»Ihr habt die doppelte Reichweite und einen Pfeil, der sich selbst entzundet — wie?«

»Das Pulver ist sehr fein gemahlen und deshalb viel explosiver. Die Pfeile sind bestrichen mit Ol, Schwefel und Atzkalk, vermischt mit Werg. Jede Beruhrung mit Wasser entzundet die Mischung -hier ist es die Feuchtigkeit des Grases. Deshalb steht der Sand bereit, denn sollte auch nur eine winzige Spur davon auf meine Finger gelangen, wurde sie wegen der Feuchtigkeit meiner Haut sofort zu brennen anfangen. Es ist eine sehr empfindliche Waffe, Mylord, und sehr heikel im Gebrauch.« Er wandte sich nun der dritten Schale zu, die neben Marek stand. »Nun, Mylord«, sagte Johnston und nahm einen Stecken in die Hand, »bitte ich Euch, genau darauf zu achten, was passiert.« Er tauchte den Stecken in die dritte Schale, so da? sich die Spitze mit der oligen, stinkenden Mischung uberzog. Dann hielt er den Stecken in die Luft. »Wie Ihr seht, passiert nichts. Und es wird auch stunden- oder tagelang nichts passieren, bis...« Mit der theatralischen Geste eines Zauberers tauchte er den Stecken in ein kleines Gefa? mit Wasser. Die Spitze des Steckens zischte, fing an zu rauchen und loderte dann auf. Die Flammen waren von einer tief orangen Farbe. »Oh«, seufzte Oliver erfreut. »Ich mu? einen Vorrat davon haben. Wie viele Manner braucht Ihr, um diese Substanz zu mahlen und herzustellen?«

»Mylord, zwanzig genugen. Funfzig waren besser.« »Ihr sollt funfzig haben, oder auch mehr, wenn Ihr wollt«, sagte Oliver und rieb sich die Hande. »Wie schnell konnt Ihr sie herstellen?« »Die Herstellung ist nicht langwierig, Mylord«, erwiderte Johnston, »aber man darf sich auch nicht uberhasten, denn es ist eine gefahrliche Arbeit. Und ist die Substanz fertig, stellt sie innerhalb der Burg eine Gefahr dar, denn Arnaut wird Euch sicherlich mit Brandsatzen angreifen.«

Oliver schnaubte. »Das ist mir gleichgultig, Magister. Macht Euch sofort an die Arbeit, und ich werde sie noch heute nacht benutzen.«

In der Munitionskammer sah Marek zu, wie Johnston die Soldaten in Zehnerreihen aufstellte und jedem einen Morser gab. Dann ging Johnston die Reihen entlang und blieb hier und dort stehen, um Anweisungen zu geben. Die Soldaten murrten uber das, was sie »Kuchenarbeit« nannten, aber Johnston sagte ihnen, da? es sich, in seinen Worten, um die »Krauter des Krieges« handelte. Nach einigen Minuten kam Johnston zu Marek und setzte sich mit ihm in eine Ecke. Wahrend sie den Soldaten bei der Arbeit zusahen, sagte Marek: »Hat Doniger dir gegenuber auch behauptet, da? man die Vergangenheit nicht andern konne?« »Ja. Warum?«

»Wie's aussieht, sind wir Oliver bei der Verteidigung seiner Burg eine gro?e Hilfe. Diese Pfeile werden Arnaut zwingen, seine Belagerungsmaschinen zuruckzuziehen — zu weit, um noch was ausrichten zu konnen. Keine Belagerungsmaschinen, kein Angriff auf die Festung. Und abwarten wird Arnaut kaum wollen. Seine Manner wollen schnell Beute machen - wie alle freien Kompanien. Wenn sie die Burg nicht gleich einnehmen konnen, ziehen sie weiter.« »Ja, das stimmt...«

»Aber wenn man den Geschichtsbuchern Glauben schenkt, fallt die Burg an Arnaut.«

»Ja«, sagte Johnston. »Aber nicht wegen der Belagerung. Sondern weil ein Verrater Arnauts Manner in die Burg einla?t.«

»Ich habe mir auch daruber Gedanken gemacht«, sagte Marek. »Das ergibt keinen Sinn. Diese Burg hat zu viele Tore, die zu offnen waren.

Wie sollte ein Verrater das schaffen? Ich glaube nicht, da? einer das konnte.«

Johnston lachelte. »Du meinst, da? wir moglicherweise Oliver helfen, seine Burg zu behalten, und so die Geschichte verandern?« »Na ja. Es ist mir zumindest durch den Kopf gegangen.« Marek uberlegte, ob die Tatsache, da? eine Burg fiel oder nicht, im Hinblick auf die Zukunft wirklich ein bedeutendes Ereignis war. Die Geschichte des hundertjahrigen Krieges konnte als eine Abfolge von Belagerungen und Einnahmen von Burgen betrachtet werden. Zum Beispiel wurden in wenigen Jahren Briganten die Stadt Moins an der Seinemundung einnehmen. Das war an sich nur eine relativ unbedeutende Eroberung, aber dadurch erhielten sie die Kontrolle uber die Seine und somit die Moglichkeiten, an dem Flu? entlang Burgen bis hinauf nach Paris einzunehmen. Dann war da noch das Problem, wer uberlebte und wer nicht. Denn sehr haufig wurden nach Einnahme einer Burg die Bewohner massakriert. In La Roque befanden sich mehrere hundert Menschen. Wenn sie alle uberlebten, konnten ihre Tausenden von Nachkommen durchaus die Zukunft anders gestalten.

»Vielleicht erfahren wir das nie«, sagte Johnston. »Wie viele Stunden haben wir noch?«

Marek sah auf seinen Timer: 05:50:29. Er bi? sich auf die Unterlippe. Er hatte ganz vergessen, da? die Zeit ablief. Bei seinem letzten Blick auf den Timer waren es noch fast neun Stunden gewesen, und damals hatte es ausgesehen, als hatten sie noch jede Menge Zeit. Sechs Stunden klangen dagegen schon nicht mehr so gut. »Knapp sechs Stunden«, sagte Marek. »Und Kate hat den Marker?« »Ja.«

»Und wo ist sie?«

»Auf der Suche nach dem Geheimgang.« Jetzt war es spater Nachmittag, uberlegte Marek. Wenn sie den Gang fand, konnte sie es in zwei oder drei Stunden leicht in die Burg schaffen. Dann mu?ten sie nur noch wieder alle zusammenkommen — auch Chris, wenn er noch lebte - und einen geeigneten Platz finden, der genug Freiraum bot, so da? sie die Maschine rufen konnten. »Wo sucht sie den Eingang?« »Bei der grunen Kapelle.«

Johnston seufzte. »Ist das der Ort, den Marcels Schlussel angab?« »Ja.«

»Und sie ist allein hingegangen?« »Ja.«

Johnston schuttelte den Kopf. »Dort geht niemand hin.« »Warum?«

»Weil die grune Kapelle angeblich von einem wahnsinnigen Ritter bewacht wird. Es hei?t, da? seine wahre und einzige Liebe dort starb und er vor Trauer den Verstand verlor. Er hat seine Schwester in einer nahen Burg eingesperrt, und jetzt totet er jeden, der sich der Burg oder dem Schlo? nahert.« »Glaubst du, das stimmt alles?«

Johnston zuckte die Achseln. »Das wei? kein Mensch«, sagte er. »Weil noch niemand lebend von dort zuruckgekommen ist.«

Die Augen fest zusammengekniffen, wartete Kate auf das Herabsausen der Axt. Der Ritter uber ihr schnaubte und grunzte, er atmete schneller, als wurde er vor dem todbringenden Schlag immer erregter -Dann verstummte er.

Sie spurte, wie der Fu? auf ihrem Rucken sich drehte. Er schaute sich um.

Die Axt knallte Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt auf den Klotz. Der Ritter stutzte sie ab, lehnte sich darauf, wahrend er sich zu etwas umdrehte, das sich hinter ihm befand. Er fing wieder an zu grunzen, und jetzt klang er sehr wutend.

Kate versuchte zu sehen, wonach er sich umdrehte, aber die Klinge der Axt versperrte ihr die Sicht. Dann horte sie hinter sich Schritte. Da war noch jemand.

Wieder wurde die Axt gehoben, doch auch der Fu? hob sich von ihrem Rucken. Hastig rollte sie sich von dem Klotz herunter und sah, da? Chris nur wenige Meter entfernt stand, in den Handen das Schwert, das sie fallengelassen hatte. »Chris!«

Chris grinste mit zusammengebissenen Zahnen. Sie sah, da? er Angst hatte. Er hielt den Blick starr auf den grunen Ritter gerichtet. Mit einem Knurren wirbelte der Ritter herum, und die Axt sauste zischend durch die Luft. Chris hob das Schwert, um zu parieren. Funken flogen, als Metall auf Metall klirrte. Die Manner umkreisten einander. Der Ritter holte noch einmal aus, Chris duckte sich, kippte nach hinten und stand hastig wieder auf,

wahrend die Axt sich vor ihm in den Boden grub. Kate tastete in ihrem Beutel nach dem Gaszylinder. Dieser fremde Gegenstand aus einer anderen Zeit wirkte jetzt absurd klein und leicht, aber er war alles, was sie hatte. »Chris.«

Kate, die hinter dem grunen Ritter stand, hob den Zylinder, so da? er ihn sehen konnte. Er nickte unbestimmt, wahrend er weiter vor den Angriffen des Ritters zuruckwich. Sie sah, da? er schnell ermudete und an Boden verlor und der grune Ritter immer naher ruckte. Kate hatte keine andere Wahl: Sie rannte los, sprang in die Luft und landete auf dem Rucken des Ritters. Er grunzte uberrascht von dem zusatzlichen Gewicht. Sie klammerte sich an ihm fest, hielt ihm die Dose vor den Helm und spruhte Gas durch die Schlitze. Der Ritter hustete und schuttelte sich. Sie spruhte noch einmal, und der Ritter fing an zu taumeln. Sie sprang ab. »Tu es!« rief sie.

Chris kauerte, auf ein Knie gestutzt, und keuchte. Der Ritter war noch auf den Beinen, aber er schwankte. Chris ging langsam auf ihn zu und stie? ihm das Schwert zwischen den Plattenpanzern in die Seite. Der

Ritter brullte wutend auf und fiel auf den Rucken.

Chris war sofort uber ihm, zerschnitt die Bander seines Helms und stie? ihn mit dem Fu? fort. Kate sah verfilzte Haare, einen struppigen

Bart und wilde Augen, wahrend Chris ausholte, um ihm den Kopf abzuschlagen.

Es funktionierte nicht.

Die Klinge sauste nach unten, zerteilte Fleisch, grub sich in Knochen und blieb dort stecken. Der Hals war

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