wurde lauter. Sie horten ein Quieken, wie von Mausen.

Es kam von irgendwo tief in der Hohle. Sie schaute Chris fragend an.

»Es ist Abend«, sagte er, und dann sah Kate sie - zuerst nur ein paar, dann eine nebelhafte Wolke und schlie?lich ein Sturzbach aus Fledermausen, die aus der Hohle flatterten, ein brauner Flu? in der Luft uber ihrem Boot. Sie spurte den Luftzug von Hunderten von flatternden Flugeln.

Das ganze Schauspiel dauerte ein paar Minuten, und dann war es wieder still bis auf das Knistern der Fackeln. Sie glitten weiter auf dem dunklen Flu?.

Ihre Fackel zischte und erlosch. Schnell zundete sie eine der anderen an, die Chris aus der Kapelle mitgenommen hatte. Er hatte vier Fackeln mitgenommen, und jetzt waren noch drei ubrig. Wurden drei Fackeln reichen, um sie wieder ans Tageslicht zu bringen? Was wurden sie tun, wenn die letzte Fackel ausging und sie noch weitergehen mu?ten, vielleicht noch kilometerweit? Wurden sie durch die Dunkelheit kriechen, sich vorwartstasten, vielleicht tagelang? Wurden sie es je schaffen, oder wurden sie hier in der Dunkelheit sterben? »Hor auf«, sagte Chris. »Womit?«

»Daruber nachzudenken.« »Woruber nachzudenken?«

Chris lachelte sie an. »Wir kommen gut vorwarts. Wir schaffen es.« Sie fragte ihn nicht, woher er das wu?te. Aber was er sagte, trostete sie, auch wenn es nur vorgeschutzt war.

Sie hatten einen gewundenen, sehr niederen Tunnel durchquert, aber jetzt weitete sich die Hohle wieder zu einem riesigen Saal mit Stalaktiten, die von der Decke herunterhingen und an manchen Stellen bis an den Boden und sogar ins Wasser reichten. Das flackernde Licht der Fackel konnte die Dunkelheit kaum erhellen. Dennoch erkannte Kate am dunklen Ufer einen Fu?weg. Anscheinend fuhrte ein Pfad durch die gesamte Lange der Hohle.

Der Flu? wurde schmaler und schneller und rauschte unter den Stalaktiten hindurch. Er erinnerte Kate an einen Sumpf in Louisiana, nur da? sie sich hier unter der Erde befanden. Auf jeden Fall kamen sie gut vorwarts, und sie schopfte wieder Zuversicht. Bei diesem Tempo wurden sie sogar funfzehn Kilometer in wenigen

Minuten schaffen. Vielleicht reichten ihnen die zwei Stunden tatsachlich. Vielleicht sogar problemlos.

Der Unfall passierte so schnell, da? sie kaum etwas mitbekam. Chris rief: »Kate!«, und als sie sich umdrehte, sah sie einen Stalaktiten dicht neben ihrem Ohr, ihr Kopf knallte gegen den Stein, die Fackel streifte ihn ebenfalls, und die brennende Stoffspitze, die um den Stecken gebunden war, loste sich ab. Wie in einer gespenstischen Zeitlupe mu?te sie zusehen, wie der brennende Lappen auf sein Spiegelbild im Wasser zufiel. Er prasselte, zischte und ging aus. Vollige Finsternis umgab sie. Sie hielt vor Schreck den Atem an.

Eine solche Dunkelheit hatte sie noch nie erlebt. Es gab absolut kein Licht. Sie horte Wasser tropfen, spurte die leichte, kuhle Brise und den riesenhaft leeren Raum, der sie umgab. Der Kahn bewegte sich weiter, immer wieder stie?en sie gegen Stalaktiten. Dann horte sie ein Achzen, der Kahn schaukelte heftig, und dann kam vom Heck ein lautes Platschen. »Chris?«

Sie kampfte gegen die Panik an.

»Chris?« fragte sie. »Chris, was sollen wir jetzt tun?«

Ihre Stimme hallte.

Es war jetzt fruhe Nacht, der Himmel wurde schwarz, und Sterne zeigten sich in gro?er Zahl. Lord Oliver war, nachdem er furs erste genug gedroht und geprahlt hatte, mit de Kere in den Festsaal zum Abendessen gegangen. Aus dem Saal drang der Larm eines Gelages: Olivers Ritter tranken vor der Schlacht.

Marek kehrte mit Johnston in die Munitionskammer zuruck. Er schaute auf seinen Timer: 01:32:14. Der Professor fragte ihn nicht, wieviel Zeit noch ubrig war, und Marek verspurte keine Lust, es ihm zu sagen. In diesem Augenblick horten sie ein Rauschen. Die Manner auf der Brustwehr schrien, als eine brennende Masse uber die Mauer gesegelt kam und in den inneren Burghof heruntersauste. »Es geht los«, sagte der Professor ruhig.

Zwanzig Meter von ihnen entfernt krachte das Feuer auf die Erde. Marek sah, da? es ein Pferd war, dessen Beine steif aus den Flammen herausragten. Er roch brennende Haare und verkohlendes Fleisch. Das Fett brutzelte und ploppte. »O Gott«, sagte Marek.

»Schon lange tot«, sagte Johnston und deutete auf die steifen Beine. »Angreifer schleudern gerne brennende Kadaver uber die Mauer. Wir werden noch Schlimmeres sehen, bevor die Nacht voruber ist.« Soldaten kamen mit Wasser gelaufen, um das Feuer zu loschen. Johnston betrat die Munitionskammer. Die funfzig Manner mahlten noch immer Pulver. Einer von ihnen mischte in einem gro?en, breiten Becken Harz und Atzkalk und produzierte so eine betrachtliche Menge der braunen Masse.

Marek sah ihnen bei der Arbeit zu, dann horte er von drau?en wieder ein Rauschen. Etwas Schweres knallte auf das Dach, die Kerzen in den

Fenstern schwankten. Manner schrien und liefen auf das Dach.

Der Professor seufzte. »Ein Treffer schon beim zweiten Versuch«, sagte er. »Genau das habe ich befurchtet.«

»Was?«

»Arnaut wei?, da? es eine Munitionskammer gibt, und er wei? ungefahr, wo sie ist — man sieht sie, wenn man auf den Hugel steigt. Arnaut wei?, da? diese Kammer voller Pulver ist. Und er wei?, wenn er sie mit einem Brandsatz trifft, kann er gro?en Schaden anrichten.« »Sie wird in die Luft fliegen«, sagte Marek und betrachtete die aufgestapelten Pulversacke. Obwohl ein Gro?teil des mittelalterlichen Pulvers nicht explodierte, hatten sie bereits gesehen, da? man mit Olivers Pulver eine Kanone abfeuern konnte.

»Ja, sie wird in die Luft fliegen«, sagte Johnston. »Und viele Menschen in der Burg werden sterben. Dann gibt es ein gro?es Durcheinander, und mitten im Burghof brennt ein riesiges Feuer. Das bedeutet, da? die Manner die Mauer verlassen mussen, um das Feuer zu bekampfen. Und wenn man wahrend einer Belagerung Manner von der Mauer abzieht...« »La?t Arnaut sie erklettern.« »Ja, und zwar sofort.«

Marek fragte: »Aber schafft Arnaut es uberhaupt, einen Brandsatz hier reinzuschleudern? Die Wande sind doch mindestens einen halben Meter dick.«

»Er kommt nicht durch die Mauern. Sondern durchs Dach.« »Aber wie ...«

»Er hat Kanonen«, sagte der Professor. »Und Eisenkugeln. Er wird sie erhitzen, bis sie rotgluhend sind, dann uber die Mauer schie?en und hoffen, da? er damit die Rustungskammer trifft. Eine Funfzigpfundkugel durchschlagt dieses Dach problemlos. Und wenn das passiert, will ich nicht hier sein.« Er grinste sarkastisch. »Wo zum Teufel bleibt nur Kate?«

Sie trieb verloren in unendlicher Dunkelheit. Das ist ein Alptraum, dachte sie, wahrend sie im Boot kauerte und spurte, wie es auf der Stromung vorwartstrieb und immer wieder gegen Stalaktiten stie?. Sie schwitzte trotz der kuhlen Luft. Ihr Herz hammerte, ihr Atem ging flach, und sie kam sich vor, als wurde sie nicht genug Luft bekommen. Sie hatte schreckliche Angst. Als sie ihr Gewicht verlagerte, schwankte der Kahn bedrohlich, und sie streckte beide Hande aus, um ihn zu beruhigen. »Chris?« rief sie.

Weit weg in der Dunkelheit horte sie Platschen. Als wurde jemand schwimmen.

»Chris?«

Aus gro?er Entfernung: »Ja.« »Wo bist du?«

»Ich bin aus dem Kahn gefallen.«

Er klang so weit weg. Wo Chris jetzt auch sein mochte, sie trieb mit jeder Minute weiter von ihm weg. Sie war allein. Sie brauchte Licht. Irgendwie mu?te sie sich Licht besorgen. Sie kroch zum Heck des Kahns, tastete auf dem Boden herum, hoffte, da? ihre Finger sich um einen Holzstecken schlossen - eine der noch verbliebenen Fackeln. Der Kahn schwankte wieder. Schei?e.

Sie hielt inne und wartete, bis er sich wieder beruhigt hatte. Wo waren die verdammten Fackeln? Eigentlich mu?ten sie irgendwo in der Mitte des Kahns liegen. Aber sie spurte sie nirgends. Sie ertastete die Ruder. Sie ertastete die Flanken. Aber Fackeln ertastete sie keine.

Waren sie mit Chris aus dem Boot gefallen?

Besorg dir Licht. Irgendwie mu?te sie sich Licht besorgen.

Sie tastete an ihrer Taille nach dem Beutel, schaffte es sogar, ihn zu

offnen, hatte dann aber Schwierigkeiten, den Inhalt zu identifizieren. Da waren Tabletten ... die Spruhdose ... ihre Finger schlossen sich um einen Wurfel, etwa so gro? wie ein Zuckerwurfel. Es war einer der roten Wurfel! Sie nahm ihn heraus und klemmte ihn sich zwischen die

Zahne.

Dann nahm sie ihren Dolch, schlitzte den Armel ihres Hemds auf und ri? einen etwa drei?ig Zentimeter langen Streifen ab. Sie wickelte den Stoff um den Wurfel und zog an der Schnur. Sie wartete. Nichts

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