Falls die Operation schiefgehen sollte, wurde sich Conway sicherlich nicht uber die Qualitat der Hilfe beklagen konnen. Allmahlich entwickelte sich bei ihm im Stillen eine gewisse Zufriedenheit mit dem Verlauf der Dinge.
Die Zufriedenheit wahrte die ganzen zehn Minuten, wahrend der sich die Einschnittlinie durch den Tunnel Nummer dreiundvierzig grub, in den sie gerade mit dem Raupenbohrer eingedrungen waren. Conway konnte die Innenseite der Tunneldichtung sehen, eine dicke gewellte Wurst aus widerstandsfahigem Kunststoff, die auf einen Druck von dreieinhalb Kilogramm pro Quadratzentimeter aufgepumpt war und damit gegen die Tunnelwande druckte. Um einem Verlust von Funktionsflussigkeit vorzubeugen, waren spezielle Vorkehrungen getroffen worden, denn die Heilungsprozesse der Schichtkreatur verliefen besturzend langsam. Ihr Blut bestand ganz und gar aus Wasser — und eine wichtige Eigenschaft, die Wasser nicht besitzt, ist die Fahigkeit zu gerinnen.
Neben der Dichtung hielten zwei Angehorige des Monitorkorps und ein melfanischer Arzt Wache. Sie schienen aufgeregt zu sein, aber im Tunnel schwammen so viele Leukozyten herum, da? Conway den Grund dafur nicht sehen konnte. Seine Bildschirme zeigten die Einschnittlinie, die diesen Rachentunnel kreuzte. Zwischen der Dichtung und dem Einschnitt flossen viele hundert Liter Wasser ab — wenn man die Gro?e des Patienten bedachte, war das allerdings kaum mehr als ein Tropfen. Die Pulsator- und Traktorstrahlen drangen weiter vor, verlangerten und vertieften den Schnitt, wahrend die unsichtbaren Pressorstrahlen, die immateriellen Pfahle, die das gewaltige Gewicht der Kreuzer trugen, die Rander auseinanderdruckten, bis sich der Einschnitt in eine immer breiter und tiefer werdende Schlucht verwandelte. Eine kleine Ladung von chemischen Sprengstoffen brachte den geraumten Tunnelabschnitt zum Einsturz und verstarkte dadurch die Kunststoffdichtung. Alles schien genauso zu laufen wie geplant, bis auf Conways Pult die Signallampe zu blinken begann, die sofortige Aufmerksamkeit verlangte, und Major Edwards’ Gesicht auf dem Bildschirm erschien.
„Conway“, sagte der Major eindringlich. „Die Dichtung in Tunnel dreiundvierzig wird von den Werkzeugen angegriffen.“
„Aber das ist doch unmoglich“, entgegnete Murchison in einem fast emporten Ton, der an jemanden erinnerte, der seinen Freund beim Falschspielen erwischte. „Der Patient hat doch noch nie unsere Innenoperationen gestort. Es gibt hier keine Augenpflanzen, die unsere Position verraten konnten, und auch kein nennenswertes Licht, und die Dichtung ist nicht einmal aus Metall. Auf der Oberflache haben die Werkzeuge noch nie Kunststoff angegriffen, immer nur Lebewesen und Maschinen.“
„Und Lebewesen greifen sie nur deshalb an, weil wir unsere Anwesenheit verraten, indem wir versuchen, die geistige Kontrolle uber sie zu erlangen“, fugte Conway schnell hinzu. Dann sagte er an Edwards gewandt: „Lassen Sie die an der Dichtung postierten Leute sofort in den Versorgungsschacht gehen, Major, schnell! Ich kann nicht direkt mit den dreien sprechen. Und sagen Sie ihnen, sie sollen versuchen, auf keinen Fall an die.“
Er brach ab, als die Dichtung vor ihm in einer gedampften Explosion aus wei?en Blasen verschwand, die durch das Tunnelgewolbe auf sie zuschossen. Au?erhalb des Raupenbohrers konnte er uberhaupt nichts mehr sehen und im Innern nur Edwards’ Gesicht und Bilder von Schiffen, die sich in einer Linie formiert hatten.
„Doktor, die Dichtung ist geplatzt!“ schrie der Major, wahrend seine Augen zur Seite huschten. „Der Schutt hinter der Dichtung wird weggespult. Harrison, graben Sie sich ein!“
Aber der Lieutenant konnte das Fahrzeug nicht eingraben, weil es die vorbeitosenden Blasen unmoglich machten, etwas zu sehen. Er schaltete die Raupenketten schnell in die entgegengesetzte Richtung, doch die Stromung, die an ihnen entlangrauschte, war so stark, da? der Raupenbohrer kaum noch Kontakt mit dem Boden hatte. Edwards loschte die Scheinwerfer, weil sie durch das vom Schaum au?erhalb der Kanzel reflektierte Licht geblendet wurden. Aber vor ihnen war immer noch ein Lichtfleck, der standig gro?er wurde.
„Edwards, stellen Sie sofort die Pulsatorstrahlen ab….“
Ein paar Sekunden spater wurden sie als Teil eines Wasserfalls aus dem Tunnel herausgespult, der uber eine organische Klippe in eine Schlucht hinuntersturzte, die keinen Boden zu haben schien. Das Fahrzeug flog aber nicht in seine Einzelteile auseinander, und sie endeten auch nicht als Erdbeermarmelade — also war klar, da? Major Edwards in der Lage gewesen war, die Pulsatorprojektoren rechtzeitig abzuschalten. Als sie eine subjektive Ewigkeit spater krachend zum Stillstand kamen, verabschiedeten sich zwei der Repeaterschirme mit spektakularen Implosionen, und der Wasserfall, der ihren Sturz auf dem Weg nach unten abgedampft hatte, donnerte jetzt gegen die Fahrzeugseite und schob und rollte den Raupenbohrer uber den Boden des Einschnitts.
„Jemand verletzt?“ fragte Conway.
Murchison lockerte die Sicherheitsgurte und zuckte zusammen. „Ich bin uberall grun und blau und. und hab am ganzen Korper Dellen.“
„Die wurde ich mir zu gerne ansehen“, bemerkte Harrison in einem Ton, der darauf schlie?en lie?, da? er sich nicht verletzt hatte.
Erleichtert und gereizt zugleich entgegnete Conway: „Zuerst sollten wir uns doch wohl lieber den Patienten ansehen.“
Der einzig noch funktionierende Bildschirm ubertrug ein von einem uber dem Einschnitt postierten Hubschrauber aufgenommenes Bild. Die schweren Kreuzer hatten sich ein kurzes Stuck zuruckgezogen, um das Operationsfeld fur Rettungs- und Beobachtungshubschrauber freizumachen, die wie gro?e Metallfliegen uber der Wunde brummten und hinabtauchten. Pro Minute stromten Tausende von Litern Wasser — die unzahlige Leukozyten und Farmerfische, unvollstandig verdaute Nahrung und Klumpen von lebenswichtigen inneren Pflanzen mit sich fuhrten — aus dem durchtrennten Rachentunnel in die Schlucht hinab und darin entlang. Conway gab Edwards ein Zeichen.
„Wir sind zwar in Sicherheit“, sagte er, bevor der Major sprechen konnte, „aber das hier ist ein schoner Schlamassel. Wenn wir diesen Flussigkeitsverlust nicht stoppen konnen, wird das Verdauungssystem zusammenbrechen, und dann haben wir unseren Patienten getotet, anstatt ihn zu heilen. Verdammt, warum hat er nicht irgendein Verfahren, sich selbst gegen grobe korperliche Verletzungen zu schutzen? Von mir aus eine Ruckschlagventilvorrichtung oder sonst was! Ich hab uberhaupt nicht damit gerechnet, da? so etwas passieren kann.“
Conway ri? sich zusammen, weil er merkte, da? er anfing, zu jammern und nach Ausreden zu suchen, statt Anweisungen zu erteilen. In forschem Ton fuhr er fort: „Ich brauche den Rat von Fachleuten. Haben Sie einen Spezialisten fur Kurzstreckenwaffen mit geringer Explosionsstarke dabei?“
„Kein Problem“, entgegnete Edwards, und ein paar Sekunden spater meldete sich eine neue Stimme: „Hier technischer Ordonnanzoffizier der Vespasian, Major Holroyd. Kann ich Ihnen helfen, Doktor?“
Das will ich doch stark hoffen, dachte Conway, wahrend er laut fortfuhr, das Problem zu umrei?en.
Sie waren mit der Notsituation eines auf dem Operationstisch verblutenden Patienten konfrontiert. Ob das betroffene Lebewesen nun gro? oder klein, ob seine Korperflussigkeit nun terrestrisches Blut, uberhitztes flussiges Metall wie bei den TLTUs vom Planeten Threcald funf oder das ein wenig unreine Wasser war, das Nahrstoffe und spezialisierte innere Organismen zu den weit auseinanderliegenden Extremitaten des Korpers der drambonischen Schichtkreatur transportierte, alles wurde auf das gleiche hinauslaufen — stetig absinkender Blutdruck, immer gro?er werdender Schock, sich ausbreitende Muskellahmung und schlie?lich der Tod.
Die normale Verfahrensweise ware unter diesen Umstanden, die Blutung zu stillen, indem man das beschadigte Blutgefa? abband und die Wunde nahte. Doch dieses bestimmte Gefa? war ein Tunnel mit Wanden, die nicht stabiler oder elastischer waren als die sie umgebende Korpersubstanz, weshalb sie nicht abgebunden und noch nicht einmal abgeklemmt werden konnten. So, wie Conway es sah, war die einzige verbleibende Moglichkeit, das aufgebrochene Gefa? zu verstopfen, indem man die Tunneldecke zum Einsturz brachte.
„Die TR-7-Torpedos fur den Nahbereich“, sagte der technische Offizier wie aus der Pistole geschossen. „Die haben eine gute Aerodynamik, deshalb wird es kein Problem sein, sie in die Stromung zu schie?en. Und vorausgesetzt, es gibt in der Nahe der Tunneloffnung keine scharfen Kurven, dann kann man sie bis zu jeder gewunschten Tiefe eindringen lassen, indem man.“
„Nein“, unterbrach ihn Conway mit bestimmtem Ton. „Ich mache mir uber die Kompressionsauswirkungen einer gro?en Explosion im Tunnel Sorgen. Die Druckwelle wurde sich bis tief ins Innere ausbreiten und dabei eine gro?e Anzahl von Farmerfischen und Leukozyten toten, ganz zu schweigen von den riesigen Mengen der empfindlichen inneren Vegetation. Wir mussen den Tunnel so nah wie moglich am Einschnitt versiegeln, Major, und den Schaden auf diesen Abschnitt beschranken.“
„Dann die B-22, die sind in der Lage, Panzer zu durchschlagen“, schlug Holroyd prompt vor. „In diese Substanz konnten sie ohne Schwierigkeiten funfzig Meter weit eindringen. Ich schlage vor, drei Raketen gleichzeitig abzuschie?en, die in einigem Abstand ubereinander oberhalb der Tunneloffnung einschlagen, damit sie