Sie konnten sich allenfalls damit trosten, da? es Diagnostikern noch schlechter erging als ihnen.

Diagnostiker bildeten die geistige Elite des Orbit Hospitals. Ein Diagnostiker war eines jener seltenen Wesen, deren Psyche und Verstand als ausreichend stabil erachtet wurde, permanent bis zu zehn Bander gleichzeitig im Kopf gespeichert zu haben. Ihren mit Daten vollgestopften Hirnen oblag in erster Linie die Aufgabe, medizinische Grundlagenforschung zu leisten und neue Krankheiten bislang unbekannter Lebensformen zu diagnostizieren und zu behandeln.

Im Hospital gab es das geflugelte Wort — das angeblich vom Chefpsychologen selbst stammte —, da? jeder geistig Zurechnungsfahige, der freiwillig Diagnostiker werden wollte, schon von vornherein verruckt sei mu?te.

Mit einem Schulungsband wurden einem namlich nicht nur die physiologischen Fakten einer Spezies ins Gehirn eingetrichtert, sondern auch die Personlichkeit und das Gedachtnis des Wesens, das dieses Wissen besessen hatte. Praktisch setzten sich Diagnostiker freiwillig einer hochst drastischen Form multipler Schizophrenie aus, und da samtliche Alienkomponenten, die in Ihren Hirnen herumgeisterten, in jeder Hinsicht unterschiedlich waren, wandten sie haufig nicht einmal dasselbe logische System an.

Conway unterbrach seine Gedanken und kehrte wieder in die Gegenwart zuruck, als sich Mannon erneut zu Wort meldete.

„Das Komische an diesem faden Salatgeschmack ist, da? sich keins meiner beiden zweiten Ichs daran zu storen scheint. Ich meine, der Anblick des Salats macht dem einen schon ein wenig zu schaffen, aber nicht der Geschmack. Wohlgemerkt, dabei mag es dieses Zeug nicht einmal sonderlich gern, aber ihm wird eben nicht vollig schlecht davon. Gleichzeitig genie?t mein anderes zweites Ich dieses Grunzeug mit geradezu gluhender Leidenschaft. Ich wurde so gern etwas anderes essen, aber mich selbst fragt ja keiner. Ach, wo wir gerade von gluhender Leidenschaft reden, was ist eigentlich mit Ihnen und dieser Schwester Murchison?“

Mannon pflegte Gesprachsthemen mit einer solch atemberaubenden Geschwindigkeit zu wechseln, da? Conway manchmal glaubte, den Fahrtwind zu spuren.

„Falls es mir die Zeit erlaubt, werde ich sie heute abend noch treffen“, entgegnete er zuruckhaltend. „Aber zu Ihrer Information: Wir sind lediglich gute Freunde.“

„Hahaha…“, schnaubte Mannon abfallig.

Conway unternahm nun seinerseits einen ahnlich abrupten Themawechsel, indem er Dr. Mannon von seiner bevorstehenden Aufgabe berichtete. Sein ehemaliger Vorgesetzter war zwar der netteste Mensch auf der Welt, aber er hatte die schreckliche Angewohnheit, Leute gerne aufzuziehen, und sei es zu den unmoglichsten Gelegenheiten. Jedenfalls gelang es Conway, da? der Name „Murchison“ bis zum Ende des Abendessens kein einziges Mal mehr erwahnt wurde.

Nachdem er und Mannon sich voneinander getrennt hatten, begab sich Conway zum nachsten Kommunikator und sprach kurz mit einigen der terrestrischen wie extraterrestrischen Arzte, die den Unterricht fur die neu eingetroffenen Medizinalassistenten ubernehmen sollten. Als er schlie?lich auf die Uhr schaute, stellte er fest, da? er noch fast eine Stunde Zeit hatte, bevor er an Bord der Vespasian gehen mu?te, und beim Durchqueren der Korridore legte er ein Tempo vor, das sich fur einen Chefarzt eigentlich nicht geziemte.

Auf dem Schild uber dem Eingang stand „Freizeitbereich der Spezies DBDG, DBLF, ELNT, GKNM & FGLI“. Conway ging hinein, tauschte rasch seinen wei?en Arztkittel gegen eine Badehose und machte sich auf die Suche nach Schwester Murchison.

Die tauschend echt wirkende kunstliche Beleuchtung und die wirklich geniale Landschaftsgestaltung des Freizeitbereichs, der immerhin eine ganze Ebene des Orbit Hospitals einnahm, vermittelten einem die Illusion unendlicher Weite. Das Endprodukt war jedenfalls ein kleiner, von Felsen eingerahmter Meeresstrand, der zur See hin offen war. Das Wasser erstreckte sich scheinbar bis zum Horizont, der unmerklich in ein Hitzeflimmern uberging. Der Himmel war blau und wolkenlos — realistische Wolkeneffekte waren nur schwer nachzuahmen, hatte einst ein Wartungsingenieur Conway verraten. Das Wasser in der Bucht schimmerte turkisblau und platscherte in sanften Wellen gegen den leicht ansteigenden Strand, dessen wei?er Sand fur die Fu?e fast zu hei? war. Lediglich die kunstliche Sonne, die nach Conways Geschmack ein wenig zu rotlich ausgefallen war, und die extraterrestrischen Grunpflanzen, die den Strand und die Felsen umsaumten, raubten einem die Illusion, man wurde sich in irgendeiner Sudseebucht auf der Erde befinden.

Aber der Platz im Orbit Hospital war relativ knapp, und man konnte es nun einmal nicht jeder einzelnen Spezies gerecht machen. Au?erdem erwartete man von Wesen, die zusammen arbeiten mu?ten, da? sie auch ohne Probleme ihre Freizeit gemeinsam verbringen konnten.

Die bemerkenswerteste und dennoch vollig unsichtbare Besonderheit des Freizeitbereichs aber war, da? dort nur die halbe Erdanziehungskraft herrschte. Ein halbes Ge bedeutete, da? die Wesen, die eine hohere Gravitation gewohnt waren und erschopft hierherkamen, sich noch leichter erholen konnten, und diejenigen, die sich bereits frisch fuhlten, hier geradezu quicklebendig wurden.

Conway stand jetzt mit den Fu?en im Wasser. Eine kleine, steile Welle naherte sich ihm im Zeitlupentempo und brach sich an seinen Knien. Die Wellenaktivitat in der Bucht wurde nicht etwa kunstlich erzeugt, sondern hing in ihrem Ausma? von der korperlichen Gro?e, der Anzahl und der Betriebsamkeit der Badenden ab.

Von einem der beiden Felsen ragten etliche Vorsprunge hervor, die durch verborgene Tunnel miteinander verbunden waren und den Gasten als Absprungschanze dienten. Conway kletterte auf den mit seinen mehr als funfzehn Metern hochsten Felsvorsprung und hielt, von diesem Aussichtspunkt aus nach einem weiblichen DBDG- Wesen namens Murchison, bekleidet mit einem wei?en Badeanzug, Ausschau.

Schwester Murchison war allerdings weder im Restaurant auf dem gegenuberliegenden Felsen, noch im seichten Wasser am Strand oder in dem dunkelgrunen Wasser unterhalb der Felsvorsprunge zu sehen. Der Strand selbst war mit gro?en, kleinen, lederigen, schuppigen und pelzigen Gestalten ubersat, die zumeist lang ausgestreckt im Sand lagen. Aber Conway hatte auch aus dieser Entfernung keine Muhe, die Menschen von den anderen Badegasten zu unterscheiden, da Terrestrier die einzige intelligente Spezies in der galaktischen Foderation mit einem Nacktheitstabu waren. Also konnte er jedes Wesen, das irgendein Kleidungsstuck trug — und sei es noch so knapp bemessen —, als Angehorigen der Gattung Mensch betrachten.

Plotzlich entdeckte er etwas Wei?es, das teilweise von einem gelben und zwei grunen Stoffetzen verdeckt wurde. Das mu?te Schwester Murchison sein, die wieder einmal von einigen Verehrern umgeben war. Er orientierte sich kurz und ging denselben Weg zuruck, den er gerade gekommen war.

Als er sich der Gruppe schlie?lich naherte, zogen sich die beiden Monitore, die um Schwester Murchison herumstanden, und ein Medizinalassistent, der von Ebene siebenundachtzig stammte, nur au?erst widerwillig zuruck.

„Hallo, tut mir leid, da? ich mich etwas verspatet hab“, sagte er mit einer Stimme, die zu seinem eigenen Entsetzen vor Aufregung viel zu hoch klang.

Schwester Murchison beschattete ihre Augen mit der Hand und schaute zu ihm auf. „Ich bin auch gerade erst gekommen“, erwiderte sie lachelnd. „Warum legen Sie sich nicht einfach neben mich?“

Conway lie? sich in den Sand fallen, stutzte sich aber auf einem Ellbogen ab, um Schwester Murchison sehen zu konnen.

Die Krankenschwester besa? physiologische Merkmale, die es den mannlichen Mitarbeitern des terrestrischen Personals anscheinend unmoglich machten, sie aus neutraler, — medizinischer Distanz zu betrachten. Zudem hatte die kunstliche, aber mit UV-Strahlen angereicherte Sonne ihrem Korper eine betorende Braune verliehen, die durch den aufregenden Kontrast zum wei?en Badeanzug noch verstarkt wurde. Ihre dunkelbraunen Haare wehten storrisch in der kunstlichen Brise, ihre Augen waren wieder geschlossen und ihre Lippen leicht geoffnet. Sie atmete tief und gleichma?ig, wie ein Mensch, der sich entspannte oder schlief, und was dabei mit ihrem Badeanzug angestellt wurde, verfehlte auch bei Conway nicht seine Wirkung. Hatte sie telepathische Fahigkeiten, scho? Conway plotzlich durch den Kopf, wurde sie wahrscheinlich sofort aufspringen und um ihr Leben rennen.

Sie offnete nur ein Auge und sagte schnippisch: „Sie sehen gerade wie jemand aus, der am liebsten einen Urschrei von sich geben wurde und sich mit beiden Fausten auf seine frisch rasierte Mannerbrust klopfen mochte.“

„Meine Brust ist nicht rasiert, sie ist von Natur aus unbehaart“, protestierte Conway lachelnd. „Aber ich mochte mich wenigstens einen Moment mal ernsthaft mit Ihnen unterhalten, und zwar moglichst allein. Ich meine.“

„Mir ist es egal, ob Ihre Brust behaart ist oder nicht“, besanftigte sie ihn. „Machen Sie sich deshalb also blo?

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