Chris schuttelte den Kopf. »Unmoglich«, sagte er. Die Bruckenpfeiler ragten senkrecht aus dem Wasser, die Steine waren grun und schlupfrig vor Algen. »Wir konnen da nie hochklettern.« »Wer hat denn was von Klettern gesagt?« fragte Marek.
Chris blieb die Luft weg, als er die Kalte des Wassers spurte. Marek stie? sich bereits vom Ufer ab und lie? sich von der Stromung flu?abwarts treiben. Kate war direkt hinter ihm, sie schwamm ein Stuck nach rechts und versuchte, sich in der Flu?mitte zu halten. Chris folgte ihnen, warf aber immer wieder nervose Blicke zum Flu?ufer. Bis jetzt hatten die Soldaten sie noch nicht entdeckt. Das Rauschen des Flusses klang laut in seinen Ohren, er horte nichts anderes. Jetzt drehte er den Kopf nach vorn, konzentrierte sich nur noch auf die immer naher kommende Brucke. Er spurte, wie sein Korper sich anspannte. Er hatte nur eine einzige Chance — wenn er die verpa?te, wurde die Stromung ihn flu?abwarts treiben, und es war unwahrscheinlich, da? er es zuruck zur Brucke schaffte, ohne gefangengenommen zu werden. So war es also. Eine einzige Chance.
Kleine Steinmauern ragten von den Ufern in den Flu?, um die Stromung zu beschleunigen, und er spurte, da? er immer schneller wurde. Direkt vor ihm war eine gemauerte Wasserrutsche, die direkt auf die Schaufelrader zufuhrte. Sie befanden sich jetzt im Schatten der Brucke. Alles ging sehr schnell. Der Flu? war wei?e Gischt und brausendes Tosen. Als er naher kam, horte er das Knarzen der holzernen Rader. Marek erreichte das erste Rad; er packte eine Speiche, schwang sich herum, stellte sich auf eine Schaufel und lie? sich vom Rad in die Hohe tragen, bis er nicht mehr zu sehen war. Bei ihm sah es ganz einfach aus.
Jetzt hatte Kate das zweite Rad in der Mitte der Brucke erreicht. Behende griff auch sie nach einer aufsteigenden Speiche, doch sie drohte ihr wieder zu entgleiten, und nur mit aller Kraft konnte sie sich daran festklammern. Schlie?lich schwang auch sie sich auf eine Schaufel und kauerte sich hin.
Chris glitt die Wasserrutsche hinunter und grunzte, als sein Korper uber die Steine holperte. Das Wasser um ihn herum kochte wie in einer Stromschnelle, die Stromung trug ihn schnell auf das sich drehende Rad zu.
Jetzt war er an der Reihe. Das Rad war sehr nahe.
Chris griff nach einer aus dem Wasser auftauchenden Speiche, schlo? die Hand darum - sie war kalt und schlupfrig - Splitter stachen ihn in die Finger — er verlor den Halt — griff mit der andern Hand zu -verzweifelt — die Speiche stieg in die Luft — er konnte sich nicht festhalten — lie? los, fiel ins Wasser zuruck - griff nach der nachsten Speiche — verfehlte sie —
Er hatte seine einzige Chance verpa?t.
Die Stromung trieb ihn weiter. Weg von der Brucke, weg von den anderen.
Er war auf sich allein gestellt.
Kate schob ein Knie auf die Schaufel des Wasserrads und spurte, wie sie aus dem Wasser gehoben wurde. Dann zog sie das zweite Knie nach, kauerte sich hin und lie? sich so in die Hohe tragen. Als sie nach unten schaute, sah sie gerade noch, wie Chris flu?abwarts getrieben wurde, sein Kopf tanzte auf den Wellen im Sonnenlicht. Dann trug das Rad sie immer hoher und in die Muhle hinein.
Sie sprang
Direkt vor sich sah sie eine niedrige Tur. Sie packte ihren Dolch und schob die Tur langsam auf.
Mehl rieselte in einer holzernen Rinne von der Decke herab in einen quadratischen holzernen Behalter neben ihr auf dem Boden. In einer Ecke waren Sacke mit Mehl zu einem hohen Stapel aufgeschichtet. Die Luft war dunstig vor gelbem Staub. Staub bedeckte die Wande, alle Oberflachen und die Leiter in einer Ecke, die ins Obergescho? fuhrte. Sie erinnerte sich, da? Chris ihr gesagt hatte, dieser Staub sei explosiv und eine einzige Flamme konne das ganze
Gebaude in die Luft jagen. Und tatsachlich sah sie nirgendwo eine Kerze und auch keine Kerzenhalter an den Wanden. Nirgendwo offenes Feuer.
Vorsichtig schlich sie auf die Leiter zu. Erst als sie dort war, sah sie die zwei Manner, die laut schnarchend, mit leeren Weinflaschen zu ihren Fu?en, auf den Sacken lagen. Keiner von beiden gab irgendein Zeichen des Aufwachens von sich. Sie stieg die Leiter hoch.
Sie kam an einem rotierenden Muhlstein aus Granit vorbei, der sich laut knirschend gegen einen darunterliegenden drehte. Das Getreide rieselte durch eine Art Trichter in ein Loch in der Mitte des oberen Steins. Das Mehl kam an den Seiten heraus und flo? durch ein Loch im Boden in die Rinne, die ins Erdgescho? fuhrte.
In der Ecke des Raums sah sie Marek, der uber der Leiche eines auf dem Boden liegenden Soldaten kauerte. Er hielt sich den Finger an die Lippen und deutete zu der Tur auf der rechten Seite. Kate horte Stimmen: die Soldaten im Wachturm. Leise zog Marek die Leiter hoch und klemmte sie vor die Tur, um sie zu blockieren. Gemeinsam nahmen sie dem Soldaten sein Breitschwert, den Bogen und den Kocher mit Pfeilen ab. Die Leiche war schwer, und es war uberraschend schwierig, ihm die Waffen abzunehmen. Es schien ewig zu dauern. Kate sah sich das Gesicht des Mannes an — er hatte einen Zwei-Tage-Bart und ein Geschwur auf den Lippen. Seine Augen waren braun und starrten blicklos.
Sie schrak hoch, als der Mann plotzlich die Hand hob, aber sie war blo? mit ihrem feuchten Armel an seiner Armschiene han-gengeblieben. Sie zog den Armel zuruck, und sein Arm plumpste zu Boden. Marek nahm das Breitschwert des Mannes und warf Kate den Bogen und die Pfeile zu.
An einer Reihe Haken an der Wand hingen wei?e Monchskutten. Marek zog sich eine uber und gab ihr eine zweite.
Jetzt deutete er nach links, zu der Rampe, die in das zweite Gebaude fuhrte. Zwei Soldaten in Kastanienbraun und Grau standen auf der Rampe und versperrten ihnen den Weg.
Marek sah sich um, fand einen kraftigen Stock, der zum Kuhren des Mahlguts verwendet wurde, und gab ihn Kate. In der Ecke ent-deckte er einige Weinflaschen. Er nahm zwei, offnete die Tur, sagte etwas auf provenzalisch zu den Soldaten und schwenkte die Weinflaschen. Die Soldaten kamen sofort herbeigelaufen. Marek schob Kate neben die Tur und sagte nur ein Wort:
Marek nickte, versteckte sein Breitschwert unter der Kutte und ging, den Kopf wie ein Monch leicht gesenkt, die Rampe hinunter. Kate folgte ihm.
Sie wagte es nicht, zu den Soldaten auf den Wachturmen hochzusehen. Den Kocher hatte sie unter ihrer Kutte versteckt, aber den Bogen rnu?te sie au?en tragen, so da? jeder ihn sehen konnte. Sie wu?te nicht, ob jemand sie bemerkt hatte. Sie kamen zu dem zweiten Gebaude, und Marek blieb vor der Tur stehen. Sie horchte, horte aber nichts au?er einem lauten, monotonen Schlagen und dem Rauschen des Flusses. Marek offnete die Tur.
Hustend und spuckend trieb Chris auf dem bewegten Flu?. Die Stromung war zwar langsamer geworden, aber er war bereits hundert Meter von der Muhle entfernt. Auf beiden Ufern des Flusses standen Arnauts Manner herum, sie rechneten offensichtlich mit dem baldigen Befehl zum Angriff auf die Brucke. Eine gro?e Anzahl Pferde wartete, gehalten von Knappen, etwas abseits.
Die von der Wasseroberflache reflektierten Strahlen der Sonne stachen Arnauts Manner in die Augen. Chris sah, wie sie die Augen zusammenkniffen und sich vom Flu? abwandten. Das grelle Funkeln war vermutlich der Grund, warum sie ihn nicht gesehen hatten, erkannte er.
Ohne zu spritzen oder die Anne aus dem Wasser zu heben, schaffte er es ans Nordufer der Dordogne und legte sich unter die uberhangenden Busche am Wasserrand. Hier wurde ihn niemand sehen. Er konnte kurz Atem holen. Und er mu?te auf dieser Seite des Flusses — der franzosischen Seite — sein, wenn er Andre und Kate wiedertreffen wollte.
Das hie?, falls sie es schafften, lebend aus der Muhle herauszukommen. Chris wu?te nicht, wie ihre