»Worum geht's denn da?« fragte Stern.

»Erschlie?ungsstudien«, sagte Gordon. »Wir machen die fur jedes Projekt. Ziel ist es, die unmittelbare Umgebung jedes histori-sehen Bauwerks prazise zu definieren, damit die Statte selbst fur Touristen und Forscher erhalten bleibt. Es geht dabei um Sichtlinien und solche Sachen.«

»Aber was geht Sie das an?« fragte Stern.

»Das geht uns sogar sehr viel an«, erwiderte Gordon. »Wir geben Millionen aus, bis eine solche Statte komplett restauriert ist. Und wir wollen nicht, da? sie uns mit einem Einkaufszentrum oder einem Haufen Hotelturmen zugestellt wird. Wir versuchen deshalb, gro?raumiger zu planen und die Behorden vor Ort dazu zu bringen, da? sie Richtlinien erlassen.« Er sah Stern an. »Ehrlich gesagt, ich fand das nie besonders interessant.«

»Und was ist mit dem Transitraum? Was ist da los?« »Ich zeig's Ihnen.«

Im Transitraum war aller Schutt geraumt, der Gummiboden geputzt. Wo sich die Saure durch den Gummi gefressen hatte, wurde der Belag von Arbeitern auf Handen und Knien ausgebessert. Zwei der Glasschilde standen an ihrem Platz, und eins wurde eben von einem Mann mit einer starken Vergro?erungsbrille und einer merkwurdigen Lampe mit Aufsatz untersucht. Stern schaute nach oben, denn gerade wurden mit Laufkranen die nachsten gro?en Glasschilde vom zweiten, noch im Aufbau befindlichen Transitbereich herubertransportiert. »Wir haben Gluck, da? wir gerade einen zweiten Transitbereich aufbauen«, sagte Gordon. »Denn sonst hatten wir eine Woche gebraucht, um neue Schilde hier runter zu schaffen. So haben wir die Schilde bereits im Transitraum. Wir mussen sie nur noch hier aufstellen. Das ist wirklich Gluck.«

Stern blickte noch immer nach oben. Erst jetzt erkannte er, wie gro? diese Schilde waren. Die gekrummte Glaswand, die uber ihm hing, war mindestens drei Meter hoch, funf Meter breit und fast sechzig Zentimeter stark. Sie wurden in gepolsterten Schlaufen zu speziellen Befestigungsplatten im Boden transportiert. »Aber«, sagte Gordon, »wir haben keine Ersatzschilde. Wir haben nur einen vollstandigen Satz.« »Und?«

Gordon ging zu einem der Schilde, die bereits an Ort und Stelle standen. »Im Grunde genommen kann man sich diese Dinger als gro?e Flachmanner vorstellen«, sagte Gordon. »Es sind gebogene Behalter, die von oben befullt werden. Und sind sie erst einmal mit Wasser gefullt, sind sie sehr schwer. Ungefahr funf Tonnen pro Stuck. Die Krummung der Schilde erhoht ihre Festigkeit sogar noch. Aber genau wegen dieser Festigkeit mache ich mir Sorgen.« »Warum?« fragte Stern.

»Kommen Sie mal naher.« Gordon fuhr mit dem Finger uber die Glasoberflache. »Sehen Sie diese winzigen Vertiefungen? Diese kleinen grauen Punkte? Die sind so klein, da? man sie nur bemerkt, wenn man ganz genau hinsieht. Aber das sind Fehler, die zuvor noch nicht da waren. Ich glaube, da? durch die Explosion winzige Tropfen Flu?saure in den zweiten Transitbereich gespritzt sind.« »Und das Glas angeatzt haben.«

»Ja. Leicht. Aber wenn diese Vertiefungen das Glas geschwacht haben, konnen die Schilde Risse bekommen, wenn sie mit Wasser gefullt sind und das Glas unter Druck steht. Oder schlimmer noch, der ganze Schild kann bersten.« »Und wenn das passiert?«

»Dann haben wir keine komplette Abschirmung mehr«, sagte Gordon und sah Stern direkt in die Augen. »In diesem Fall konnen wir Ihre Freunde nicht sicher zuruckbringen. Wir wurden zu viele Transkriptionsfehler riskieren.«

Stern runzelte die Stirn. »Haben Sie eine Moglichkeit, die Schilde zu testen? Zu kontrollieren, ob sie halten?«

»Eigentlich nicht, nein. Wir konnen einen Schild einer Festigkeitsprufung unterziehen, wenn wir bereit waren, das Risiko eines Bruchs einzugehen, aber da wir keine Reserveschilde haben, will ich das nicht tun. Statt dessen machen wir eine mikroskopische Sichtprufung mit polarisiertem Licht.« Er deutete auf den Techniker, der mit seiner Spezialbrille das Glas absuchte. »Damit konnen wir vorhandene Spannungstrajektorien — die in Glas immer existieren — aufspuren und ungefahr abschatzen, ob sie brechen oder nicht. Au?erdem hat er eine Digitalkamera, die die Daten direkt in den Computer einspeist.«

»Sie machen eine Computersimulation?« fragte Stern.

»Ja, aber das wird eine sehr grobe«, sagte Gordon. »Bringt wahr-scheinlich gar nichts, weil sie so ungenau ist. Aber ich mache sie trotzdem.«

»Um was fur eine Entscheidung geht es also?« »Wann wir die Schilde fullen sollen.« »Das verstehe ich nicht.«

»Wenn wir sie jetzt fullen und sie halten, dann ist wahrscheinlich alles in Ordnung. Aber sicher wissen wir das nicht. Es kann namlich sein, da? einer der Tanks eine Schwachstelle hat, die erst nach einer gewissen Zeit unter Druck bricht. Das ist ein Argument dafur, die Tanks erst im letzten Augenblick zu fullen.« »Wie schnell konnen Sie sie fullen?«

»Ziemlich schnell. Wir haben hier unten einen Feuerwehrschlauch. Aber um die Beanspruchung moglichst gering zu halten, sollte man sie langsam fullen. In diesem Fall wurde es fast zwei Stunden dauern, um alle neun Schilde zu fullen.«

»Aber bekommen Sie nicht zwei Stunden vor der Landung schon die ersten Feldanomalien?«

»Ja — wenn im Kontrollraum alles funktioniert. Aber der war zehn Stunden lang abgeschaltet. Die Sauredampfe sind bis in den Kontrollraum gedrungen. Es kann sein, da? die Elektronik gelitten hat. Wir wissen nicht, ob alles hundertprozentig funktioniert.« »Jetzt verstehe ich«, sagte Stern. »Und jeder Tank ist anders.« »Genau. Jeder ist anders.«

Das war, dachte Stern, das klassische wissenschaftliche Problem der Umsetzung abstrakter Theorien in die Praxis. Risiken und Unsicherheiten abwagen. Die meisten Menschen begriffen gar nicht, da? die meisten wissenschaftlichen Probleme sich so darstellten. Saurer Regen, globale Erwarmung, nachhaltige Entwicklung, Krebsrisiken - diese komplexen Fragen waren fast immer ein Balanceakt, eine Frage der richtigen Einschatzung und Beurteilung. Wie solide waren die Forschungsdaten? Wie vertrauenswurdig waren die Wissenschaftler, die die Recherchen betrieben hatten? Wie verla?lich war die Computersimulation? Wie aussagekraftig waren die Extrapolationen in die Zukunft? Diese Fragen stellten sich immer wieder. Die Medien gaben sich naturlich nicht mit diesen Komplexitaten ab, da sie keine guten Schlagzeilen produzierten. Als Folge davon dachten viele Leute, Wissenschaft sei schablo-nenhaft, formalisiert und eindeutig, auf eine Art, wie sie es nie war. Sogar so allgemein akzeptierte Konzepte wie etwa die Annahme, da? Keime Krankheiten erregten, war nicht so hundertprozentig bewiesen, wie die Leute annahmen.

Und in diesem Fall, einem Fall, der unmittelbar die Sicherheit seiner

Freunde betraf, sah Stern sich Unsicherheiten auf verschiedenen Ebenen gegenuber. Es war unsicher, ob die Tanks halten wurden. Es war unsicher, ob die Systeme im Kontrollraum korrekt funktionierten. Es war unsicher, ob man die Tanks jetzt langsam oder spater schnell fullen sollte. Sie hatten nun die Aufgabe, die Umstande richtig einzuschatzen und zu beurteilen und moglichst gesicherte Schlu?folgerungen zu ziehen.

Und davon hingen Menschenleben ab.

Gordon sah ihn an. Er wartete.

»Haben wir noch unbeschadigte Schilde?« fragte Stern.

»Ja. Vier.«

»Dann sollten wir diese vier fullen«, sagte Stern. »Und auf die

Ergebnisse der Polarisationsanalyse und der Computersimulation warten, bevor wir die anderen fullen.«

Gordon nickte langsam. »Genau das denke ich auch«, sagte er.

Stern fragte: »Was ist Ihre begrundetste Vermutung? Sind die anderen

Schilde okay oder nicht?«

»Meine begrundetste Vermutung«, sagte Gordon, »ist die, da? sie okay sind. Aber in ein paar Stunden wissen wir mehr.«

Guter Sir Andre, ich bitte Euch, kommt mit mir«, sagte Guy de Malegant mit einer anmutigen Verbeugung und einer einladenden Geste. Marek versuchte, sich seine Verwunderung nicht anmerken zu lassen. Als er in die Burg hineingaloppiert war, hatte er erwartet, da? Guy und seine Manner ihn auf der Stelle toten wurden. Statt dessen aber behandelten sie ihn mit Ehrerbietung, fast so, als ware er ein geschatzter Gast. Er befand sich jetzt tief in der Burg, im innersten Hof, wo er den bereits hell erleuchteten Festsaal sah. Malegant fuhrte ihn an dem Saal vorbei und in ein merkwurdiges Steingebaude rechts davon. Die Fenster dieses Gebaudes waren nicht nur mit Laden versehen, sondern auch mit durchsichtigen Schweineblasen bespannt. Es standen Kerzen in diesen Fenstern, aber au?erhalb der Schweineblasen, nicht drinnen.

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