anziehend. Quellen hatte schon ernsthaft uberlegt, ob er sich in sie verlieben sollte. Doch das hatte seine Schattenseiten. Wenn er einem Menschen seine Gefuhle anvertraute, mu?te er uber kurz oder lang sein Versteck in Afrika verraten. Und das wollte er nicht. Judith dachte sehr streng. Sie wurde ihn vielleicht anzeigen.

»Hast du dich vor mir versteckt, Joe?« fragte sie.

»Ich war sehr beschaftigt. Arbeit uber Arbeit. Es tut mir leid, Judith.«

»Ubernimm dich nicht. Ich bin auch allein ganz gut zurechtgekommen.«

»Das glaube ich gern. Was macht dein Arzt?«

»Dr. Galuber? Dem geht es gut. Er wurde dich gern kennenlernen, Joe.«

Quellen versteifte sich. »Tut mir leid, Judith, ich glaube nicht, da? ich eine therapeutische Behandlung brauche.«

»Schon zum zweitenmal, da? dir etwas leid tut.«

»Es tut mir …«, begann Quellen, und dann lachten sie beide.

»Du solltest Dr. Galuber auch privat kennenlernen«, sagte Judith. »Er kommt zu unserem nachsten Treffen.«

»Und wann findet das statt?«

»Heute abend. Kommst du hin?«

»Du wei?t, da? ich den Erbrechens-Kult nicht sonderlich reizvoll finde, Judith.«

Sie lachelte frostig. »Ich wei?. Aber es wird Zeit, da? du ein wenig aus deinem Schneckenhaus hervorkommst. Du bist zu viel allein, Joe. Wenn du Junggeselle bleiben willst, ist das deine Sache, aber deswegen brauchst du doch nicht gleich wie ein Eremit zu leben.«

»Wenn ich eine Munze in einen therapeutischen Komputer stecke, bekomme ich den gleichen tiefschurfenden Rat.«

»Schon moglich. Kommst du nun zu unserem Treffen?«

Quellen dachte an den Fall, den er erst vor einer Stunde studiert hatte — an dem ein Kult-Teilnehmer Glaskristalle verteilt und die Todesqualen seiner Kultgenossen beobachtet hatte. Er stellte sich vor, wie er sich vor Schmerzen wand, wahrend Judith herzzerbrechend weinte und klagte, wie es ihr Kult gebot.

Er seufzte. Eigentlich hatte sie recht. In letzter Zeit hatte er zu allein gelebt. Er mu?te einmal von der Arbeit Abstand gewinnen.

»Gut«, sagte er. »Ich komme zu eurem Treffen, Judith.«

9

Stanley Brogg hatte einen turbulenten Tag gehabt.

Der Untersekretar bearbeitete mehrere von Quellens hei?en Fallen gleichzeitig, aber das machte ihm nichts aus. Er liebte die Arbeit. Insgeheim hatte er das Gefuhl, da? er und Spanner die Abteilung in Schwung hielten. Sie gehorten beide der gleichen Kategorie an — gro?e, unerschutterliche Manner, die mit Methode arbeiteten und in Krisenzeiten die Nerven nicht verloren, weil sie zuviel Fett besa?en, um sich aufzuregen. Naturlich, Spanner stand an der Verwaltungsspitze, wahrend er nur ein kleiner Angestellter war. Spanner war Klasse Sechs, Brogg Klasse Neun. Und doch betrachtete sich Brogg als Spanners Kampfgenosse.

Die beiden anderen, Koll und Quellen, waren eigentlich uberflussig. Koll war boshaft und ha?erfullt, ein Mensch, der aus Rache fur seine ha?liche, kleine Gestalt uberall sein Gift verspritzte. Er hatte naturlich seine Fahigkeiten, aber seine Neurose machte ihn gefahrlich und nutzlos. Wenn jemand eine Zwangstherapie brauchte, dann war es Koll. Brogg verglich ihn oft mit Tiberius: ein Mensch voll Verachtung und Gefahrlichkeit, nicht gerade verruckt, aber doch so sonderbar, da? man ihn meiden sollte.

Wenn er Koll mit Tiberius verglich, dann war Quellen Claudius: liebenswurdig, intelligent und schwach. Brogg verachtete seinen unmittelbaren Vorgesetzten. Quellen war ein Zauderer, der nicht auf seinen Posten pa?te. Hin und wieder konnte er mit Energie und Entschlossenheit vorgehen, aber das waren Ausnahmen. Brogg tat seit Jahren Quellens Arbeit, sonst ware die Abteilung schon langst ruiniert.

Eines allerdings uberraschte an Quellen: Er war zu einem Verbrechen fahig. Das hatte Brogg verblufft. Er hatte es nicht fur moglich gehalten. Ein Fleckchen in Afrika — dazu mu?te man Eintragungen falschen, einen illegalen Stati-Dienst von Appalachia nach dem Kongo einrichten, Ausreden erfinden und vieles mehr. Das zweite Leben, das Quellen in Afrika lebte, erschien Brogg so kuhn, da? er immer noch nicht verstehen konnte, wie sein schwachlicher Vorgesetzter das alles zuwege gebracht hatte. Die einzige Erklarung war, da? Quellen sich so von dem Leben in Appalachia abgesto?en fuhlte, da? er alles riskierte, um ihm zu entfliehen. Selbst ein Feigling konnte zu unerwarteter Gro?e wachsen, wenn seine Bequemlichkeit bedroht wurde.

Brogg hatte Quellens gro?es Geheimnis rein durch Zufall entdeckt, obwohl naturlich eine gewisse Verraterei dabeigewesen war. Er hatte eine Zeitlang geahnt, da? mit Quellen etwas nicht stimmte, aber er hatte nicht gewu?t, worum es sich handelte. Er hatte auf eine verbotene religiose Aktivitat getippt und vermutet, da? Quellen einer jener Sekten angehorte, die in dunklen Hausern zusammenkamen, um Flaming Bess, die abscheuliche Feuergottin, zu verehren.

Brogg wu?te nichts Bestimmtes, aber er bemerkte an Quellens Benehmen eine eigenartige Zuruckhaltung und Verteidigungsbereitschaft, und er nahm sich vor, die Situation zu seinem Vorteil auszunutzen. Er hatte hohe Ausgaben. Brogg war ein Mensch mit einem Hang zur Wissenschaft. Er beschaftigte sich grundlich mit der romischen Antike und sammelte Bucher und Munzen. Es kostete viel Geld, heutzutage noch etwas Echtes aufzutreiben. Brogg lebte immer am Rande des Bankrotts. Und so war ihm der Gedanke gekommen, Quellen anzuzapfen.

Zuerst hatte Brogg mit Quellens damaligem Zimmergenossen gesprochen — denn Quellen war noch nicht befordert worden und mu?te wie jeder Junggeselle seiner Klasse die Wohnung mit einem anderen teilen. Bruce Marok hatte zwar auch das Gefuhl, da? etwas Merkwurdiges vorging, aber er konnte keine Einzelheiten verraten. Er schien wirklich nicht viel zu wissen. Dann kam Quellens Beforderung, und Marok konnte nicht mehr spionieren.

Brogg kam auf die Idee, seinem Bo? einen Horcher zu verpassen. Und nun konnte er in Ruhe abwarten.

Die Wahrheit kam ziemlich bald heraus. Quellen hatte unter einem Pseudonym ein Stuck Land in Afrika erworben. Der gro?te Teil Afrikas war als Privatland fur die Mitglieder der Hohen Regierung reserviert — besonders der tropische Teil, der wahrend des Sporenkriegs vor mehr als hundertfunfzig Jahren vollig entvolkert worden war. Quellen hatte sich sein Stuck vom gro?en Kuchen abgeschnitten. Er hatte sich ein Haus bauen lassen und konnte mit einem verbotenen Stati-Feld im Nu uber den Atlantik flitzen. Naturlich wurde Quellens Versteck eines Tages von den Uberwachungstruppen entdeckt werden. Aber dieser Teil des Landes sollte erst in etwa funfzig Jahren neu untersucht werden, und bis dahin bestand wenig Gefahr fur Quellen.

Brogg verbrachte ein paar spannende Wochen mit der Verfolgung von Quellens Bewegungen. Er hatte zuerst angenommen, Quellen wurde Frauen in sein Versteck mitnehmen und kultische Orgien feiern, aber nein, er ging allein hin. Er suchte einfach Frieden und Einsamkeit. Irgendwie hatte Brogg Verstandnis fur Quellens Wunsch. Aber er hatte auch seine eigenen Wunsche, und er war kein uberma?ig sentimentaler Mensch. So ging er zu Quellen.

»Denken Sie an mich, wenn Sie das nachste Mal nach Afrika gehen«, sagte er einfach. »Ich beneide Sie, Kriminalsekretar.«

Quellen keuchte erschrocken. Dann fing er sich wieder. »Afrika? Wovon sprechen Sie denn, Brogg? Was sollte ich in Afrika?«

»Ausspannen, der Menge entfliehen. Habe ich recht?«

»Ich finde Ihre Anschuldigungen unpassend.«

»Ich habe Beweise«, sagte Brogg. »Wollen Sie sie horen?«

Schlie?lich trafen sie eine Ubereinkunft. Fur eine gro?zugige monatliche Zahlung wurde Brogg den Mund halten. Das war vor ein paar Monaten gewesen, und Quellen zahlte seitdem regelma?ig. Solange er es tat, hielt Brogg seine Abmachung ein. Er hatte kein Interesse daran, Quellen anzuzeigen. Als Geldquelle war er ihm weit nutzlicher als in irgendeinem Rehabilitations-Zentrum. Da er seine Studien durch Quellens Schweigegeld leichter fortsetzen konnte, hoffte Brogg, da? niemand sonst hinter das Geheimnis kommen wurde. Das wurde einen Verlust

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