Chancen standen. In der Muhle wimmelte es von Soldaten.
Und dann fiel ihm ein, da? Marek noch immer den Keramikmarker hatte. Wenn Marek starb oder verschwand, wurden sie nie mehr nach Hause kommen. Aber das schaffen wir wahrscheinlich sowieso nicht, dachte er.
Etwas stie? gegen seinen Hinterkopf. Als er sich umdrehte, sah er eine vom Faulgas geblahte Ratte auf dem Wasser treiben. Vor Ekel ware er am liebsten sofort aus dem Wasser gesprungen. Doch erst sah er sich um. Wo er sich jetzt befand, waren keine Soldaten. Sie standen etwa zwolf Meter entfernt im Schatten einer Eiche. Er stieg aus dem Wasser und lie? sich im Unterholz auf die Erde sinken. Die Sonne schien warm auf seinen Korper. Er horte die Soldaten lachen und scherzen und wu?te, da? er sich einen geschutzteren Platz suchen sollte. Wo er jetzt lag, zwischen niederen Buschen dicht am Ufer, wurde ihn jeder, der den Pfad am Flu? entlangging, sehen. Aber wahrend er sich langsam aufwarmte, spurte er auch, da? die Erschopfung ihn uberwaltigte. Die Lider wurden ihm schwer, die Glieder ebenfalls, und obwohl er sich der Bedrohung bewu?t war, beschlo? er, fur ein paar Minuten die Augen zu schlie?en. Nur ein paar Minuten.
Der Larm im Inneren der Muhle war ohrenbetaubend. Kate zuckte zusammen, als sie die Galerie im Obergescho? des Gebaudes betrat und nach unten schaute. Von einer Stirnseite zur anderen verlief eine Doppelreihe von Fallhammern, die auf Ambosse niedersausten und das monotone Schlagen produzierten, das von den Wanden widerhallte. Neben jedem Ambo? standen eine Wanne mit Wasser und eine
Pfanne mit gluhenden Kohlen. Das war ganz offensichtlich eine Schmiede, wo Stahl durch abwechselndes Erhitzen, Hammern und Kuhlen in Wasser vergutet wurde; die Wasserrader lieferten dazu die Energie fur die Hammer.
Doch jetzt knallten die Fallhammer unbewacht auf die Ambosse, wahrend sieben oder acht Soldaten in Kastanienbraun und Grau jeden Winkel des Raums absuchten, unter den rotierenden Zylindern und den niedersausenden Hammern nachschauten, die Wande nach Geheimfachern abtasteten und in den Werkzeugkisten stoberten. Kate war sich ganz sicher, wonach sie suchten: nach Bruder Marcels Schlussel.
Marek wandte sich ihr zu und bedeutete ihr, da? sie die Treppe hinunter und zu einer Seitentur gehen sollten, die einen Spalt offenstand. Es war die einzige Tur in der Seitenwand, sie hatte kein Schlo?, und dahinter lag mit gro?er Wahrscheinlichkeit Marcels Zimmer. Und offensichtlich war es bereits durchsucht worden. Aus irgendeinem Grund schien Marek dies nichts auszumachen, denn er bewegte sich sehr zielstrebig darauf zu. Am Fu? der Treppe zwangten sie sich an den larmenden Fallhammern vorbei und schlupften in Marcels Zelle. Marek schuttelte den Kopf.
Es war wirklich eine Monchszelle, sehr klein und auffallend karg mobliert: nur eine schmale Pritsche, eine Schussel mit Wasser und ein Nachttopf. Neben der Pritsche stand ein winziger Tisch mit einer Kerze. Das war alles. Auf einem Haken an der Tur hingen zwei von Marcels wei?en Roben. Sonst nichts.
Ein Blick genugte, um zu erkennen, da? sich in dieser Kammer keine Schlussel befanden. Und falls welche hier gewesen waren, dann hatten die Soldaten sie bereits gefunden.
Trotzdem kniete Marek zu Kates Uberraschung sich hin und suchte methodisch unter dem Bett.
Marek erinnerte sich daran, was der Abt gesagt hatte, kurz bevor er getotet wurde.
Der Abt wu?te nicht, wo sich der Geheimgang befand, aber er wollte es unbedingt herausfinden, um es Arnaut verraten zu konnen. Der Abt hatte den Professor ermutigt, die alten Dokumente durchzusehen - was durchaus einen Sinn ergab, falls Marcel so verwirrt war, da? er niemandem mehr sagen konnte, was er alles getan hatte. Der Professor hatte ein Dokument gefunden, in dem ein Schlussel erwahnt wurde, und er schien zu glauben, da? dies eine wichtige Entdeckung war. Doch der Abt war ungeduldig gewesen: »Naturlich gibt es einen Schlussel. Marcel hat viele Schlussel...« Der Abt hatte also bereits von der Existenz eines Schlussels gewu?t. Er hatte gewu?t, wo der Schlussel war. Aber er konnte trotzdem nichts damit anfangen. Warum nicht?
Kate tippte Marek auf die Schulter. Er drehte sich um und sah, da? sie die wei?en Kutten beiseite geschoben hatte. Auf der Ruckseite der Tur sah er drei eingeschnitzte Muster, romisch wirkende Zeichen. Die Muster besa?en etwas Strenges, beinahe Dekoratives, das deutlich unmittelalterlich wirkte.
Und dann erkannte er, da? diese Zeichen keine Muster und keine Verzierungen waren. Sie waren erklarende Diagramme. Sie waren Schlussel.
Das Diagramm, das ihn besonders fesselte, war das dritte, auf der au?ersten rechten Seite. Es sah so aus: vft
Das Diagramm war schon vor vielen Jahren in das Holz der Tur geschnitzt worden. Die Soldaten hatten es zweifellos gesehen. Aber wenn sie noch immer suchten, hatten sie nicht begriffen, was es bedeutete. Aber Marek begriff.
Kate starrte ihn an und formte lautlos die Worte:
Denn jetzt war ihm alles klar.
VIVIX war nicht im Lexikon zu finden, weil es kein Wort war. Es war eine Reihe von Zahlen: V, IV und IX. Und diese Zahlen waren mit Richtungsanweisungen verbunden, die im Text des Pergaments verschlusselt waren: DESIDE. Was ebenfalls kein Wort war, sondern fur DExtra, SInistra, DExtra stand, die lateinischen Worter fur »rechts, links, rechts«.
Der Schlussel war also folgenderma?en zu lesen: Wenn du in der
Kapelle bist, gehe funf Schritte nach rechts, vier Schritte nach links und neun Schritte nach rechts.
Und das brachte einen zum Geheimgang.
Marek grinste Kate an.
Wonach jedermann suchte, hatten sie nun endlich gefunden. Sie hatten den Schlussel zu La Roque gefunden.
09:10:23
Jetzt mu?ten sie es nur noch lebendig aus der Muhle schaffen, dachte
Kate. Marek ging zur Tur und spahte vorsichtig in den Hauptraum zu den Soldaten hinaus. Sie trat an seine Seite.
Kate zahlte neun Soldaten. Plus de Kere. Insgesamt also zehn.
Zehn gegen zwei.
Die Soldaten schienen ihre Suche nicht mehr sonderlich ernst zu nehmen. Sie sahen einander uber die Fallhammer hinweg an und zuckten die Achseln, als wollten sie sagen: Was soll denn das? Wir sind doch hier fertig.
Es war offensichtlich, da? die beiden nie unentdeckt aus dem Gebaude hinauskommen wurden.
Marek deutete zur Treppe, die zur oberen Rampe fuhrte. »Du laufst direkt zur Treppe und dann raus«, sagte er. »Ich gebe dir Ruckendeckung. Spater treffen wir uns dann flu?abwarts am Nordufer wieder. Okay?«
Kate sah sich die Soldaten an. »Das waren zehn gegen einen. Ich bleibe«, sagte sie.
»Nein. Einer von uns mu? hier rauskommen. Ich schaffe das schon. Du gehst.« Er griff in die Tasche. »Und nimm das mit.« Er hielt ihr den Keramikmarker hin.
Es uberlief sie eiskalt. »Warum, Andre?«
Sie traten in den Hauptraum. Kate lief sofort zur Treppe, um auf dem Weg zu fluchten, den sie gekommen war. Marek durchquerte den Raum in Richtung der Fenster, die auf den Flu? hinaussahen. Kate war auf halber Hohe der Treppe, als sie einen Schrei horte.
Aus allen Richtungen liefen die Soldaten auf Marek zu, der seine Kapuze abgestreift hatte und bereits mit einem von ihnen kampfte. Kate zogerte nicht lange. Sie zog den Kocher unter ihrer Kutte hervor, legte einen Pfeil auf die Sehne und spannte den Bogen. Mareks Worte fielen ihr wieder ein:
Ein Soldat rief etwas und zeigte auf sie. Sie zielte auf ihn, der Pfeil traf ihn knapp oberhalb der Schulter in den Hals. Der Mann taumelte nach hinten gegen eine Kohlenpfanne und fiel mit einem Aufschrei in die Glut. Ein zweiter Soldat wich Deckung suchend zuruck, aber Kate scho? ihm mitten in die Brust. Er sackte tot zu Boden. Noch acht.
Marek kampfte gegen drei auf einmal, darunter de Kere. Schwerter klirrten, die Manner tauchten unter heruntersausenden Hammern hindurch und sprangen uber rotierende Kurvenscheiben. Marek hatte bereits einen Soldaten getotet, er lag jetzt hinter ihm. Noch sieben.
Doch dann sah sie, da? der Soldat wieder aufstand; er hatte sich nur tot gestellt und schlich sich jetzt an Marek heran, um ihn von hinten anzugreifen. Kate legte einen neuen Pfeil auf die Sehne und scho?. Der Mann griff