Schweigen zu bringen. Vielleicht sollte ich Khouri sogar dankbar sein. Sie hat mir einen Grund gegeben, diesen Schritt zu tun, obwohl mir das, was ich dort unten finden konnte, die gro?ten Angste meines Lebens einjagt. Ich halte sie — und auch die anderen — nicht fur schlechte Menschen. Auch auf dich bin ich nicht bose, Pascale. Du hast dich von ihnen uberzeugen lassen, gewiss, aber das war nicht deine Schuld. Du wolltest mir mein Vorhaben ausreden, weil du mich liebst. Und was ich tat — was ich tun wollte —, schmerzte mich umso mehr, weil ich wusste, dass ich deine Liebe verraten wurde.

Kannst du mich verstehen? Und wirst du mir verzeihen konnen, wenn ich wiederkomme? Ich werde nicht lange fort sein, Pascale — hochstens funf Tage; vielleicht auch weniger.« Wieder hielt er inne, dann setzte er zu einem letzten Postskriptum an. »Ich habe Calvin mitgenommen. Er ist in mir, wahrend ich zu dir spreche. Ich will nicht leugnen, dass wir beide zu einem neuen… Gleichgewicht gefunden haben. Ich glaube, er wird mir gute Dienste leisten.«

Damit verschwand das Bild auf dem Papier.

»Wei?t du«, sagte Khouri. »Es gab Momente, da konnte ich ihn fast verstehen. Aber jetzt hat er sich alles verscherzt.«

»Du sagst, Pascale ist am Boden zerstort?«

»Ginge dir das nicht so?«

»Das kommt darauf an. Vielleicht hat er Recht: vielleicht wusste sie schon immer, dass es dazu kommen wurde. Vielleicht hatte sie sich besser uberlegen sollen, ob sie dieses Svinoi wirklich heiraten wollte.«

»Was glaubst du, wie weit ist er gekommen?«

Wieder sah Volyova das Papier an, als hoffe sie, aus seinen Falten noch weitere Erkenntnisse herauspressen zu konnen.

»Er muss Hilfe gehabt haben. Es sind nicht mehr viele von uns ubrig, die dafur in Frage kommen. Eigentlich niemand, wenn du Sajaki ausschlie?t.«

»Vielleicht sollten wir ihn nicht ausschlie?en. Vielleicht haben ihn seine Nanos schneller geheilt, als wir dachten.«

»Nein«, sagte Volyova. Sie klopfte auf ihr magisches Armband. »Ich wei? immer, wo sich die Angehorigen des Triumvirats aufhalten. Hegazi ist noch in der Luftschleuse und Sajaki auf der Krankenstation.«

»Konnen wir trotzdem nachsehen? Nur fur alle Falle?«

Volyova schnappte sich noch ein paar warme Kleidungsstucke, um jeden belufteten Schiffsbereich betreten zu konnen, ohne Erfrierungen davonzutragen. Den Nadler steckte sie in ihren Gurtel und das schwere Gewehr, das Khouri ihr aus der Waffenkammer besorgt hatte, hangte sie sich um. Es war ein hyperschnelles Projektilgewehr, eine zweihandig zu bedienende Sportwaffe aus dem dreiundzwanzigsten Jahrhundert, hergestellt in der ersten europanischen Demarchie. Der Kolben war mit schmiegsamem, schwarzem Neopren bezogen, die Seiten waren mit Einlegearbeiten aus Gold und Silber verziert, Darstellungen von chinesischen Drachen mit Rubinaugen. »Nichts dagegen«, sagte sie.

Sie erreichten die Luftschleuse, wo Hegazi die ganze Zeit gesessen und mangels anderer Beschaftigung sein Spiegelbild in den blanken Stahlwanden betrachtet hatte. Das dachte jedenfalls Volyova, wenn sie, selten genug, uberhaupt an den eingesperrten Triumvir dachte. Sie spurte keinen Hass auf Hegazi, sie fand ihn nicht einmal ausgesprochen unsympathisch. Er war einfach ein Schwachling, der nur in Sajakis Schatten leben konnte. — »Hat er Schwierigkeiten gemacht?«, fragte Volyova.

»Eigentlich nicht. Er beteuerte nur immer wieder seine Unschuld und schwor, nicht er habe Sonnendieb aus dem Leitstand gelassen. Klang so, als meinte er es ehrlich.«

»Eine uralte Technik, wird auch Luge genannt, Khouri.«

Volyova schulterte das Drachengewehr, suchte mit beiden Fu?en einen festen Stand im Matsch und legte die Fauste auf den Griff der inneren Schleusentur.

Dann druckte sie fest nach unten.

»Ich kriege sie nicht auf.«

»Lass mich mal ran.« Khouri schob sie beiseite und ruttelte am Turgriff. »Nein«, achzte sie schlie?lich und gab auf. »Er hat sich verklemmt. Ich kann ihn nicht bewegen.«

»Du hast ihn doch nicht etwa zugeschwei?t?«

»Naturlich, ich Dummkopf, wie konnte ich das nur vergessen?«

Volyova klopfte an die Tur. »Hegazi, horen Sie mich? Was haben Sie mit der Tur gemacht? Sie geht nicht auf.«

Keine Antwort.

Volyova schaute wieder auf ihr Armband. »Er ist da drin«, sagte sie. »Aber vielleicht kann er uns durch die Panzerung nicht horen.«

»Da stimmt etwas nicht«, sagte Khouri. »Als ich wegging, war mit der Tur noch alles in Ordnung. Wir sollten das Schloss aufschie?en.« Ohne Volyovas Einwilligung abzuwarten, rief sie: »Hegazi? Horen Sie uns? Wir schie?en uns jetzt den Weg frei.«

Schon hatte sie das Plasmagewehr in einer Hand. Ihre Armmuskeln spannten sich unter seinem Gewicht. Sie drehte den Kopf zur Seite und hielt sich die andere Hand vor das Gesicht.

»Warte«, sagte Volyova. »Nichts ubersturzen. Vielleicht ist die au?ere Tur offen. Dann wurden die Drucksensoren auf das Vakuum ansprechen und die innere Tur nicht freigeben.«

»In diesem Fall hatten wir mit Hegazi keine Schwierigkeiten mehr. Es sei denn, er konnte ein paar Stunden lang die Luft anhalten.«

»Zugegeben — aber wir sollten trotzdem kein Loch in die Tur schie?en.«

Khouri trat naher.

Wenn es eine Anzeige fur den Druck im Inneren der Schleuse gab, so war sie unter der Schmutzschicht nicht zu erkennen.

»Ich kann den Strahl ganz dunn einstellen. Dann bekommt die Tur nur ein nadelfeines Loch.«

Volyova uberlegte kurz, dann sagte sie: »Tu das!«

»Wir andern den Plan, Hegazi. Wir machen ganz oben in die Tur ein Loch. Sollten Sie stehen, dann wurde ich Ihnen raten, sich hinzusetzen und sich Gedanken uber die Regelung Ihres Nachlasses zu machen.«

Immer noch keine Antwort.

Was Khouri mit dem Plasmagewehr vorhatte, war fast eine Beleidigung, dachte Volyova. Es war schlie?lich kein Prazisionsinstrument. Ebenso gut konnte man versuchen, mit einem Industrielaser eine Hochzeitstorte zu schneiden. Aber Khouri probierte es trotzdem. Ein Blitz, ein Krachen, das Gewehr spie einen dunnen, langgezogenen Lichtstrahl gegen die Tur. Ein Loch von Holzwurmgro?e war entstanden, aus dem ein Rauchfaden aufstieg.

Aber nur fur einen Moment.

Dann spritzte in hohem Bogen und mit lautem Zischen eine schwarze Flussigkeit aus der Offnung.

Khouri vergro?erte unverzuglich das Loch, obwohl weder sie noch Volyova damit rechneten, dass in der Luftschleuse noch jemand am Leben war. Entweder war Hegazi tot — wodurch auch immer —, oder er hatte die Schleuse verlassen und dieser Hochdruckstrahl war eine letzte mysteriose Botschaft an die, die ihn gefangen genommen hatten.

Khouri schoss weiter und der Strahl wurde armdick. Die trube Flussigkeit spritzte ihr mit solcher Wucht entgegen, dass sie rucklings in den Schlamm geschleudert wurde. Auch das Plasmagewehr fiel klirrend in die knocheltiefe Pfutze. Das Zeug zischte erbost, als es die hei?e Mundung der Waffe beruhrte. Als Khouri sich wieder aufgerappelt hatte, tropfelte nur noch ein schwaches Rinnsal mit rulpsenden Gerauschen durch die Locher in der Tur. Sie hob das Gewehr auf und schuttelte den Schlamm ab. Ob es noch funktionierte, war zu bezweifeln.

»Das ist Schiffsschleim«, sagte Volyova. »Das gleiche Zeug, in dem wir stehen. Den Gestank erkenne ich sofort.«

»Die Schleuse war voll Schiffsschleim?«

»Frag mich nicht, wie das zugeht. Mach mir nur ein gro?eres Loch in die Tur.«

Khouri schoss erneut, bis die Lucke so gro? war, dass sie den Arm hindurchstecken und den inneren Offnungsschalter bedienen konnte, ohne die hei?en Metallrander zu beruhren. Volyova hatte Recht, dachte sie, die

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