Marek wu?te, warum, noch bevor er das Gebaude betrat, das nur aus einem einzigen, gro?en Zimmer bestand. Auf erhohten Plattformen an den Wanden stapelten sich faustgro?e graue Tuchsackchen. In einer Ecke waren eiserne Kanonenkugeln zu einer Pyramide aufgeschichtet. Der Raum hatte einen charakteristischen, scharf- trockenen Geruch, und Marek wu?te genau, wo er war. In der Munitionskammer.

Malegant sagte: »Nun, Magister, wir haben einen Eurer Gehilfen gefunden.«

»Ich danke Euch dafur.« In der Mitte des Raums sa? Professor Edward Johnston im Schneidersitz auf dem Boden. Zwei steinerne Schalen mit einer Pulverinischung standen neben ihm. Eine dritte

Schale hatte er zwischen den Knien, und mit einem Steinsto?el zerrieb er unter rhythmischen, kreisenden Bewegungen ein graues Pulver. Johnston horte nicht auf, als er Marek sah. Er zeigte sich kein bi?chen uberrascht.

»Hallo, Andre«, sagte er. »Hallo, Professor.«

Ohne die Arbeit zu unterbrechen, fragte Johnston: »Bist du in Ordnung?«

»Ja, alles okay. Hab mir nur das Bein ein bi?chen verletzt.« Eigentlich pochte Mareks Bein vor Schmerz, aber die Wunde war sauber. Das Flu?wasser hatte sie grundlich ausgewaschen, und er vermutete, da? sie in ein paar Tagen verheilt sein wurde.

Der Professor mahlte unaufhorlich weiter. »Das ist gut, Andre«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Wo sind die anderen?« »Was mit Chris ist, wei? ich nicht«, sagte Marek. Er dachte daran, wie blutbespritzt Chris gewesen war. »Aber Kate ist okay, und sie ist auf dem Weg zur —«

»Das ist gut«, sagte der Professor leise und verdrehte die Augen in Richtung Sir Guy. Um das Thema zu wechseln, nickte er in Richtung Schussel. »Du wei?t doch, was ich mache, nicht?« »Inkorporieren«, sagte Marek. »Taugt das Zeug was?« »Eigentlich gar nicht schlecht. Es ist Weidenholzkohle, und die ist ideal. Der Schwefel ist ziemlich rein, und das Nitrat organisch.« »Guano?« »Genau.«

»Also ungefahr das, was man erwarten wurde«, sagte Marek. Eins der ersten Dinge, mit denen Marek sich beschaftigt hatte, war die Technologie des Schwarzpulvers gewesen, das in Europa ab dem vierzehnten Jahrhundert weite Verbreitung fand. Schwarzpulver war eine jener Erfindungen, wie die des Muhlrads oder des Automobils, die man nicht einer einzelnen Person oder einem bestimmten Ort zuordnen konnte. Ursprunglich war das Rezept -ein Teil Holzkohle, ein Teil Schwefel, sechs Teile Salpeter — aus China gekommen. Einzelheiten daruber jedoch, wie es seinen Weg nach Europa gefunden hatte, waren umstritten, wie auch die Datierung seiner fruhesten Verwendung, damals noch weniger als

Sprengstoff, sondern als Zundmittel. Als Schwarzpulver zum ersten Mal verwendet wurde, bedeutete Feuerwaffe noch »eine Waffe, die Feuer benutzt«, und nicht wie heute eine Vorrichtung, die mittels einer Explosion Projektile verschie?t, Gewehre oder Kanonen etwa. Der Grund lag einfach darin, da? fruhes Schwarzpulver noch nicht sehr explosiv war, denn damals verstand man seine Chemie noch nicht, und die Kunst der Herstellung war noch nicht sehr entwickelt. Schie?pulver explodierte, wenn Holzkohle und Schwefel sehr schnell verbrannten, wobei diese schnelle Verbrennung durch eine reiche Sauerstoffquelle ermoglicht wurde - durch Nitratsalze, die spater Salpeter genannt wurden. Die gebrauchlichste Nitratquelle war Fledermauskot aus Hohlen. In den fruhen Jahren wurde dieser Guano in keiner Weise veredelt, sondern einfach der Mischung hinzugegeben. Aber die gro?e Entdeckung des vierzehnten Jahrhunderts bestand darin, da? Schwarzpulver besser explodierte, wenn es extrem fein zermahlen wurde. Dieses Verfahren wurde »Inkorporation« genannt und ergab, wenn richtig durchgefuhrt, Schie?pulver mit der Konsistenz von Talkumpuder. In diesen endlosen Stunden des Mahlens und Reibens wurde erreicht, da? winzige Salpeter- und Schwefelpartikel in mikroskopisch kleine Poren der Holzkohle hineingepre?t wurden. Das war auch der Grund, warum gewisse Holzer, wie etwa Weide, bevorzugt wurden, denn deren Holzkohle war poroser. Marek sagte: »Ich sehe nirgends ein Sieb. Wirst du es nicht kornen?« Er drehte sich und schaute sich etwas ratlos um.

»Nein.« Johnston lachelte. »Das Kornen ist noch nicht erfunden, erinnerst du dich?«

Beim Kornen wurde dem Pulver Wasser hinzugefugt, so da? eine Paste entstand, die dann getrocknet wurde. Gekorntes Pulver war viel explosiver als trocken gemischtes Pulver. Chemisch betrachtet, loste das Wasser den Salpeter teilweise auf, die Losung uberzog die Innenseite der Holzkohleporen und transportierte dabei die unloslichen Schwefelpartikel ebenfalls mit hinein. Das so entstandene Pulver war nicht nur explosiver, sondern auch stabiler und haltbarer. Aber Johnston hatte recht: Das Kornen wurde erst um

1400 entdeckt - also erst gut vierzig Jahre spater.

»Soll ich ubernehmen?« fragte Marek. Das Inkorporieren war ein langwieriger Proze?; das Mahlen konnte sechs bis acht Stunden dauern.

»Nein. Ich bin fertig.« Der Professor stand auf und sagte zu Sir Guy:

»Sagt Lord Oliver, da? wir bereit sind fur die Vorfuhrung.«

»Des Griechischen Feuers?«

»Nicht ganz.«

Im Licht der spaten Nachmittagssonne schritt Lord Oliver ungeduldig auf der machtigen au?eren Burgmauer auf und ab. Die Mauerkrone war hier mehr als funf Meter breit, so da? die Kanonen, die hier aufgereiht standen, beinahe winzig wirkten. Sir Guy war bei ihm, wie auch ein murrisch dreinblickender Robert de Kere; alle drei schauten erwartungsvoll hoch, als der Professor erschien. »Nun? Seid Ihr endlich fertig, Magister?«

»Mylord, das bin ich«, sagte der Professor, der mit zwei der steinernen Schalen unter den Armen zu der Gruppe stie?. Marek trug eine dritte Schale, in der das feine graue Pulver mit einem dicken Ol vermischt war, das stark nach Harz roch. Johnston hatte ihm gesagt, er durfe das Gemisch auf keinen Fall beruhren, doch diese Ermahnung war gar nicht notig; das Gemisch war unappetitlich und stank. Au?erdem trug er eine Schale mit Sand.

»Griechisches Feuer? Ist es Griechisches Feuer?«

»Nein, Mylord. Etwas Besseres. Das Feuer des Athenaios von

Naukratis, das man auch automatisches Feuer< nennt.«

»Tatsachlich?« Lord Oliver kniff die Augen zusammen. »Fuhrt es mir vor.«

Direkt unterhalb der Kanonenreihe erstreckte sich die weite ostliche Ebene, auf der eben die Trebuchets in einer Reihe aufgestellt wurden. Sie standen etwa zweihundert Meter entfernt, knapp au?er Schu?weite. Johnston stellte seine Schalen zwischen den ersten beiden Kanonen ab. Die erste Kanone lud er mit einem Pulversack aus der Munitionskammer. Dann schob er einen dicken Metallpfeil mit metallenen Stabilisatorflugeln in die Kanone. »Dies sind Eurer Pulver und Euer Pfeil.«

Dann wandte er sich der zweiten Kanone zu und fullte vorsichtig sein fein gemahlenes Schwarzpulver in einen Sack, den er in die Kanonenmundung stopfte. Dann sagte er: »Andre, den Sand bitte.« Marek kam zu ihm und stellte ihm die Schale mit Sand vor die Fu?e. »Wozu ist der Sand gut?«

»Nur eine Vorsichtsma?nahme, Mylord, falls mir ein Mi?geschick unterlauft.« Johnston nahm sehr behutsam einen zweiten Pfeil in die Hand, er hielt ihn nur an den Enden und schob ihn vorsichtig in die Kanone. Die Spitze des Pfeils war gekerbt, die Kerben mit der dicken Paste gefullt.

»Das sind mein Pulver und mein Pfeil.«

Der Kanonier gab Johnston nun einen dunnen, an einem Ende rotgluhenden Holzstab. Johnston hielt ihn an die erste Kanone. Es gab eine bescheidene Explosion, ein Wolkchen schwarzen Rauchs, der Pfeil flog davon und landete hundert Meter vor dem ersten Trebuchet.

»Jetzt mein Pulver und mein Pfeil.«

Der Professor hielt den Stab an die zweite Kanone.

Es gab eine laute Explosion und eine dichte Rauchwolke. Der Pfeil landete etwa drei Meter neben einem Trebuchet. Er lag im Gras.

Oliver schnaubte. »Ist das alles? Ihr werdet mir verzeihen, aber ich habe —«

In diesem Augenblick schien der Pfeil zu explodieren und Flammen in alle Richtungen zu spucken. Das Trebuchet fing sofort Feuer, und Manner sturzten mit den Wassersacken der Pferde herbei, um es zu loschen.

»Ich verstehe...« sagte Lord Oliver.

Doch das Wasser schien das Feuer eher noch zu verteilen und nicht zu loschen. Mit jedem neuen Gu? loderten die Flammen hoher, die Manner wichen verwirrt zuruck. Am Ende mu?ten sie hilflos zusehen, wie das Trebuchet vor ihren Augen verbrannte. In wenigen Augenblicken war es nur noch ein Haufen verkohlter, rauchender Trummer. »Bei Gott, Edward und dem heiligen Georg«, sagte Oliver. Johnston verbeugte sich leicht und lachelte.

Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату