Eine Steintreppe fuhrte nach unten. Sie horten das entfernte Rauschen eines Flusses. Die Offnung klaffte schwarz und unheilvoll. »Bingo«, sagte er.

Im fensterlosen Kontrollraum uber dem Transitbereich starrten Gordon und Stern einen Monitor an. Er zeigte in einer Simulation sechs Schilde, wobei funf davon die veratzten Glasbehalter darstellten und der sechste einen intakten, dessen Verhalten zur Kontrolle ebenfalls simuliert wurde. Noch wahrend sie zusahen, erschienen kleine wei?e Punkte auf den beschadigten Schilden.

»Das sind die Positionen der Veratzungspunkte«, sagte Gordon. Neben jedem Punkt erschien eine Gruppe von Zahlen, aber sie waren zu klein, um sie lesen zu konnen. »Das sind Umfang und Tiefe jeder Veratzung«, erklarte er.

Stern sagte nichts. Die Simulation lief weiter. Die Schilde fullten sich mit Wasser, was mit einer steigenden horizontalen blauen Linie dargestellt wurde. Uber jedem Schild waren zwei gro?e Nummern zu sehen: das Gesamtgewicht des Wassers und der Druck auf das Glas am unteren Rand jedes Schilds, wo er am gro?ten war.

Obwohl die Simulation sehr stilisiert war, bemerkte Stern, da? er den

Atem anhielt. Die Wasserlinie stieg immer hoher.

Einer der Behalter begann zu lecken: ein blinkender roter Punkt.

»Einer leckt«, sagte Gordon.

Ein zweiter Tank begann zu lecken, und wahrend das Wasser weiter stieg, zuckte ein Blitz quer uber das Schild, und er verschwand vom Bildschirm. »Einer ist geborsten.«

Stern schuttelte den Kopf. »Wie grob ist diese Simulation Ihrer Meinung nach?« »Ziemlich schlampig.«

Auf dem Bildschirm barst ein weiterer Schild. Die restlichen zwei fullten sich ohne Zwischenfall bis zum Rand.

»Nun ja«, sagte Gordon. »Der Computer sagt uns, da? drei von funf beschadigten Schilden nicht gefullt werden konnen.« »Wenn man es glaubt. Tun Sie es?«

»Ich personlich nicht«, sagte Gordon. »Die Eingabedaten reichen einfach nicht, und der Computer macht alle moglichen Belastungsannahmen, die ziemlich hypothetisch sind. Aber ich denke mir, wir sollten diese Tanks erst im letzten Augenblick fullen.« Stern sagte: »Nur schade, da? es keine Moglichkeit gibt, die Tanks zu verstarken.«

Gordon hob schnell den Kopf. »Was zum Beispiel?« fragte er. »Haben Sie eine Idee?«

»Ich wei? nicht. Vielleicht konnte man die Veratzungen mit Plastik fullen oder einer Art Kitt. Vielleicht konnten wir —« Gordon schuttelte den Kopf. »Was immer Sie tun, es mu? homogen sein. Sie mu?ten das Glas mit etwas uberziehen, so da? es eine vollig einheitliche und glatte Oberflache gibt. Vollkommen einheitlich und glatt.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, wie man das machen soll.«

»Nicht in drei Stunden«, sagte Gordon. »Soviel Zeit haben wir namlich noch.«

Stern setzte sich stirnrunzelnd auf einen Stuhl. Aus irgendeinem Grund dachte er an Rennautos. Eine Folge von Bildern blitzte durch seinen Kopf. Ferraris. Steve McQueen. Formel Eins. Der Michelin-Mann mit seinem Gummiwulstkorper. Das gelbe Shell-Schild. Riesige Lastwagenreifen, die durch den Regen zischten. B. F. Goodrich. Dabei mag ich Autos nicht einmal, dachte er. In New Haven hatte er nur einen uralten VW Kafer. Ganz offensichtlich versuchte sein hektisch arbeitender Verstand, sich vor einer unangenehmen Realitat zu drucken — vor etwas, dem er sich nicht stellen wollte. Dem Risiko.

»Dann fullen wir die Schilde also erst im letzten Augenblick und beten?« fragte Stern.

»Genau«, erwiderte Gordon. »Genau das werden wir tun. Es ist ein bi?chen haarig. Aber ich glaube, es wird funktionieren.« »Und die Alternative?« fragte Stern.

Gordon schuttelte den Kopf. »Ihre Ruckkehr blockieren. Ihre Freunde nicht zuruckkommen lassen. Da unten brandneue Schilde aufstellen, Schilde, die keine Fehler haben, und noch mal von vorne anfangen.« »Und das wurde wie lange dauern?« »Zwei Wochen.«

»Nein«, sagte Stern. »Das konnen wir nicht tun. Wir mussen es riskieren.«

»Genau«, sagte Gordon. »Und das werden wir auch.«

Marek und Johnston stiegen die Wendeltreppe hoch. Oben trafen sie de Kere, der auf blasierte Art zufrieden wirkte. Wieder standen sie auf der breiten Mauerkrone von La Roque. Oliver war ebenfalls dort, wutend und mit hochrotem Gesicht marschierte er auf und ab. »Riecht Ihr es?« rief er und deutete hinunter auf die Ebene, wo Arnaut noch immer seine Truppen zusammenzog.

Es war fruher Abend, die Sonne war eben untergegangen, und Marek schatzte, da? es etwa sechs Uhr sein mu?te. Doch im verloschenden Licht konnten sie gerade noch erkennen, da? Arnauts Truppen jetzt ein volles Dutzend Trebuchets zusammengebaut und in gestaffelten Reihen aufgestellt hatten. Nach dem Erlebnis mit dem ersten selbstentzundlichen Pfeil hatten sie die Maschinen weiter auseinandergestellt, damit das Feuer nicht von einer auf die andere uberspringen konnte.

Hinter den Trebuchets erstreckte sich ein Sammlungsbereich, wo Soldaten um rauchende Feuer kauerten. Und ganz hinten hoben sich Hunderte von Zelten vom dunklen Waldrand ab. Es sieht, dachte Marek, vollig normal aus. Der Beginn einer Belagerung. Er konnte sich nicht vorstellen, woruber Oliver sich so aufregte.

Von den rauchenden Feuern wehte ein charakteristischer brandiger Geruch heruber. Es erinnerte Marek an den Geruch, den Dachdecker verursachten. Und mit gutem Grund, denn es handelte sich um dieselbe Substanz. »Ja, ich rieche es, Mylord«, sagte Johnston. »Es ist Pech.« Johnstons ausdruckslose Miene verriet, da? auch er nicht wu?te, woruber Oliver sich so erregte. Bei einer Belagerung war es ublich,

brennendes Pech uber die Burgmauern zu schleudern.

»Ja,ja«, sagte Oliver, »naturlich ist es Pech. Aber das ist nicht alles.

Riecht Ihr es nicht? Sie mischen etwas in das Pech hinein.«

Marek schnupperte und dachte, da? Oliver mit ziemlicher Sicherheit recht hatte. Brennendes reines Pech hatte die Tendenz, schnell wieder auszugehen. Deshalb wurde Pech meist mit anderen Stoffen vermischt

— Ol, Werg oder Schwefel —, die seine Brennfahigkeit erhohten.

»Ja, Mylord«, sagte Johnston, »ich rieche es.«

»Und was ist es?« fragte Oliver mit vorwurfsvollem Ton.

»Ceraunia, wie ich glaube.«

»Auch >Donnerstein< genannt?«

»Ja, Mylord.«

»Benutzen wir diesen Donnerstein auch?« »Nein, Mylord -«, begann Johnston. »Aha! Ich habe es mir fast gedacht.«

Oliver nickte de Kere zu, als ware ihr Argwohn jetzt bestatigt. Ganz offensichtlich steckte de Kere hinter dieser Geschichte.

»Mylord«, sagte Johnston, »wir brauchen diesen Donnerstein nicht. Wir haben einen besseren Stein. Wir benutzen reinen Schwefel.«

»Aber Schwefel ist nicht dasselbe.« Noch ein Blick zu de Kere.

»Doch, Mylord, das ist es. Der Donnerstein ist pyrite kerdonienne.

Fein gemahlen entsteht daraus Schwefel.«

Oliver schnaubte. Und ging mit finsterem Gesicht auf und ab.

»Und wie kommt es«, sagte er schlie?lich, »da? Arnaut diesen

Donnerstein hat?«

»Das kann ich nicht sagen«, erwiderte Johnston, »aber der Donnerstein ist unter Soldaten allgemein bekannt. Er wird sogar bei Plinius erwahnt.«

»Ihr weicht mir aus, Magister. Ich rede nicht von Plinius. Ich rede von Arnaut. Der Mann ist ein ungebildetes Schwein. Er hat keine Ahnung von ceraunia oder dem Donnerstein.« »Mylord -«

»Au?er er erhalt Beistand», sagte Oliver duster. »Wo sind Eure Gehilfen jetzt?« »Meine Gehilfen?«

»Kommt, kommt, Magister, weicht mir nicht weiter aus.« »Einer ist hier«, sagte Johnston und deutete auf Marek. »Soweit ich wei?, ist der zweite tot, und vom dritten habe ich keine Nachricht.« »Und ich glaube«, sagte Oliver, »da? Ihr sehr wohl wi?t, wo sie sind. Wahrend wir hier sprechen, arbeiten sie in Arnauts Lager. Und so ist er in den Besitz dieses geheimen Steins gelangt.«

Marek horte diesem Wortwechsel mit wachsendem Unbehagen zu. Oliver hatte auch in besseren Zeiten nie

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