noch so spitzer Gegenstand kann es unter der Haut hervorholen. Und die Sendedauer ist nicht beschrankt. Wenn man es wieder entfernen will, ist eine Operation notwendig.«

Brogg war beeindruckt. Es gab naturlich eine Menge Horchermodelle, die im Innern des Korpers angebracht wurden, aber bisher hatte man dazu immer eine der naturlichen Korperoffnungen benutzen mussen. Das war fur einen Kriminalbeamten nicht immer einfach. Die ubliche Methode bestand darin, den Horcher in das Essen des Opfers zu schmuggeln. Da aber die wenigsten Menschen gern in Gegenwart anderer a?en, mu?te man einen gunstigen Zeitpunkt sorgfaltig planen. Au?erdem war der Horcher nach kurzer Zeit wieder verdaut. Naturlich hatte sich Brogg auch anderer Methoden bedient, vor allem bei Frauen, aber es war und blieb eine schwierige Angelegenheit. Die neue Erfindung war bei weitem besser. Man brauchte den Horcher nur au?erlich anbringen, und er arbeitete sich von selbst in den Korper. Brogg war begeistert von der Idee.

Er verbrachte eine Stunde damit, sich mit dem neuen Modell zu befassen. Dann machte er sich auf die Suche nach Pomrath.

Der Televektorstrahl hatte Pomrath schnell ausfindig gemacht: Er war in der Arbeitsvermittlungszentrale, zweifellos auf der Suche nach einer Stelle. Brogg zog eine schabige Proletentunika uber, wie sie von Leuten aus Klasse Zwolf und abwarts getragen wurde, und begab sich in das Katastergebaude.

Es war nicht weiter schwer, Pomrath in der Menge ausfindig zu machen. Brogg wu?te so ungefahr, wie der Mann aussah — dunkel, untersetzt, verbittert  —, und er stand ihm schnell gegenuber. Brogg reihte sich nicht weit von Pomrath entfernt ein und beobachtete Quellens armseligen Schwager eine Zeitlang. Pomrath sprach zu niemandem. Er starrte die roten, grunen und blauen Speicher der Job-Maschine an, als seien sie seine personlichen Feinde. Seine Lippen waren verkniffen, und unter den Augen lagen dunkle Ringe. Der Mann ist am Ende, dachte Brogg, kein Wunder, da? er die Zeitreise plant. Nun, daruber werden wir bald mehr erfahren.

Brogg stellte sich hinter Pomrath und stolperte.

»Verzeihung«, murmelte er, als Pomrath die Hand ausstreckte, um ihn vor dem Hinfallen zu bewahren. Brogg umklammerte sein Handgelenk und druckte den Horcher fest in die haarige Haut. Dann richtete er sich auf, bedankte sich bei Pomrath und schob seine Tunika zurecht. Wahrenddessen arbeitete sich das Glas unauffallig in Pomraths Korper.

Bis zum Abend hatte es sicher ein Fettpolster irgendwo im Arm gefunden, in dem es liegenbleiben und Signale aussenden konnte.

»Ungeschickt von mir«, sagte Brogg noch einmal und ging. Pomrath schien nichts bemerkt zu haben.

Als Brogg in sein Buro zuruckkehrte, schaltete er den Monitor ein. Pomrath hatte jetzt das Katastergebaude verlassen. Im Oszilloskop zeigte sich die typische Linie, die durch Schritte entstand. Pomrath ging etwa zehn Minuten zu Fu?. Dann blieb er stehen. Komplizierte Muskelbewegungen: Er betrat ein Gebaude mit manuell bedienter Tur. Und dann wurde die Stimme ubertragen.

POMRATH: Da bin ich wieder, Jerry.

FREMDE STIMME: Wir haben immer eine Liege fur dich frei.

POMRATH: Mit einer hubschen kleinen Halluzination, ja? Ich bekampfe gerade das Krebsvolk, und die nackte Blondine schreit und will von mir gerettet werden, wahrend Kloofman nur darauf wartet, mir die Galaktische Tapferkeitsmedaille umzuhangen.

STIMME: Den Traum kann ich dir nicht heraussuchen, Norm. Das wei?t du doch. Du zahlst anderthalb und bekommst, was gerade da ist. Die Bilder werden von deinen eigenen Gedanken ausgelost.

POMRATH: Mein Freund, meine Gedanken mochte ich lieber nicht zu einem Traum verarbeitet sehen. Wo ist die Maske? Jetzt werde ich mir einmal etwas vorzaubern. Norm Pomrath, der Weltenvernichter. Der Mann, der Zeit und Raum verwirrt. Der Zerstorer des Kontinuums.

STIMME: Also wirklich, du hast eine merkwurdige Phantasie, Norm.

Brogg wandte sich ab. Pomrath war offensichtlich in einer Traumbar. Auf dem Monitor wurde sich jetzt nichts Wichtiges abspielen — Pomrath lag auf einer Couch, schlief und hatte seinen Traum.

In einem anderen Raum verhorte Leeward immer noch den unglucklichen Brand. Brand sah beunruhigt aus. Brogg horte eine Weile zu, und als sich nichts Besonderes ergab, ging er wieder. Er wollte fur diesen Tag Schlu? machen. Quellen war bereits gegangen. Vermutlich nach Afrika.

Brogg erreichte sein eigenes Apartment nach kurzer Zeit. Er hatte wie alle anderen seiner Klasse einen Zimmergefahrten — einen Assistenten der Gesetzesabteilung — aber sie hatten alles so vereinbart, da? sie sich selten begegneten. Man mu?te eben aus den bestehenden Verhaltnissen das beste machen.

Mude stellte sich Brogg unter die Molekulbrause und schwemmte den Schmutz des Tages herunter. Er programmierte sein Abendessen. Dann wahlte er ein Buch. Es ging wie meist um sein Lieblingsthema, die romische Geschichte: Tiberius bekampfte den Aufstand des Sejanus. Das Aufeinanderprallen der verschiedenen Charaktere war faszinierend. Sejanus, der schlaue Gunstling des finsteren alten Casaren, der schlie?lich zu weit ging und aus der Hohe seiner Macht durch Tiberius, den auf Capri lebenden alten Esel, herabgesturzt wurde.

Schnell hatte sich Brogg in jene fernen, erregenden Ereignisse eingelebt.

Wie hatte ich die Lage behandelt, wenn ich Sejanus gewesen ware? fragte er sich. Zweifellos mit mehr Geschick. Ich hatte den Alten nie so herausgefordert. Brogg lachelte. Wenn er Sejanus gewesen ware, hatte er den Thron erobert. Das stand fest. Andererseits …

Andererseits war er nicht Sejanus. Er war Stanley Brogg vom Kriminalsekretariat. Daran war nichts zu andern, dachte er. Man mu?te eben das Beste daraus machen.

10

Die Nacht ergriff von der Stadt Besitz. Quellen wechselte die Kleider, nachdem er eine Brause genommen hatte, die fast den gesamten Wochenvorrat an Wasser kostete. Er wahlte etwas grelle Kleider — eine Rebellion gegen die Gesellschaft, in der sich Judith befand. Die Leute, die dem Erbrechens-Kult beiwohnten, gaben sich mit Absicht stockkonservativ. Er verachtete ihren dusteren Puritanismus. Und so zog er eine Tunika an, die mit glitzernden Faden durchwirkt war und je nach Drehung grellrot, violett oder blaugrun aufleuchtete.

Er nahm kein Abendessen zu sich. Das ware im Hinblick auf die Zeremonie des Abends ein unverzeihlicher Faux pas gewesen. Dennoch mu?te er seinen Glukosespiegel nach der Anstrengung des Tages wieder anheben. Ein paar Tabletten besorgten das. Erfrischt schlo? Quellen sein Apartment ab und ging ins Freie. Er traf Judith erst bei der Versammlung. Vielleicht konnte er anschlie?end mit ihr heimgehen. Sie lebte allein, seit auch sie Klasse Sieben erreicht hatte. Es ware vernunftig und gutburgerlich, sie zu heiraten und eine gemeinsame Zweizimmerwohnung zu beziehen. Quellen wu?te es. Aber bis jetzt hatten sich in ihm noch keine gutburgerlichen Gefuhle entwickelt.

Judith hatte ihm gesagt, da? die Sitzung im Klasse-Vier-Heim eines gewissen Brose Cashdan stattfand. Der Mann war Verwalter eines Stati-Feld-Bezirks. Fur Quellen war es eine interessante Feststellung, da? ein Transport-Bo? einem Kult dieser Art huldigte. Gewi?, der Erbrechens-Kult stand nicht auf der Verbotsliste. Er war vielleicht nicht ethisch, aber zumindest nicht staatsgefahrdend wie manche andere. Nur hatte Quellen bei seinem bisherigen Umgang mit hohen Verwaltungsbeamten das Gefuhl gehabt, da? sie sich keine Extravaganzen leisteten. Moglich, da? dieser Cashdan eine Ausnahme darstellte. Und Quellen war auf das Haus neugierig. Er hatte noch nicht viele Klasse-Vier-Hauser gesehen.

Brose Cashdans Villa lag gerade noch innerhalb des Appalachia-Bezirks, so da? Quellen sie nicht per Stati- Feld erreichen konnte. Er mu?te statt dessen das Schnellboot nehmen. Schade. Er verschwendete damit eine halbe Stunde. Er programmierte seinen Weg nach Norden. Der Sichtschirm im Innern simulierte einen Blick auf die vorbeiziehende Landschaft. Der Hudson lag silbrig im Mondschein. Dann kamen die Waldhange des Adirondack- Reservats — ein paar tausend Morgen unberuhrter Wildnis inmitten der Stadt — und schlie?lich das glei?ende Licht der Landerampe. Von der Rampe kam Quellen schnell zu Cashdans Heim. Er wu?te, da? er etwas zu spat daran war, aber das bekummerte ihn nicht weiter.

Es war eine tolle Villa. Quellen war auf eine solche Pracht nicht vorbereitet. Naturlich, Cashdan hatte nur das Recht auf einen einzigen Wohnsitz, im Gegensatz zu den Klasse-Zwei-Leuten, die verschiedene Hauser in der ganzen Welt haben konnten. Dennoch war es ein gro?artiges Gebaude. Es bestand in der Hauptsache aus Glas und synthetischen Saulen. Quellen zahlte zumindest sechs Raume, einen kleinen Garten (!) und einen Landeplatz auf dem Dach. Er trat in die Vorhalle und sah sich nach Judith um.

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