An einer anderen Wand stand ein schlichter Holztisch mit Stapeln von Oltuchblattern und Manuskriptbundeln,
die mit Hanfschnur verknotet waren. Daneben befand sich ein niedriges Mauerchen, auf dem ein einzelner Manuskriptstapel lag — und die Linse aus der Brille des Professors, die im Licht der Fackel funkelte. »Er mu? sie gestern verloren haben«, sagte Kate. »Anscheinend haben die Soldaten ihn hier unten gefangengehalten.«
»Wahrscheinlich.« Sie sah zu, wie Marek in dem Stapel blatterte. Die Nachricht des Professors fand er sehr schnell, dann wandte er sich dem vorangehenden Blatt zu. Stirnrunzelnd starrte er es im Schein der Fackel an.
»Was ist das?« fragte sie.
»Eine Beschreibung«, antwortete er. »Eines unterirdischen Flusses, und... hier ist es.« Er deutete auf den Rand des Manuskripts, wo jemand eine lateinische Notiz hingeworfen hatte.
»Hier steht: >Marcellus hat den Schlussel/« Er deutete mit dem Finger auf das Manuskript. »Und hier steht noch was uber, ah, eine Tur oder Offnung, und gro?e Fu?e.« »Gro?e Fu?e?«
»Moment mal«, sagte er. »Nein, das ist es nicht.« Jetzt fiel ihm wieder ein, was Elsie gesagt hatte. »Es hei?t >Fu?e eines Riesen<, Riesenfu?e.«
»Fu?e eines Riesen?« wiederholte Kate und sah ihn zweifelnd an. »Bist du sicher, da? das stimmt?« »Das steht hier.«
»Und was ist das?« fragte sie. Unter seinem Finger standen zwei Worter, eins unter dem anderen: DESIDE VIVIX
»Jetzt fallt's mir wieder ein«, sagte Marek. »Elsie sagte, sie kenne dieses Wort nicht,
Mit seinem Dolch schnitt er eine Ecke von dem Pergament ab, ritzte die zwei Worter in das Material, faltete es zusammen und steckte es sich in die Tasche.
»Was hei?t das?« fragte Kate.
Marek schuttelte den Kopf. »Absolut keine Ahnung.«
»Es wurde am Rand hinzugefugt«, sagte sie. »Vielleicht hat es
uberhaupt keine Bedeutung. Vielleicht ist es nur ein Gekritzel oder eine
Berechnung oder so was Ahnliches.«
»Das bezweifle ich.«
»Aber die Leute haben doch sicher auch damals schon gekritzelt.«
»Ich wei?, aber das sieht nicht aus wie Gekritzel, Kate. Das ist eine ernsthafte Notiz.« Er wandte sich wieder dem Manuskript zu und fuhr mit dem Finger uber die Zeilen. »Okay. Okay... Hier steht:
»Die grune Kapelle?« fragte sie mit seltsamer Stimme.
Marek nickte. »Genau. Aber hier steht nicht, wo die Kapelle ist.« Er seufzte. »Wenn der Gang wirklich eine Verbindung mit den
Kalksteinhohlen hat, konnte der Eingang uberall sein.«
»Nein, Andre«, sagte Kate. »Ist er nicht.«
»Was meinst du damit?«
»Ich meine«, sagte sie, »da? ich wei?, wo die grune Kapelle ist.« Kate berichtete: »Sie war auf den Lageplanen fur das Dordogne-Projekt verzeichnet - sie ist nur eine Ruine, knapp au?erhalb der Ausgrabungsstatte. Ich erinnere mich, da? ich gefragt hatte, warum sie nicht in das Projekt mit einbezogen wurde, weil sie doch so nahe dran lag. Auf der Karte wurde sie als
»Wei?t du noch genau, wo sie liegt?«
»Nicht genau, nur da? sie in dem Wald ungefahr einen Kilometer nordlich von Bezenac liegt.«
»Dann ist es moglich«, sagte Marek. »Ein tausend Meter langer Tunnel ist moglich.«
Hinter sich horten sie nun plotzlich den Larm von Soldaten, die in den Keller eindrangen. »Zeit zu gehen.«
Er fuhrte sie nach links, in den Korridor, der an der Treppe endete. Als Kate sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie in einem Erdhaufen verschwunden. Jetzt fuhrte sie direkt zu einer holzernen Falltur. Marek stieg die Stufen hoch und druckte die Schulter gegen die Tur. Sie ging leicht auf. Sie sahen grauen Himmel und Rauch. Marek kletterte ins Freie, und sie folgten ihm.
Sie kamen in einem Obstgarten heraus, in dem die Baume mit ihren leuchtend grunen Fruhlingsblattern in ordentlichen Reihen standen. Zwischen den Baumen hindurch kamen sie schlie?lich zur Klostermauer. Sie war vier Meter hoch, zu hoch, um daruber zu klettern. Aber sie kletterten auf die Baume und von dort auf die Mauerkrone und sprangen auf der anderen Seite zu Boden. Direkt vor ihnen lag ein dichter Wald. Sie liefen darauf zu und tauchten wieder einmal in das dunkle Laubwerk ein.
Im ITC-Labor trat David Stern ein paar Schritte von dem Prototypen weg. Er sah sich das kleine, mit Klebeband umwickelte elektronische Bundel an, das er in den letzten funf Stunden gebaut und getestet hatte. »Das war's«, sagte er. »Damit konnen wir ihnen eine Nachricht schicken.«
Es war inzwischen Nacht geworden; vor den Fenstern des Labors war es dunkel. »Wie spat ist es bei denen?« fragte er.
Gordon zahlte es an den Fingern ab. »Sie sind um acht Uhr morgens angekommen. Inzwischen sind siebenundzwanzig Stunden vergangen.
Also ist es jetzt elf Uhr vormittags am nachsten Tag.«
»Okay. Das sollte okay sein.«
Stern hatte es geschafft, dieses elektronische Kommunikationsgerat zu bauen, obwohl Gordon stur darauf beharrt hatte, da? das unmoglich sei. Gordon hatte gesagt, man konne ihnen keine Nachricht schicken, weil man nicht wisse, wo die Maschine lande. Statistisch gesehen, war es mehr als wahrscheinlich, da? die Maschine an einem Ort landen wurde, wo sie sich nicht befanden. Sie wurden diese Nachricht deshalb nie sehen. Das zweite Problem war, da? man keine Moglichkeit hatte, herauszufinden, ob sie die Nachricht erhalten hatten oder nicht. Aber Stern hatte diese beiden Probleme auf hochst simple Art gelost. Seine Vorrichtung bestand aus einem Sender-Empfanger-Ohrstopsel, wie jene, die seine Freunde bereits trugen, und zwei kleinen Kassettenrecordern.
Der eine Recorder enthielt die Nachricht, die uber den Ohr-
Stopselsender ausgestrahlt wurde. Der zweite Recorder nahm jede Nachricht auf, die an den Ohrstopselempfanger ubermittelt wurde. Das ganze Ding war, wie Gordon es bewundernd nannte, ein Mul- tiversums -Anrufbeantworrer.
Stern sprach nun folgende Nachricht auf den ersten Recorder: »Hier ist David. Ihr seid jetzt siebenundzwanzig Stunden weg. Versucht nicht, fruher als in funf Stunden zuruckzukommen. Erst dann sind wir wieder fur euch bereit. Aber teilt uns mit, ob bei euch alles in Ordnung ist. Redet einfach, was ihr sagt, wird aufgenommen. Macht's gut und bis bald.«
Stern horte die Nachricht noch einmal ab und sagte dann: »Okay, dann wollen wir's mal losschicken.«
Gordon druckte einige Knopfe auf der Kontrollkonsole. Die Maschine begann zu summen und erstrahlte in blauem Licht.
Als Stern Stunden zuvor mit der Arbeit an diesem Gerat begonnen hatte,
war seine einzige Sorge die gewesen, da? seine Freunde wahrscheinlich gar nicht wu?ten, da? sie nicht zuruckkehren konnten.
Er konnte sich gut vorstellen, da? sie in eine Notlage gerieten,
vielleicht von allen Seiten angegriffen wurden, und im letzten
Augenblick die Maschine riefen, weil sie ja annahmen, da? sie sofort zuruckkehren konnten. Stern dachte deshalb, man sollte ihnen mitteilen,
da? sie, zumindest im Augenblick, nicht zuruckkehren konnten.
Das war seine erste Sorge gewesen. Doch jetzt hatte er eine zweite,
noch viel gro?ere Sorge. Die Luft in der Hohle war seit ungefahr sechzehn Stunden ausgetauscht. Jetzt befanden sich Arbeitstrupps in der