sonderlich ausgeglichen gewirkt. Und jetzt, so kurz vor dem drohenden Angriff, zeigte er, von de Kere aufgehetzt, alle Anzeichen eines Wahns. Oliver wirkte unberechenbar und gefahrlich. »Mylord —«, begann Johnston.

»Und weiter glaube ich, da? Ihr seid, was ich von Anfang an befurchtet habe. Ihr seid eine Kreatur Arnauts, denn Ihr habt drei Tage in Sainte-Mere zugebracht, und auch der Abt ist eine Kreatur Arnauts.« »Mylord, wenn Ihr mich anhoren wollt -«

»Das werde ich nicht. Ihr werdet mir zuhoren. Ich glaube, da? Ihr gegen mich arbeitet, da? Ihr oder Eure Gehilfen, trotz all Eures Leugnens, den Geheimgang zu meiner Burg kennt, und da? Ihr vorhabt, zum fruhestmoglichen Zeitpunkt zu fliehen — vielleicht sogar heute nacht schon, im Schutz von Arnauts Angriff.«

Marek bemuhte sich, ein ausdrucksloses Gesicht zu zeigen. Naturlich hatten sie genau das vor, falls Kate je den Geheimgang fand.

»Aha!« rief Oliver und deutete auf Marek. »Seht Ihr? Er kneift den

Mund zusammen? Er wei?, da? ich die Wahrheit spreche.«

Marek wollte etwas sagen, aber Johnston legte ihm die Hand auf den

Arm. Auch er sagte nichts, sondern schuttelte nur den Kopf.

»Was? Wollt Ihr ihn von seinem Gestandnis abhalten?«

»Nein, Mylord, denn Eure Vermutungen entsprechen nicht der

Wahrheit.«

Oliver marschierte mit wutendem Gesicht auf und ab. »Dann bringt mir die Waffen, die ich zuvor von Euch verlangt habe.« »Mylord, sie sind noch nicht fertig.« »Ha!« Und wieder nickte er de Kere zu.

»Mylord, das Mahlen des Pulvers dauert viele Stunden.«

»In vielen Stunden ist es zu spat.«

»Mylord, es wird rechtzeitig fertig.«

»Ihr lugt, Ihr lugt, Ihr lugt!« Oliver wirbelte herum, stampfte auf und starrte zu den Belagerungsmaschinen hinunter. »Schaut auf die Ebene hinaus. Seht, wie sie sich vorbereiten. Jetzt antwortet mir, Magister. Wo ist er?«

Eine kurze Pause entstand. »Wo ist wer, Mylord?« »Arnaut! Wo ist Arnaut? Seine Truppen sammeln sich zum Angriff. Er fuhrt sie immer an. Aber jetzt ist er nicht dort. Wo ist er?« »Mylord, ich kann Euch nicht sagen...«

»Die Hexe von Eltham ist dort - seht Ihr sie, dort bei den Maschinen? Seht Ihr? Sie beobachtet uns. Dieses verabscheuungswurdige Weib.« Marek drehte sich schnell zur Brustung, um hinunterzusehen. Claire war wirklich bei den Soldaten, mit Sir Daniel an ihrer Seite ging sie die Reihen der Belagerungsmaschinen ab. Marek spurte sein Herz schneller schlagen, nur weil er sie sah, aber er verstand nicht so recht, was sie dort an vorderster Front zu suchen hatte. Sie schaute die Burgmauer hoch. Und plotzlich blieb sie stehen. Marek war sich beinahe sicher, da? sie ihn gesehen hatte. Am liebsten hatte er gewinkt, was er naturlich nicht tat. Nicht, wenn Oliver wutschnaubend neben ihm stand. Aber er dachte: Ich werde sie vermissen, wenn ich zuruckkehre. »Die Lady Claire«, knurrte Oliver, »ist eine Spionin Arnauts und war es von Anfang an. Sie hat Arnauts Manner in die Burg gefuhrt. Und zweifellos alles mit diesem hinterhaltigen Abt geplant. Aber wo ist der Schurke selbst? Wo ist das Schwein Arnaut? Er ist nirgends zu sehen.« Ein verlegenes Schweigen entstand. Oliver lachelte grimmig. »Mylord«, sagte Johnston, »ich verstehe Eure Sorg -« »Das tut Ihr nicht!« Er stampfte wieder auf und starrte Marek und Johnston wutend an. Dann sagte er: »Ihr beide. Kommt mit mir.«

Die Oberflache des Wassers war schwarz und olig, und es stank bis zu ihnen hinauf, obwohl sie aus zehn Metern Hohe darauf hinunterschauten. Sie standen am Rand einer runden Grube tief im Inneren der Burg. Die Wande um sie herum waren dunkel und feucht und von flackernden Fackeln nur schwach erhellt.

Auf Olivers Signal hin drehte ein Soldat neben der Grube eine eiserne Winde. Rasselnd stieg eine dicke Kette aus den Tiefen des Wassers. »Man nennt dies Miladys Bad«, sagte Oliver. »Es wurde eingerichtet von Francois le Gros, der Geschmack an solchen Dingen hatte. Es hei?t, da? Henri de Renaud zehn Jahre hier schmachtete, bevor er starb. Man warf ihm lebende Ratten zu, die er totete und roh a?. Zehn Jahre lang.«

Das Wasser krauselte sich, ein schwerer Metallkafig durchbrach die

Oberflache und stieg triefend in die Hohe. Die Stangen waren schwarz und schmutzig. Der Gestank war uberwaltigend.

Mit Blick auf den Kafig sagte Oliver: »In Castelgard habe ich Euch versprochen, Magister, da? ich Euch toten werde, wenn Ihr mich betrugt. Ihr werdet in Miladys Bad baden.«

Er stierte sie mit wildem Blick an.

»Gesteht jetzt.«

»Mylord, es gibt nichts zu gestehen.«

»Dann habt Ihr auch nichts zu befurchten. Aber bedenkt, Magister, wenn ich entdecke, da? Ihr oder Eure Gehilfen den geheimen Eingang zur Burg kennen, werde ich Euch hier einsperren, in diesem Kafig, aus dem Ihr nicht entkommen konnt, nie mehr in Eurem Leben, und ich werde Euch hier in der Dunkelheit verhungern und verfaulen lassen.« De Kere, der mit einer Fackel in der Hand ein wenig abseits stand, gestattete sich ein dunnes Lacheln.

Die Treppe fuhrte steil nach unten in die Dunkelheit. Kate ging mit einer Fackel voran, Chris folgte ihr. Sie gingen durch einen schmalen Gang, der fast ein Tunnel und offensichtlich von Menschenhand geschaffen war, und erreichten dann eine gro?ere Kammer. Es war eine naturliche Hohle. Hoch oben und etwas links von ihnen sahen sie den blassen Schimmer naturlichen Lichts; dort oben mu?te ein Hohleneingang sein.

Der Boden fiel immer noch ab. Ein Stuckchen weiter vorne erkannten sie einen gro?en Tumpel schwarzen Wassers und horten das Rauschen eines Flusses. Es stank in der Hohle, ein su?saurer Geruch, wie Urin. Sie kletterten uber Felsbrocken, bis sie den schwarzen Tumpel erreichten. Am Wasserrand befand sich ein schmaler Sandstreifen. Und in dem Sand sahen sie einen Fu?abdruck. Mehrere Fu?abdrucke. »Nicht frisch«, sagte Chris.

»Wo ist der Pfad?« fragte Kate. Ihre Stimme hallte. Dann sah sie ihn, ein Stuckchen weiter links, einen Felsvorsprung, der so bebauen worden war, da? man auf ihm um den Tumpel herumgehen konnte. Sie ging darauf zu.

Hohlen machten ihr nichts aus. Mit ihren Kletterkameraden hatte sie in Colorado und New Mexico einige erforscht. Kate folgte dem Pfad und sah hier und dort Fu?abdrucke und helle Spuren im Fels, die Kratzer von Waffen sein konnten.

»Wei?t du«, sagte sie, »diese Hohle kann nicht allzu lang sein, wenn man sie dazu benutzt hat, wahrend einer Belagerung Wasser in die Festung zu transportieren.« »Das haben sie nicht getan«, sagte Chris. »Die Burg hat eine andere Wasserversorgung. Hier wurden eher Nahrungsmittel und andere Guter transportiert.«

»Trotzdem. Wie weit konnten sie gehen?«

»Im vierzehnten Jahrhundert«, sagte Chris, »machte es den Bauern nichts aus, drei?ig Kilometer oder manchmal sogar noch mehr zu gehen. Sogar Pilger gingen bis zu zwanzig Kilometer am Tag, und zu diesen Gruppen gehorten Frauen und alte Leute.« »Oh«, sagte sie.

»Dieser Gang konnte zwanzig Kilometer lang sein«, sagte er. Und fugte dann hinzu: »Aber ich hoffe, er ist es nicht.«

Nachdem sie den Felsvorsprung hinter sich gelassen hatten, sahen sie einen in den Fels gehauenen Gang, der von dem dunklen See wegfuhrte.

Der Gang war etwa einen Meter funfzig hoch und einen Meter breit.

Aber am Rand des Tumpels lag ein holzerner Kahn vertaut. Ein kleiner

Kahn, wie ein Ruderkahn. Er stie? leise gegen die Felsen.

Kate drehte sich zu Chris um. »Was meinst du? Gehen oder den Kahn nehmen?«

»Den Kahn nehmen«, antwortete Chris.

Sie stiegen ein. Im Kahn lagen Ruder. Kate hielt die Fackel, und er ruderte. Da es eine Stromung gab, kamen sie erstaunlich schnell vorwarts. Sie befanden sich jetzt auf dem unterirdischen Flu?. Kate machte sich Sorgen wegen der Zeit. Sie nahm an, da? ihnen etwa noch zwei Stunden blieben. Das bedeutete, da? sie in die Burg gelangen, sich mit Marek und dem Professor wiedervereinigen und sich dann einen freien Platz suchen mu?ten, wo sie die Maschine rufen konnten - und das alles in zwei Stunden.

Sie war froh um die Stromung, um die Geschwindigkeit, mit der sie tiefer in die Hohle glitten. Die Fackel in ihrer Hand zischte und knisterte. Dann horte sie ein Rascheln, als wurde Wind in Papier fahren. Das Gerausch

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