Bildschirmen des Schiffsradars.
Im Kontrollraum der Descartes druckte der Captain einen Knopf auf dem Steuerpult und rief in scharfem Ton: „Verbindung hergestellt?“
„Wir haben es, Sir“, kam die Antwort. „Ein Teleskop ist auf Radarpeilung eingestellt, das Bild ist auf Ihrem Repeaterschirm funf zu sehen. Es handelt sich um einen zwei- oder dreistufigen, chemisch betriebenen Flugkorper, dessen zweite Stufe immer noch brennt. Das bedeutet, wir sind in der Lage, seine Flugbahn zu rekonstruieren und den Abschu?punkt ziemlich genau festzustellen. Es sendet differenzierte Funkfrequenzmuster aus, die auf mit Hochgeschwindigkeit arbeitende Fernubertragungskanale schlie?en lassen. Die zweite Stufe ist gerade ausgebrannt und abgesto?en worden. Die dritte, wenn es sich uberhaupt um eine dritte Stufe handelt, hat nicht gezundet. das Schiff ist in Schwierigkeiten!“
Der Flugkorper, ein schmaler glanzender Zylinder, am einen Ende spitz, am anderen dicker und stumpf, war ins Trudeln geraten. Er rotierte und wirbelte zunachst langsam und dann mit standig zunehmender Geschwindigkeit um die eigene Achse.
„Ein Raketengescho??“ fragte der Captain besorgt.
„Das glaube ich nicht“, meldete sich eine langsame, prazise Stimme. „Abgesehen von der Trudelbewegung scheint es in eine sehr saubere Umlaufbahn gelangt zu sein. Es ist hochst unwahrscheinlich, da? diese Umlaufbahn durch einen Zufall eingenommen worden ist. Die relativ einfache Schiffskonstruktion und die Tatsache, da? seine gro?te Annaherung an uns etwas weniger als dreihundert Kilometer betragen wird, deuten darauf hin, da? es sich entweder um einen kunstlichen Satelliten oder um einen bemannten Flugkorper handelt, und nicht um eine auf unser Schiff gelenkte Rakete oder dergleichen.
Sollte dieses Gefahrt allerdings bemannt sein“, fugte die Stimme hinzu, „dann mu? die Besatzung in ernsthaften Schwierigkeiten stecken.“
„Ja“, antwortete der Captain, der Worter wie seltene und kostbare Diamanten behandelte, und fuhr fort: „Astronavigation, bereiten Sie Kreuzung und Anpassung der Umlaufbahnen vor. Maschinenraum, halten Sie sich bereit.“
Als sich die ungeheure Masse der Descartes dem kleinen Alienflugkorper naherte, zeigte sich, da? er nicht nur taumelnd um die eigene Achse schlingerte, sondern auch leckgeschlagen war. Wegen der schnellen Drehung konnte man nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich um ein Treibstoffleck in der nicht gezundeten dritten Stufe handelte oder ob aus der Kommandokapsel ein Atmospharegemisch entwich, wenn es denn wirklich ein bemanntes Fahrzeug war.
Das nachstliegende Verfahren war, die Drehung mit Traktorstrahlen so sanft wie moglich abzubremsen, um eine Belastung der Rumpfkonstruktion zu vermeiden, und dann den Treibstoff aus der dritten Stufe zu entfernen, um die Feuergefahr abzuwenden, bevor man das Fahrzeug langsseits brachte. Sollte das Schiff jedoch bemannt sein und es sich vielmehr um ein Atmosphare- als um ein Treibst off leck handeln, dann konnte es in den Laderaum der Descartes genommen werden. Dort wurde man nach einer erfolgreichen Bergung in aller Ruhe ein Erstkontaktverfahren durchfuhren konnen, denn die Atmosphare vom Fleischklo? war fur Terrestrier geeignet, so da? umgekehrt vermutlich dasselbe galt.
Folglich rechnete man zunachst mit einer ziemlich simplen Rettungsaktion, aber dann.
„Hier Traktorstationen sechs und sieben, Sir. Der Flugkorper la?t sich nicht zum Stillstand bringen. Wir haben ihn dreimal langsam zum Halten gebracht, aber jedesmal gibt er neuen Schub und fangt wieder an, sich zu drehen. Aus irgendeinem Grund kampft er absichtlich gegen unsere Bemuhungen an, ihn zu stoppen. Geschwindigkeit und Art der Reaktion weisen darauf hin, da? er von einer Intelligenz gesteuert wird, die sich an Ort und Stelle befindet. Wir konnen zwar mehr Kraft anwenden, aber nur auf das Risiko hin, den Rumpf zu beschadigen. Nach unseren heutigen Ma?staben ist dieses Alienschiff namlich sehr leicht gebaut, Sir.“
„Ich schlage vor, die Drehung mit aller erforderlichen Kraft sofort zu stoppen, die Tanks des Fahrzeugs zu offnen und den gesamten Treibstoff in den Raum abzuwerfen und es dann schnell in den Laderaum zu ziehen. Sobald rings um das Schiff wieder normaler Druck herrscht, besteht fur dessen Besatzung keine Gefahr mehr, und wir werden genug Zeit haben, um.“
„Hier Astronavigation. Tut mir leid, Sir, aber das mu? ich ablehnen. Unsere Berechnungen zeigen, da? das Alienschiff vom Meer aus gestartet wurde, beziehungsweise genauer gesagt vom Meeresufer aus, denn es gibt in der Gegend keine sichtbaren Anzeichen von schwimmenden Abschu?rampen oder anderen Startvorrichtungen. Wir konnen zwar die Atmosphare des Fleischklo?es reproduzieren, weil sie mit unserer praktisch identisch ist, aber nicht diese tierische und pflanzliche Suppe, die ich mal als Wasser bezeichnen mochte, und alles deutet darauf hin, da? die Besatzung aus Wasseratmern besteht.“
Ein paar Sekunden lang antwortete der Captain nicht. Er dachte uber die aus einem oder mehreren Aliens bestehende Besatzung nach und welche Grunde sie zu einem solchen Verhalten veranla?t hatte. Ob es sich dabei nun um einen technischen, physiologischen oder psychologischen Grund handelte, war im Augenblick allerdings von sekundarer Bedeutung, die Hauptsache war, jetzt so schnell wie moglich Hilfe leisten.
Wenn die Descartes auch nicht in der Lage war, dem anderen Schiff direkt zu helfen, konnte es das Fahrzeug zumindest innerhalb von Tagen zu einem anderen Ort abschleppen, der alle notwendigen Hilfseinrichtungen besa?. Der Transport selbst stellte nur ein geringes Problem dar — das rotierende Fahrzeug konnte man ins Schlepptau nehmen, ohne die Drehung aufzuhalten, indem man an der Rotationsachse einen magnetischen Greifer anbrachte, dessen Befestigungspunkt sich an der Rumpfseite der Descartes mitdrehte. So konnte man verhindern, da? die Trosse durch die standige Drehung immer kurzer werden und das Alienfahrzeug irgendwann auf die Schiffswand der Descartes krachen wurde. Zudem konnte wahrend des Flugs das Hyperantriebsfeld des gro?eren Schiffs erweitert werden, um beide Schiffe zu umschlie?en.
Die Hauptsorge des Captains galt jedoch dem Leck und da? er keinerlei Kenntnisse besa?, wie lange das Alienfahrzeug in der Umlaufbahn bleiben wollte. Daruber hinaus mu?te er, wenn er mit den Bewohnern des Fleischklo?es in freundschaftliche Beziehungen treten wollte, schnell die richtige Entscheidung treffen.
Er wu?te, da? in den fruhen Tagen des terrestrischen Raumflugs das Auftreten von Lecks und deren Reparatur ein relativ normales Ereignis gewesen war — damals hatte man es aus verschiedensten Grunden vorgezogen, lieber durch das Mitfuhren zusatzlicher Luftvorrate als durch eine Verstarkung der Konstruktion Gewichtsnachteile in Kauf zu nehmen. Doch schien es sich bei dem Leck und der Drehung des Alienschiffs wohl eher um einen dringenden Notfall zu handeln, der nur in einem stark begrenzten Zeitraum korrigiert werden konnte. Da es die Alienbesatzung aus irgendeinem unerfindlichen Grund nicht zulie?, das Schiff zum Stillstand zu bringen — wodurch eine grundlichere Untersuchung seines Zustands ermoglicht worden ware — und die erforderlichen Umweltbedingungen auf der Descartes sowieso nicht reproduziert werden konnten, gab es fur den Captain eigentlich nur noch eine einzige Moglichkeit. Wahrscheinlich lag sein kurzes Zogern an unangebrachtem Berufsstolz, weil er durch seine Entscheidung die Verantwortung fur eine besonders heikle Aufgabe auf andere ubertragen wurde.
Mit seiner ublichen Wortokonomie erteilte er schlie?lich rasch die notigen Befehle, und knapp eine halbe Stunde nachdem es gesichtet worden war, befand sich das Alienschiff bereits auf dem Weg zum Orbit Hospital im galaktischen Sektor zwolf.
Mit penetranter Beharrlichkeit wiederholte die monotone Lautsprecherstimme: „Chefarzt Doktor Conway mochte sich bitte umgehend mit Major O’Mara in Verbindung setzen.“
Conway schatzte rasch die Verkehrslage im Korridor ab, sprang einem tralthanischen Assistenzarzt aus dem Weg, der mit seinen sechs Mammutbeinen auf ihn zugestampft kam, streifte dann kurz das Fell einer kelgianischen Raupe, die in entgegengesetzte Richtung robbte, und nahm schlie?lich den Horer eines Kommunikators in die Hand, wobei er sich gegen die Wand drucken mu?te, um nicht von einem Wesen in einer Tiefkuhlbox auf Radern uberfahren zu werden.
Kaum hatte er die Verbindung hergestellt, fing die Ubertragungsanlage erneut an, mit penetranter Beharrlichkeit zu bitten, da? sich irgendwer mit irgendwem in Verbindung setzen moge.
„Haben Sie im Augenblick etwas Wichtiges zu tun, Doktor?“ fragte der Chefpsychologe ohne einleitende Worte. „Arbeiten Sie vielleicht an irgendeinem entscheidenden Forschungsobjekt, oder fuhren Sie etwa gerade eine Operation auf Leben und Tod durch?“ O’Mara legte eine Pause ein und fugte dann trocken hinzu: „Diese Fragen waren naturlich rein rhetorisch gemeint.“
Conway seufzte und erwiderte: „Ich wollte gerade zum Mittagessen gehen.“
„Sehr schon“, entgegnete O’Mara. „In dem Fall werden Sie entzuckt sein zu horen, da? die Bewohner vom Fleischklo? irgendein Raumfahrzeug in die Umlaufbahn gebracht haben, und seinem Aussehen nach zu urteilen,