stimmte. Der Mann stand in den Uberresten der Kuche. Das war deutlich zu sehen an den drei Ofen, die in der linken Wand noch immer zu erkennen waren. Und die Steinrinne, die Wasser in die Kuche geleitet hatte, ragte direkt hinter dem Mann aus der Wand.

»Was hat man im Festsaal gemacht?« fragte seine Tochter.

»Hier wurden Bankette abgehalten, und hier haben Ritter, die zu Besuch kamen, dem Konig ihre Reverenz erwiesen.«

Kate seufzte. Es gab keine Hinweise darauf, da? je ein Konig in La Roque gewesen war. Im Gegenteil, die Dokumente deuteten daraufhin, da? die Festung immer eine private Burg gewesen war, erbaut im elften Jahrhundert von einem gewissen Armand de Clery und Anfang des vierzehnten Jahrhunderts umgebaut und starker befestigt mit einem zusatzlichen au?eren Mauerring und weiteren Zugbrucken. Diese Umbauten wurden ausgefuhrt von einem Ritter namens Francois le Gros, oder Francis dem Fetten, um das Jahr 1302 herum. Trotz seines Namens war Francois ein englischer Ritter, und seine Umbauten waren bestimmt vom neuen Stil englischer Burgen, den Edward I. gepragt hatte. Die edwardischen Burgen waren sehr gro?, mit weiten Hofen und komfortablen Gemachern fur den Burgherrn. Dies sagte Francois sehr zu, der nach allen Quellen eine kunstlerische Ader, einen Hang zur Faulheit und au?erdem bestandige Geldprobleme hatte. Francois war gezwungen, seine Burg zu verpfanden und spater sogar zu verkaufen. Wahrend des Hun-dertjahrigen Kriegs wurde La Roque beherrscht von einer ganzen Reihe von Rittern. Aber die Befestigungen hielten: Die Burg wechselte nie nach einer Schlacht den Besitzer, sondern immer nur nach geschaftlichen Transaktionen.

Was nun den Festsaal anging, den sah Kate etwas weiter links, nur noch brockelnde Mauern, die aber noch immer einen sehr gro?en Raum umrissen, beinahe drei?ig Meter lang. Der riesige offene Kamin — drei Meter hoch und vier Meter breit - war noch zu erkennen. Kate wu?te, da? ein Saal dieser Gro?e immer Steinwande und ein Holzdach gehabt hatte. Und jetzt, da sie genau hinsah, konnte sie wirklich am oberen Mauerrand Einkerbungen erkennen, in die man die machtigen Querbalken eingepa?t hatte. Daruber hatten wohl Kreuzverstrebungen in die Hohe geragt, die das Dach stutzten.

Eine britische Reisegruppe zwangte sich auf der schmalen Mauerkrone an ihr vorbei. Sie horte die Fuhrerin erzahlen: »Diese Festungsmauer wurde von Sir Francis dem Bosen im Jahr 1363 errichtet. Francis war wirklich ein durch und durch gemeiner Kerl. In seinen riesigen Verliesen qualte er gern Manner und Frauen und sogar Kinder. Wenn Sie jetzt nach links schauen, sehen Sie den Sprung der Liebe, wo Madame de Renaud zu Tode sturzte, entehrt, weil sie schwanger war vom Stallburschen ihres Gatten. Es ist jedoch noch immer nicht klar, ob sie sprang oder von ihrem erzurnten Gemahl gesto?en wurde...« Kate seufzte. Wo hatten sie nur immer diese Marchen her? Sie wandte sich wieder ihrem Skizzenblock zu und zeichnete weiter an ihrem Grundri? der Anlage. Auch diese Burg hatte ihre Geheimgange. Aber Francis der Fette war ein geschickter Architekt gewesen. Seine Geheimgange dienten vorwiegend Verteidigungszwecken. Ein Gang fuhrte von der Mauerkrone zur entfernten Wand des Festsaals und hinten am Kamin vorbei. Ein anderer folgte der Brustwehr auf der sudlichen Mauerkrone.

Aber den wichtigsten Geheimgang hatte sie noch nicht entdeckt. Nach Froissart, einem Geschichtsschreiber des vierzehnten Jahrhunderts, war eine Belagerung der Burg von La Roque nie erfolgreich gewesen, weil die Angreifer den Geheimgang nicht finden konnten, durch den Nahrung und Wasser in die Burg geschafft wurden. Es ging das Gerucht, da? dieser Geheimgang eine Verbindung hiatte zu dem Geflecht von Hohlen im Kalkstein unter der Burg, und auch, da? er sich uber eine ziemliche Entfernung erstreckte und in einer verborgenen Offnung im Felsabhang endete. Irgendwo.

Der einfachste Weg, ihn zu finden, ware es, das Ende des Gangs in der Burg zu lokalisieren und ihm dann bis zum Anfang zu folgen. Aber um diese Offnung zu finden, brauchte sie technische Hilfe. Das Beste ware wahrscheinlich ein Bodenradar. Aber fur eine solche Untersuchung brauchte sie die Burg leer. Montags war sie fur die Offentlichkeit geschlossen; vielleicht schafften sie es nachsten Montag, wenn -Ihr Funkgerat knisterte. »Kate?« Es war Marek.

Sie nahm es vom Gurtel und druckte die Sprechtaste. »Ja? Kate hier.« »Komm sofort ins Bauernhaus. Es ist ein Notfall.« Und damit schaltete er ab.

Drei Meter unter Wasser horte Chris Hughes das gurgelnde Zischen seines Regulators, wahrend er die Leine kontrollierte, die ihn in der starken Stromung der Dordogne an Ort und Stelle hielt. Das Wasser war an diesem Tag relativ klar, die Sichtweite betrug ungefahr drei Meter, und er konnte am Wasserrand den gesamten machtigen Pfeilersockel der befestigten Muhlenbrucke erkennen. Vom Sockel weg fuhrte eine Spur gro?er, behauener Steine in gerader Linie quer uber den Flu?. Diese Steine waren die Uberreste des fruheren Bruckenbogens.

Chris bewegte sich an dieser Linie entlang und untersuchte sorgfaltig die Steine. Er suchte sie nach Einkerbungen oder Vertiefungen ab, die ihm helfen wurden zu bestimmen, wo Holz verwendet worden war. Hin und wieder versuchte er, einen Stein umzudrehen, aber das war unter Wasser ziemlich schwierig, weil er den richtigen Angriffspunkt nicht fand.

Uber ihm auf der Wasseroberflache dumpelte ein Plastikflo? mit der rotgestreiften Taucherflagge. Eigentlich diente es dazu, ihn vor den Kajaktouristen zu schutzen. Zumindest in der Theorie.

Er spurte einen plotzlichen Ruck, der ihn vom Grund hochri?. Er tauchte auf und stie? sich den Kopf am gelben Rumpf eines Kajaks. Der Fahrer klammerte sich am Plastikflo? fest und rief ihm etwas zu, das wie Deutsch klang.

Chris zog sein Mundstuck heraus und sagte: »Wurden Sie das bitte in Ruhe lassen!«

Als Antwort kam ein Schwall in Deutsch. Der Kajakfahrer deutete erregt zum Ufer.

»Hor mal, Kumpel, ich wei? nicht, was du —«

Doch der Mann horte nicht auf zu rufen und mit ausgestrecktem Zeigefinger zum Ufer zu deuten. Chris sah in diese Richtung.

Einer der Studenten stand am Ufer und hielt ein Funkgerat in die Hohe. Er rief etwas. Chris brauchte einen Augenblick, bis er verstand. »Marek will, da? du zum Bauernhaus kommst. Sofort.« »Mein Gott, wie war's in einer halben Stunde, wenn ich hier fertig -« »Er sagt sofort.«

Dunkle Wolken hingen uber den fernen Tafelbergen, es sah aus, als wurde es bald regnen. Doniger sa? in seinem Buro und legte eben den Horer auf. »Sie kommen«, sagte er.

»Gut«, entgegnete Diane Kramer. Sie stand vor seinem Schreibtisch,

die Berge im Rucken. »Wir brauchen ihre Hilfe.«

»Leider ja«, sagte Doniger. Er stand auf und ging im Buro auf und ab.

Er war immer ruhelos, wenn er intensiv nachdachte.

»Ich verstehe nur nicht, wie wir den Professor uberhaupt verlieren konnten«, sagte Kramer. »Offensichtlich ist er in die Welt getreten.

Obwohl du ihm gesagt hast, er soll es nicht tun. Obwohl du ihm geraten hast, er soll uberhaupt nicht reisen. Trotzdem ist er anscheinend in die

Welt getreten.«

»Wir wissen nicht, was passiert ist«, sagte Doniger. »Wir haben nicht den blassesten Schimmer.«

»Au?er dem, da? er eine Nachricht geschrieben hat«, sagte Kramer.

»Ja. Nach Kastner. Wann hast du mit ihr gesprochen?«

»Gestern abend«, sagte Kramer. »Sie rief mich an, sobald sie es wu?te.

Sie ist fur uns eine sehr verla?liche Verbindung, und sie -«

»Egal«, sagte Doniger und wedelte gereizt mit der Hand. »Das ist nicht der Kern.«

Das war der Ausdruck, den Doniger immer verwendete, wenn er etwas fur irrelevant hielt. »Was ist der Kern?« fragte Kramer.

»Ihn zuruckzuholen«, antwortete Doniger. »Es ist au?erst wichtig, da? wir den Mann zuruckbekommen. Das ist der Kern.«

»Keine Frage«, sagte Kramer. »Au?erst wichtig.«

»Personlich halte ich den alten Knacker ja fur ein Arschloch«, sagte Doniger. »Aber wenn wir ihn nicht zuruckbekommen, ist das ein

PR-Alptraum.«

»Ja. Hin Alptraum.«

»Aber ich kann damit umgehen.«

»Du kannst damit umgehen, da bin ich mir sicher.«

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