Oberhaupt der Kolonie gewahlt zu werden. Wilcox, Webb und Cro? bestarkten ihn noch in seinen Vorstellungen, da? keiner der Jungen so gut fur diesen Posten geeignet sei wie gerade er. Sie machten auch schon unter den Kleineren der Kolonie »Stimmung« fur ihn. Aber Doniphan hatte nicht die Mehrzahl der Kolonisten auf seiner Seite. Gordon durchschaute naturlich, was da in der Luft lag, bemuhte sich aber keineswegs, obwohl noch einmal fur ein Jahr wahlbar, noch einmal um diesen schweren, verantwortungsreichen Posten. Sein etwas hartes, entschiedenes Auftreten hatte ihm nicht die Gunst seiner Kameraden eingetragen oder bewahrt, und genau das wu?te Doniphan. Was die Kleinsten Gordon besonders verubelten, war seine Sparsamkeit bezuglich su?er Speisen und anderer Delikatessen. Au?erdem hatte er sie zu oft ermahnt, besser auf ihre Kleider und Schuhe achtzugeben, das verargerte besonders die leidenschaftlichen Fu?ballspieler. Und wieviel Vorwurfe gab es uber die verlorenen oder auch nur abgerissenen Knopfe! Bei solchen Streitereien trat Briant ofters als Fursprecher der Kleinen auf, was ihm naturlich viele Sympathien eintrug. Ferner wu?ten sie ganz genau, da? die beiden Kuchenchefs Moko und Service immer zu Briant hielten, wenn er also zum Oberhaupt der Insel Chairman gewahlt werden wurde, gabe es moglicherweise ofters Leckerbissen als unter dem Patronat Gordons.
Briant selbst interessierten diese ganzen, meist heimlich gefuhrten Debatten uberhaupt nicht; ihm war relativ gleichgultig, wer zum nachsten Oberhaupt gewahlt wurde, an der derzeitigen Lage wurde das nichts andern! Das Jahr, fur welches Gordon gewahlt worden war, ging am 10. Juni zu Ende. Schon Tage zuvor herrschte in French-den eine eigenartig erregte Atmosphare, es bildeten sich kleinere Diskussionsgruppen, vertrauliche Besprechungen, heimliche Zusammenkunfte fanden statt. Gordon hielt sich abseits, er wollte ohnehin nicht mehr kandidieren. Was Briant betrifft, so war er viel zuviel Franzose, als sich nach einem solchen Posten die Finger zu lecken, er wollte keine Kolonie fuhren, deren Mitglieder in der Mehrzahl Englander waren. Besorgt und einigerma?en aufgeregt war nur Doniphan. Mit seiner au?ergewohnlichen Intelligenz und seinem von keinem der Kinder bezweifelten Mut hatte er an sich gute Chancen gehabt, waren nicht die minderen Charakterqualitaten wie Herrschsucht und Neid gewesen, die ihm so viele Feinde eintrugen. Was er nicht offen tun konnte, erledigten fur ihn seine Freunde Wilcox, Cro? und Webb mit ubergro?em Eifer; sie versuchten, ihre Kameraden davon zu uberzeugen, da? es keinen besseren gab als Doniphan.
Am Nachmittag des 10. Juni sollte der Wahlgang stattfinden. Jedes der Kinder schrieb einen Namen auf einen Zettel; die Majoritat sollte den Ausschlag geben. Da die Kolonie 15 Mitglieder zahlte, mu?te eine Zahl uber 8 zur Wahl des Oberhauptes genugen.
Als die Stimmzettel geoffnet wurden, ergab sich folgendes Resultat:
Briant - 9 Stimmen
Doniphan - 3 Stimmen
Gordon - 1 Stimme
Weder Gordon noch Doniphan hatten sich an der Wahl beteiligen wollen, Briant hatte seine Stimme Gordon gegeben. Doniphan war sauer, als er das Endergebnis erfuhr. »Nimmst du die Wahl an?« fragte ihn Gordon.
»Ich nehme die Wahl an«, sagte Briant.
19
Trotz seiner Zugehorigkeit zu einer den Jungen fremden Nationalitat liebten sie Briant sehr. Nur Doniphan und dessen Freunde wollten Briants Fahigkeiten, besonders seinen Gerechtigkeitssinn und seine Loyalitat, nicht anerkennen. Gordon sah zwar voraus, da? diese Wahl die ohnehin schon vorhandene Uneinigkeit unter den Kameraden noch vertiefen und dramatisieren wurde, aber dennoch begluckwunschte er seinen Nachfolger herzlich und ohne jeden Anflug von Verargerung uber das fur ihn so schlechte Ergebnis. Jacques wunderte sich etwas, da? sein Bruder die Wahl angenommen hatte.
»Du willst also wirklich .. .«, sagte er, ohne den Satz vollenden zu wollen.
»Ja, ich mochte endlich noch mehr tun konnen, um deine Schuld wenigstens etwas abzutragen.«
»Ich danke dir, Bruder und bitte, schone mich nicht, wenn es um besonders schwierige Arbeiten geht.«
Am nachsten morgen begann wieder der Alltag in French-den. Bald wurde der arktische Winter uber die Insel Chairman hereinbrechen, deshalb wollte Briant zuvor noch eine bestimmte Aufgabe erledigen. Auf dem Kamm des Auckland-hill wehte die Flagge Gro?britanniens nur noch in Fetzen, der Seewind hatte zu stark gewutet. Es war also notig, die Flagge durch ein anderes, den winterlichen Bedingungen angemesseneres Zeichen zu ersetzen. Auf Briants Vorschlag bastelte Baxter eine Art Ballon, hergestellt aus biegsamen Rohrzweigen, die in der Gegend der Schlammlache wuchsen, der schon deshalb haltbarer sein mu?te, weil der Wind durch die Kugel hindurchpfeifen konnte, soviel er wollte.
Am 17. Juni strich Briant die Fahne Englands ein und hi?te den Gertenballon, der zudem sichtbarer war fur moglicherweise voruberfahrende Schiffe.
Das Barometer stieg immer mehr an, es konnte nicht mehr lange dauern, bis man ganz in French- den eingeschlossen war. Briant lie? die Jolle an Land ziehen und mit einem geteerten Pfortsegel abdecken. Wilcox und Baxter uberpruften noch einmal die Fangschlingen und die Gruben, au?erdem hoben sie noch einige neue, naher an French-den liegende Gruben aus, damit bei Schnee der Weg zur Beute nicht so weit war. Auch die Luftnetze langs der Ufer des Rio Sealand wurden aufgespannt, fur das Wasserwild, das regelma?ig bei Wintereinbruch ins Landesinnere fluchtete.
Wahrend der ersten Julitage bedeckte sich der Rio mit einer Eisschicht, die sich zusehends verfestigte. Das 100teilige Thermometer zeigte bereits 12 Grad unter Null an, auch der See mu?te bald zugefroren sein. Nach einigen sturmischen Boen sprang der Wind nach Sudwesten um, der Himmel klarte sich auf, die Temperatur sank bis auf 20 Grad unter den Gefrierpunkt. Das von Gordon ausgearbeitete Programm wurde auch jetzt wieder in vollem Umfang aufgenommen. Briant hielt den Daumen darauf, da? keine Bummelei vorkam. Gordon erleichterte ihm seine Aufgabe dadurch, da? er selbst sich Briant vollkommen unterwarf und keine Privilegien fur sich forderte. Doniphan hielt sich auffallend zuruck, freilich immer in der von ihm befehligten Gruppe, von der man nie genau wu?te, was sie ausheckte. Aber Briant hatte augenblicklich keinen Grund zur Klage. Er bemuhte sich, gegen jedermann gerecht zu sein, die schwierigsten Arbeiten ubernahm er meistens selbst, zuweilen holte er seinen Bruder dazu, der ihm mit Vergnugen half. Gordon bemerkte, wie sich Jacques Charakter nach und nach wieder veranderte, wie er immer mehr der alte Jacques, wie ihn alle in Auckland, in der Pension Chairman gekannt hatten, wurde. Auch Moko entging diese Veranderung nicht. Er hielt sein Wort und schwieg uber die miterlebte Szene zwischen Briant und Jacques.
Briant dachte sehr oft uber die Chancen einer Ruckkehr nach Neuseeland nach. Das unterschied ihn von seinem Vorganger im Amt des Oberhauptes Gordon, dem es hier in der Einode ganz gut zu gefallen schien. Briant wollte seine Amtszeit vor allem durch Anstrengungen auszeichnen, die die Heimkehr der Jungen beschleunigen sollten. Aber wie? Welche Moglichkeiten gab es denn uberhaupt?
»War der wei?liche Punkt, den ich von der Deception-Bai aus gesehen habe, doch keine Tauschung?« fragte er sich immer wieder.
»Wenn der Fleck Land war, dann ist es doch moglich, mit einem Flo? oder einem Boot dorthin zu fahren!«
Sprach er uber dieses Problem mit Baxter, so zuckte dieser nur mit den Achseln.
»Viel zu schwer fur uns, ein seetuchtiges Boot zu bauen!«
»Warum sind wir nur Jungen«, klagte Briant, »warum nur Jungen und keine Manner!« Das war und blieb sein gro?ter Kummer!
Wahrend der langen Winternachte kam es, obwohl French-den selbst ungefahrdet schien, manchmal zu kleinen Storungen. Phann schlug wiederholt an, wenn Schakale die Einfriedung umschwarmten. Dann schossen Doniphan und Wilcox einige gezielte Kugeln ab, was die Tiere sofort vertrieb. Ein paarmal zeigten sich auch Jaguare und Cuguare in der Nahe von French-den, ohne aber so nahe wie die Schakale heranzukommen. Die erste Halfte des August brachte 4 au?ergewohnlich strenge Frosttage. Das Thermometer sank bis auf 30 Grad unter Null. Briant befahl, die Turen dicht verschlossen zu halten und starker denn je durchzuheizen, damit keinerlei Erkaltungskrankheiten auftreten konnten. Auch in den Stallungen mu?te mehr als gewohnlich geheizt werden.
Am 6. August schlug der Wind plotzlich um, die bittere Kalte lie? nach. Die Sloughi-Bai und das Ufergelande der Wrack-coast wurden jetzt von heftigen, langanhaltenden und orkanhaften Sturmen heimgesucht, die unaufhorlich uber die Hohenzuge des Auckland-hill pfiffen. Die Temperatur sank weiter bis stellenweise 7 oder 8
