahnlich?« »Wie ihr wi?t, wurde mittelalterliche Tinte immer kurz vor dem Gebrauch zusammengemischt, weil sie sich nicht hielt. Gallussaure ist organisch — sie wurde aus zermahlenen Eicheln gewonnen -, und das hei?t, da? sie irgendwann schlecht wird. Manchmal fugte man Wein als Konservierungsmittel hinzu. Auf jeden Fall gibt es von einem Dokument zum anderen normalerweise ziemlich starke Abweichungen im Gehalt an Gallussaure und Eisen. Man findet bis zu zwanzig oder drei?ig Prozent Abweichung zwischen zwei Dokumenten. Mit Hilfe dieser Prozentangaben kann man feststellen, ob zwei Dokumente am selben Tag, mit derselben Tinte geschrieben wurden. Diese Tinte hier zeigt eine Abweichung von ungefahr neunundzwanzig Prozent im Vergleich zu den Dokumenten davor und danach in dem Stapel.« »Bedeutungslos«, sagte Marek. »Diese Ziffern bestatigen weder Echtheit noch Falschung. Hast du eine spektrographische Analyse gemacht?« »Ja. Hm eben fertig geworden. Hier sind die Spektren von drei Dokumenten, mit dem des Professors in der Mitte.« Drei Me?kurven mit je einer Reihe von Zacken. »Auch hier wieder: ahnlich, aber nicht identisch.«
»Nicht sehr ahnlich«,sagte Marek und betrachtete die Muster der Zacken. »Weil sich zusatzlich zur Abweichung im Eisengehalt noch eine Menge von Spurenelementen in der Tinte des Professors finden, darunter — was ist das fur eine Spitze zum Beispiel?« »Chrom.«
Marek seufzte. »Was bedeutet, da? sie modern ist.« »Nicht unbedingt, nein.«
»Aber in den beiden anderen Tinten ist kein Chrom.«
»Das stimmt. Aber es findet sich immer wieder Chrom in Manuskripttinten. Ziemlich haufig sogar.«
»Gibt es in diesem Tal Chrom?«
»Nein«, sagte Stern, »aber Chrom wurde in ganz Europa importiert, weil es nicht nur fur Tinten, sondern auch als Tuchfarbstoff verwendet wurde.«
»Aber was ist mit all diesen anderen Verunreinigungen?« fragte Marek und zeigte auf andere Zacken. Er schuttelte den Kopf. »Tut mir leid. Das ist alles nicht schlussig.«
»Ganz meine Meinung«, erwiderte Stern. »Das mu? ein Witz sein.« »Aber sicher wissen wir es erst mit einer Radiokarbondatierung«, sagte Marek. Der C-14-Test wurde es ihnen ermoglichen, sowohl Tinte wie Pergament auf etwa funfzig Jahre genau zu datieren. Das wurde reichen, um die Frage nach einer Falschung zu beantworten. »Und wenn wir gerade dabei sind, wurde ich gerne auch einen Thermoluminiszenz-Test machen und vielleicht eine Laserspek-trographie«, sagte Stern. »Das konnen wir hier nicht.«
»Nein, ich bringe es ruber nach Les Eyzies.« In Les Eyzies, einer Stadt im nachsten Tal, lag das Zentrum fur prahistorische Studien m Sudfrankreich. Dort gab es ein gutausgestattetes Labor, das - und Kahum-Argon- Datierungen sowie Neutronenaktivierungsanalysen und andere komplizierte Tests durchfuhren konnte.
Die Ergebnisse waren zwar nicht so exakt wie die der Labors in Paris oder Toulouse, dafur konnten Wissenschaftler dort in wenigen Stunden eine Antwort erhalten.
»Meinst du, da? du das heute nacht noch schaffst?« »Ich werd's versuchen.«
Chris kam zur Gruppe zuruck, er hatte versucht, den Professor uber ein Handy anzurufen. »Nichts«, sagte er. »Nur seine Mailbox.« »Nun gut«, sagte Marek. »Im Augenblick konnen wir nichts mehr tun. Ich vermute, da? diese Nachricht ein bizarrer Streich ist. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, wer uns den gespielt haben konnte - aber irgend jemand hat es getan. Morgen machen wir den C-14-Test und datieren die Nachricht. Ich bin mir ziemlich sicher, da? sie neu ist. Und bei allem Respekt vor Elsie, ich glaube, da? es eine Falschung ist.« Elsie fing an zu protestieren.
»Aber wie auch immer«, fuhr Marek fort, »wir erwarten morgen einen Anruf vom Professor, und dann konnen wir ihn fragen. Unterdessen wurde ich vorschlagen, da? wir alle zu Bett gehen und uns ausschlafen.«
Im Bauernhaus schlo? Marek leise die Tur, bevor er das Licht einschaltete. Dann sah er sich um.
Das Zimmer war makellos, wie er es erwartet hatte. Es war aufgeraumt wie eine Monchszelle. Neben dem Bett lagen, ordentlich aufgestapelt, funf oder sechs Forschungsberichte. Auf einem Tisch rechts davon lagen neben einem Laptop weitere Papiere. Der Schreibtisch hatte eine Schublade, die Marek nun offnete und kurz durchstoberte. Aber er fand nicht, wonach er suchte.
Als nachstes ging er zum Kleiderschrank. Die Kleidung des Professors hing ordentlich auf Bugeln, mit Platz zwischen den einzelnen Stucken. Marek ging von einem zum anderen und tastete alle Taschen ab, doch er fand noch immer nichts. Vielleicht ist sie nicht da, dachte er. Vielleicht hat er sie nach New York mitgenommen.
Gegenuber der Tur stand eine Spiegelkommode. Er offnete die oberste
Schublade: Munzen in einer kleinen flachen Schale, eine Rolle mit einem Gummiband umwickelte Dollarscheine und ein paar personliche Gegenstande, darunter ein Messer, ein Kugelschreiber und eine
Reserveuhr — nichts Ungewohnliches.
Dann entdeckte er am au?ersten rechten Rand ein Plastiketui.
Er nahm das Etui heraus, offnete es. Das Etui enthielt eine Brille. Er legte die Brille auf die Kommodenplatte.
Die Glaser waren ovale Bifokallinsen.
Er griff in seine Tasche und zog eine kleine Plastiktute hervor. Dann horte er hinter sich ein Knarzen, und als er sich umdrehte, sah er Kate Erickson durch die Tur kommen.
»Durchwuhlst du seine Unterwasche?« fragte sie mit hochgezo-genen Augenbrauen. »Ich habe Licht unter der Tur gesehen. Also habe ich nachgesehen.« »Ohne zu klopfen?«
»Was machst du denn hier drinnen?« fragte sie. Dann sah sie die
Plastiktute. »Ist es das, was ich glaube?«
»Ja.«
Mit einer Pinzette holte Marek die einzelne Bifokallinse aus der Tute und legte sie neben die Brille des Professors auf die Kommode. »Nicht identisch«, sagte sie. »Aber ich wurde sagen, die Linse gehort ihm.«
»Ich auch.«
»Aber das ist es doch, was du die ganze Zeit gedacht hast, oder? Ich meine, er ist der einzige im Team, der eine Bifokallinse tragt. Die
Verunreinigung mu? von seiner Brille stammen.«
»Aber es ist keine Verunreinigung«, erwiderte Marek. »Die Brille ist alt.«
»Was?«
»David sagt, der wei?e Rand ist Bakterienwachstum. Die Linse ist nicht modern, Kate. Sie ist alt.«
Sie sah sie sich genau an. »Das kann nicht sein«, sagte sie. »Schau dir nur den Schliff an. Der ist bei der Brille des Professors und dieser
Linse identisch. Sie mu? modern sein.«
»Ich wei?, aber David besteht darauf, da? sie alt ist.«
»Wie alt?«
»Das kann er nicht sagen.« »Er kann sie nicht datieren?«
Marek schuttelte den Kopf. »Nicht genug organisches Material.« »Dann bist du also«, sagte sie, »in dieses Zimmer gekommen, weil...« Sie hielt inne und starrte zuerst die Brille an und dann ihn. Sie runzelte die Stirn. »Ich