»Ist das der Grund, weshalb du nackt zu einer gesellschaftlichen Veranstaltung kommst?« fragte er.

»Ich bin nicht nackt«, erklarte sie beleidigt.

»Nein. Du hast eine Farbschicht an.«

»Sie verbirgt alles, was wir aus Grunden der Moral verbergen mussen.«

»Sie stellt deine sekundaren Geschlechtsmerkmale ziemlich blo?«, meinte Quellen. »Und so etwas nenne ich nackt.«

»Ach was. Die Hauptsache ist verdeckt. Du siehst mich nur nicht richtig an, Joe. Manchmal benimmst du dich lacherlich.«

Als er sie naher ansah, mu?te er zugeben, da? sie wirklich nur nackt schien. Schlau, dachte er. Ihr schlanker Korper ubte eine starke Anziehung auf ihn aus. Bei Helaine wirkte das Magere armselig und ausgezehrt, aber Judiths Korper hatte etwas Elegantes und Geschmeidiges. Quellen hatte sie am liebsten jetzt schon von dem Treffen weggebracht.

Aber erst mu?te er noch die Zeremonie uber sich ergehen lassen.

Die Mitglieder der Gruppe sammelten sich am Rand einer mit Teppichen ausgelegten Grube. Brose Cashdan als der Gastgeber holte eine glanzende, metallische Schussel, in der eine teigige Masse von der Gro?e eines Mannerkopfes ruhte. Das war die Substanz des Liebesfestes — ein unverdauliches Algenprodukt mit besonderen Eigenschaften, die einen Brechreiz hervorriefen. Zweifellos Mrs. Galubers Galaktosemangel angepa?t.

»Dr. Galuber hat sich freundlicherweise bereiterklart, die Zeremonie zu eroffnen«, sagte Cashdan.

Die Lichter wurden gedampft. Galuber nahm die glanzende Schale entgegen und stellte sie auf seine Knie. Dann nahm er feierlich eine Handvoll von dem Teig und stopfte ihn in sich hinein. Er begann zu kauen.

Es gab eine Menge Kulte. Quellen gehorte keinem davon an, aber nicht einmal er konnte es vermeiden, da? er hin und wieder an einer Zeremonie teilnehmen mu?te. Im allgemeinen geschah es auf Judiths Drangen. Sie sah sich alles an, sie war standig auf der Suche nach innerer Erfullung. Und so rannte sie von Kult zu Kult, von Arzt zu Arzt. Quellen hatte sie sogar im Verdacht, da? sie schon verbotenen Kulthandlungen beigewohnt hatte, vielleicht gar der verbotenen Flaming-Bess-Religion. Er konnte sich vorstellen, wie Judith tanzte, wahrend ein Verruckter die extrasensorische Flamme anzundete und wilde Stimmen nach einem Sturz der Hohen Regierung schrien. Noch vor einer Generation waren ein paar Mitglieder der Klasse Eins von diesen heulenden Feueranzundern ermordet worden. Der Kult lebte insgeheim immer noch fort.

Doch die meisten anderen Kulte waren harmlose Angelegenheiten — absto?end vielleicht, aber nicht kriminell. So wie dieser hier. Durch das Kauen und Erbrechen der teigartigen Masse sollte eine Art Harmonie zwischen den Teilnehmern entstehen. Cashdan stimmte eine Verdauungslitanei an. Galuber stopfte sich immer noch den Teig in den Mund. Wieviel hatte wohl noch in seinem Fettbauch Platz? Jennifer Galuber betrachtete ihren Gatten voller Stolz. Der Arzt schlang immer noch. Sein Gesicht war verwandelt, seine Blicke gingen ins Leere. Jennifer gluhte.

Sie sangen jetzt alle. Auch Judith. Leise, getragene Klange.

Sie stie? ihn an. »Du auch«, flusterte sie.

»Ich kenne den Text nicht.«

»Dann summe einfach mit.«

Er zuckte mit den Schultern. Galuber hatte die letzten Reste der Teigmasse verschlungen. Sicher war sein Bauch schmerzhaft aufgequollen. Das Zeug war wie Gummi. Und das Mittel, das den Brechreiz ausloste, wirkte erst, wenn man soviel im Magen hatte, da? die peristaltischen Bewegungen begannen. Dann konnte das Erbrechen losgehen.

Judith, die neben Quellen sa?, bat darum, in das Einssein aufgenommen zu werden. Ein Nirwana durch Aufsto?en, dachte Quellen kuhl. Wie war das moglich? Und was tat er hier? Der Singsang brach sich an den Glaswanden und machte ihn ganz taub. Es war ein Wechselgesang, und er konnte nicht umhin, im Rhythmus mitzuschwanken. Seine Lippen bewegten sich. Er hatte mitgemacht, wenn er die Worte gekannt hatte. Er bemerkte, da? er vor sich hinsummte. Cashdan, der die Zeremonie immer noch leitete, wurde lauter. Er hatte einen gro?artigen Ba? mit einer starken Resonanz.

Galuber sa? reglos in der Mitte der Grube. Seine Augen waren geschlossen. Die Hande lagen auf dem Bauch. Er hatte ein gerotetes Gesicht. Er allein sa? still im Mittelpunkt der schwankenden Versammlung. Quellen zwang sich, ein objektiver Beobachter zu bleiben. Er sah, wie Judiths Gesicht in innerer Ekstase erstrahlte. Ein junger Mann, der an einen Zwitter erinnerte, schnellte hin und her, als habe er einen Hochspannungsdraht beruhrt.

Endlich war Dr. Galuber soweit.

Der Arzt ubergab sich mit ruhiger Wurde. Schwei? stand auf seiner geroteten Stirn. Peristaltische Bewegungen strengten immer an, auch wenn das Schmerzzentrum durch einen besonderen Zusatz besanftigt war. Mit Anstand hielt er bis zum Ende durch. Die Schale war gefullt.

Sie wurde herumgereicht.

Hande umklammerten den feuchten Teig. Nimm und i?, hier ist die Substanz der Gruppe. Sei eins mit der Gruppe. Brose Cashdan a?. Jennifer Galuber a?. Judith nahm ihre Portion entgegen. Quellen hatte plotzlich ein feuchtes Stuck Teig in der Hand.

Seine Hand hob sich zitternd zu den Lippen. Er spurte Judiths Hufte warm neben der seinen. Nimm und i?. Galuber lag steif in der Grube, von Ekstase ergriffen.

Quellen a?.

Er kaute hastig und unterdruckte jedes Zogern. Die besondere Eigenschaft der unverdaulichen Substanz war es, da? man sie genie?en konnte, wenn sie schon einmal mit Verdauungssaften gemischt war. Galuber hatte sie also fur die anderen aufbereitet. Quellen schluckte. Merkwurdigerweise fuhlte er sich nicht einmal abgesto?en. Er hatte schon Ameisen, rohe Schnecken, Seeigel und andere exotische Delikatessen genossen und dabei nicht einmal die Chance eines geistigen Erlebnisses zugesichert bekommen. Weshalb sollte er also zogern?

Die anderen Teilnehmer weinten vor Freude. Tranen glitzerten auf Judiths Farbschicht. Quellen hatte immer noch eine bemerkenswert objektive Meinung uber das Universum. Er hatte an der mystischen Vereinigung nicht teilgenommen, obwohl er den Ritus beachtet hatte. So wartete er geduldig, bis die anderen sich von ihrer Ekstase erholt hatten.

»Willst du die nachste Runde zelebrieren?« flusterte Judith ihm zu.

»Auf keinen Fall.«

»Joe …«

»Bitte. Ich bin hergekommen, nicht wahr? Ich nehme an dem Fest teil. Aber ich will nicht der Hauptdarsteller sein.«

»Es ist ublich, da? Gruppenfremde …«

»Ich wei?. Aber ohne mich. Ich uberlasse die Ehre gern einem anderen.«

Sie sah ihn vorwurfsvoll an. Quellen erkannte, da? er versagt hatte. Der heutige Abend sollte wohl eine Art Test sein, und er hatte ihn fast bestanden. Fast …

Brose Cashdan hatte eine zweite Schussel mit der zeremoniellen Teigmasse geholt. Wortlos nahm Jennifer Galuber die Schussel und begann sich vollzustopfen. Der Arzt, von der Anstrengung immer noch ganz erschopft, sa? in sich zusammengesunken da und pa?te kaum auf. Die Zeremonie wiederholte sich. Quellen nahm wie beim erstenmal teil, ohne etwas zu spuren.

Anschlie?end naherte sich Cashdan Quellen und fragte leise: »Mochten Sie die nachste Runde fur uns feiern?«

»Tut mir leid«, sagte Quellen. »Es geht wirklich nicht. Ich mu? mich bald verabschieden.«

»Wie bedauerlich. Wir hatten gehofft, da? Sie ganz teilnehmen wurden.« Cashdan lachelte vertraumt und schob die Schale einem anderen hin.

Quellen packte Judith am Handgelenk und zog sie auf die Seite. »Komm mit mir heim«, flusterte er drangend.

»Wie kannst du jetzt an so etwas denken?«

»Du bist schlie?lich nicht sehr keusch angezogen. Und du hast zwei Runden erlebt. Willst du jetzt mitkommen?«

»Nein«, sagte sie fest.

»Und wenn ich die nachste Runde noch abwarte?«

»Nein. Auch dann nicht. Du wirst die Zeremonie schon selbst anfuhren mussen — und es ernst

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