Schicksal gerade jetzt, so kurz vor dem Ziel seiner Wunsche, im Stich lie?e. »Er wird sich winden wie ein Aal, und ich denke, er hat immer noch gute Chancen, einen Ausweg zu finden.«

Pascale beruhigte sich ein wenig.

Nun sagte ihr Khouri, dass Hegazi tot war und das Schiff offenbar jedem nach dem Leben trachtete, der sich noch an Bord befand.

»Sajaki kann nicht hier sein«, sagte Pascale. »Ich meine, das ist doch ausgeschlossen, nicht wahr? Wie sollte Dan allein nach Cerberus kommen? Er brauchte jemanden von euch zur Begleitung.«

»Das ist auch Volyovas Meinung.«

»Was wollen wir dann hier?«

»Vermutlich traut Volyova ihren eigenen Uberzeugungen nicht.«

Khouri stie? die Tur auf, die vom teilweise uberfluteten Zugangskorridor in die Krankenstation fuhrte, und trat dabei mit dem Fu? nach einer Pfortnerratte. Auf der Krankenstation stimmte etwas nicht. Sie roch es sofort.

»Pascale, hier ist etwas Schlimmes passiert.«

»Ich… was soll ich denn jetzt tun? Soll ich dir vielleicht Deckung geben?« Pascale hatte ihre Pistole in der Hand, schien aber nicht recht zu wissen, was sie damit anfangen sollte.

»Ja«, sagte Khouri. »Gib mir Deckung. Das ist eine sehr gute Idee.«

Sie betrat die Krankenstation mit vorgehaltenem Plasmagewehr.

Sobald der Raum ihre Gegenwart registrierte, verstarkte er die Beleuchtung. Khouri hatte Volyova hier besucht, nachdem sie von Sudjic verletzt worden war; sie kannte sich halbwegs aus.

Zuerst wandte sie sich dem Bett zu, wo sie Sajaki vermutete. Uber dem Bett schwebte, zentral mit Scharnieren befestigt, ein Satz kardangelagerter, servo-mechanisch zu bedienender medizinischer Instrumente wie eine mutierte Stahlhand mit viel zu vielen krallenbewehrten Fingern.

Kein Zentimeter Metall, der nicht mit einer dicken Schicht geronnenen Blutes uberzogen gewesen ware wie mit Kerzenwachs.

»Pascale, du solltest nicht…«

Aber sie hatte schon gesehen, was unter den Instrumenten lag und vielleicht einmal Sajaki gewesen war. Auch das Bett war uber und uber mit Blut besudelt. Man konnte kaum erkennen, wo Sajaki aufhorte und seine ausgetretenen Eingeweide anfingen. Khouri fuhlte sich an den Captain erinnert; nur war die Masse hier nicht silbrig, sondern scharlachrot, als habe ein Kunstler sein Grundthema in einem organischen Medium variiert. Zwei Halften eines morbiden Diptychons.

Sein aufgetriebener Brustkorb uberragte das Bett, als stehe er noch immer unter Strom. Auch die Brust war innen hohl, in einem tiefen Krater vom Brustbein bis zum Unterleib hatte sich das Blut gesammelt. Es schien, als ware eine riesige Stahlfaust von oben gekommen und hatte ihn ausgeweidet. Vielleicht schien es nicht nur so. Vielleicht war er nicht einmal wach gewesen, als es geschah. Khouri sah ihm prufend ins Gesicht, suchte unter dem roten Schleier nach einem Ausdruck, der ihre Vermutung bestatigte.

Nein; Triumvir Sajaki war hochstwahrscheinlich wach gewesen.

Pascale war dicht hinter ihr, sie spurte ihre Gegenwart. »Vergiss nicht, der Tod ist mir nicht fremd«, sagte sie. »Ich war dabei, als mein Vater ermordet wurde.«

»Aber so etwas hast du noch nie gesehen.«

»Nein«, gestand sie. »Du hast Recht. So etwas habe ich noch nie gesehen.«

In diesem Moment explodierte Sajakis Brustkorb, eine Blutfontane spritzte auf, und etwas sprang heraus. Die beiden konnten zunachst nicht erkennen, was es war. Doch dann landete es auf dem blutverschmierten Boden und huschte mit peitschendem Schwanz davon. Drei weitere Ratten streckten die Schnauze aus Sajakis Innerem, pruften die Luft und musterten Khouri und Pascale mit schwarzen Knopfaugen. Dann hievten auch sie sich aus dem Krater, der einmal Sajakis Oberkorper gewesen war, sprangen zu Boden und folgten ihrem Artgenossen in eine der vielen dunklen Nischen.

»Wir mussen hier weg«, sagte Khouri. Doch bevor sie noch zu Ende gesprochen hatte, passierte es. Die stahlerne Faust uber dem Bett aktivierte sich, fuhr wie der Blitz die Finger mit den Diamantkrallen aus und kam so rasend schnell auf sie zu, dass sie nur noch schreien konnte. Die Krallen erfassten ihre Jacke und zerrissen sie. Khouri versuchte sich mit aller Kraft zu befreien.

Es gelang ihr zwar, sich loszurei?en, aber die Finger hatten sich bereits um ihr Gewehr gelegt und entwanden es ihr mit brutaler Gewalt. Khouri fiel zu Boden. Sajakis Blut besudelte ihr die Jacke, aber der hellrote Fleck uber ihren Rippen stammte wohl von ihr selbst.

Der mechanische Chirurg hob das erbeutete Gewehr und schaukelte es triumphierend hin und her. Zwei der beweglichen Manipulatoren schlangelten sich nach vorne, betasteten die Bedienungselemente und strichen in grausiger Faszination uber die lederne Schutzhulle. Dann drehten sie die Mundung langsam, ganz langsam in Khouris Richtung.

Pascale hob ihre Strahlenpistole und schoss. Blutverkrustete Metallsplitter regneten auf Sajakis Uberreste nieder. Das Plasmagewehr krachte ru?geschwarzt und qualmend zu Boden, aus der zerrissenen Schutzhulle spruhten blauliche Funken.

Khouri rappelte sich auf. Sie war uber und uber mit Blut verschmiert, aber das nahm sie in diesem Moment nicht wahr.

Das Plasmagewehr hatte zornig zu summen begonnen, die Funken spruhten immer schneller.

»Es geht gleich hoch«, sagte Khouri. »Wir mussen hier raus.«

Sie wandten sich zur Tur und erstarrten. Der Ausgang war blockiert. Es mussten Hunderte sein. In Dreierreihen hintereinander stapelten sie sich im Schiffsschleim, jede Einzelne war bereit, sich ohne Rucksicht auf das eigene Leben dem Wohl der dumpfen Masse zu opfern. Und es wurden immer mehr: zu Hunderten, zu Tausenden drangten sich die Ratten im Korridor; ein ganzes Meer von Nagern lauerte vor der Krankenstation, bereit, wie eine gierige Welle vorwarts zu sturmen und alles unter sich zu begraben.

Khouri zog die einzige Waffe, die ihr noch geblieben war, den kleinen Nadler, den sie nur mitgenommen hatte, weil man mit ihm punktgenau zielen konnte. Nun schoss sie damit auf das Rattenpack. Pascale half ihr mit dem Strahler, aber der war nicht viel besser geeignet. Obwohl bei jedem Schuss eine Ratte explodierte oder verbrannte, drangten standig neue Tiere nach. Jetzt kroch bereits die erste Reihe durch die Tur ins Innere der Krankenstation.

Ein greller Lichtschein fiel in den Korridor, dann krachte es mehrmals dicht hintereinander. Larm und Licht kamen naher. Ratten flogen durch die Luft. Ein uberwaltigender Gestank nach verbrannten Nagern breitete sich aus; schlimmer noch als der Geruch, der uber der Krankenstation hing. Allmahlich lichteten sich die Massen, die Tiere zerstreuten sich.

Volyova erschien in der Tur. Ihr Projektilgewehr stie? Rauchwolken aus, der Lauf gluhte wie Lava. Hinter Khouri war das Summen des Plasmagewehrs jah verstummt. Die Stille war bedrohlich.

»Ich denke, wir sollten jetzt gehen«, sagte Volyova.

Khouri und Pascale rannten zur Tur und trampelten dabei rucksichtslos uber tote und fluchtende Ratten hinweg. Khouri spurte einen Schlag im Rucken. Ein gluhend hei?er Wind strich uber sie hinweg. Dann verlor sie den Boden unter den Fu?en und wurde durch die Luft geschleudert.

Zweiunddrei?ig

Im Anflug auf Cerberus/Hades

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Diesmal fand er sich schneller zurecht, obwohl die Umgebung fremdartiger war als alles, was er je erlebt hatte.

»Im Anflug auf Bruckenkopf Cerberus«, meldete der Anzug mit einer Selbstverstandlichkeit, als sei das ein Ziel wie jedes andere. Schriftzeichen liefen uber das Sichtfenster des Helms, aber seine Augen konnten sich nicht darauf einstellen. Er befahl dem Anzug, die Bilder direkt an sein Gehirn zu ubertragen. Jetzt sah er besser. Die

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