festsaugte. Sekunden spater begann er zu pulsieren und sich wellenformig auszubeulen.

»Pfui Teufel«, sagte Sylveste.

»Er entzieht dem Bruckenkopf Schwerelemente«, erklarte Sajaki. »Der Bruckenkopf erkennt den Anzug als freundlich gesinnt und gibt ihm bereitwillig von seiner Substanz ab.«

»Was ist, wenn uns im Innern von Cerberus die Energie ausgeht?«

»Bevor Energiemangel fur Ihren Anzug zum Problem wird, sind Sie langst tot. Nur die Reaktionsmasse fur die Triebwerke muss erganzt werden. An Energie fehlt es nicht, aber Atome fur die Beschleunigung sind unerlasslich.«

»Was Sie da uber meinen Tod sagten, gefallt mir gar nicht.«

»Noch konnen Sie umkehren.«

Er stellt mich auf die Probe, dachte Sylveste. Einen Augenblick lang erwog er die Option, aber nicht langer. Er hatte Angst, ja — er konnte sich nicht erinnern, sich jemals so gefurchtet zu haben, nicht einmal auf dem Weg zu Lascailles Schleier. Und wie damals wusste er, dass er die Angst nur uberwinden konnte, wenn er vorwarts drangte. Wenn er sich mit dem konfrontierte, was sie ausloste. Doch als das Auftanken beendet war, fand er kaum den Mut, vom Sims zu treten und den Sturz durch das leere Innere des Bruckenkopfes fortzusetzen.

Sekundenlang sanken sie immer tiefer, dann bremsten sie mit kurzen Schubsto?en ab. Sajaki ubertrug Sylveste allmahlich eine gewisse Kontrolle uber seinen Anzug, indem er dessen autonome Dominanz stetig, aber kaum merklich verringerte, bis Sylveste die meisten Funktionen selbst steuerte. Sie sanken jetzt mit einer Geschwindigkeit von drei?ig Metern pro Sekunde, aber je enger die Trichterwande zusammenruckten, desto mehr schien auch die Geschwindigkeit zuzunehmen. Sajaki war jetzt nur noch wenige hundert Meter entfernt, aber sein gesichtsloser Anzug vermittelte kein Gefuhl menschlicher Nahe oder Kameradschaft. Sylveste fuhlte sich immer noch entsetzlich allein. Und er hatte auch allen Grund dazu — durchaus moglich, dass seit dem letzten Besuch der Amarantin kein denkendes Wesen dem Planeten Cerberus mehr so nahe gekommen war. Welche Geister mochten in den letzten hunderttausend Jahren hier ihr Unwesen getrieben haben?

»Wir nahern uns der letzten Einschussrohre«, meldete Sajaki.

Die konischen Wande verengten sich auf einen Durchmesser von nur drei?ig Metern. Danach ging es senkrecht in die Finsternis hinein, so weit das Auge reichte. Sylvestes Anzug steuerte ohne sein Zutun die Mitte des naher kommenden Loches an. Sajakis Anzug blieb etwas zuruck.

»Ich mochte Ihnen die Ehre des Vortritts nicht nehmen«, sagte der Triumvir. »Sie haben lange genug auf diesen Augenblick gewartet.«

Dann waren sie im Schacht. Die Wande spurten ihr Kommen, in den Nischen flammten rote Lichter auf. Sylveste hatte jetzt den Eindruck, rasend schnell in die Tiefe zu sturzen — ein unangenehmes Gefuhl; als wurde man durch eine Spritze gepresst. Er erinnerte sich plotzlich, wie ihm Calvin einmal gezeigt hatte, wie sich ein Endoskop, ein uraltes Chirurgeninstrument mit einem Kameraauge an einem Ende des einzufuhrenden Drahtes, in rasender Fahrt durch die Arterie eines Patienten bewegte. Auch der Nachtflug nach Cuvier nach seiner Verhaftung am Obelisken kam ihm in den Sinn, die wilde Jagd durch die Canyons auf dem Weg zu seinem politischen Gegner. War er in seinem Leben eigentlich jemals sicher gewesen, was ihn am Ende all dieser vorbeirasenden Wande erwartete?

Plotzlich war der Schacht verschwunden und sie sturzten ins Leere.

Bevor Volyova den Hangar erreichte, blieb sie an einem Fenster stehen und vergewisserte sich, dass ihr Armband keine von Sonnendieb manipulierten Daten zeigte, sondern dass die Fahren tatsachlich vorhanden waren. Die Transatmosphareflieger mit den Plasmaflugeln steckten in ihren Haltebuchten wie die Pfeilspitzen in einer Pfeilschafterwerkstatt. Sie konnte einen davon uber das Armband starten, aber das ware zu gefahrlich. Wenn Sonnendieb aufmerksam wurde, wusste er sofort, was sie vorhatte. Im Moment war sie noch einigerma?en in Sicherheit, denn sie hatte keinen Teil des Schiffes betreten, den Sonnendieb uberwachen konnte. Hoffte sie jedenfalls.

Sie konnte auch nicht einfach auf ein Shuttle zuschlendern und an Bord gehen. Die normalen Zugangswege fuhrten durch Teile des Schiffes, die sie nicht zu betreten wagte, weil dort Servomaten und Pfortnerratten frei umherstreiften, die in direkter biochemischer Verbindung mit Sonnendieb standen. Der Nadler war die einzige Waffe, die sie noch hatte. Das Projektilgewehr hatte sie Khouri uberlassen. Obwohl sie an deren Fahigkeiten nicht zweifelte, lie? sich mit Konnen und Entschlossenheit allein nicht alles erreichen. Zudem hatte das Schiff inzwischen genugend Zeit gehabt, bewaffnete Drohnen zu fabrizieren.

Also begab sie sich zu einer Luftschleuse, die nicht ins All hinaus fuhrte, sondern in den luftleeren Hangar. Der Schiffsschleim stand kniehoch im Raum, Beleuchtung und Heizung waren ausgefallen. Gut. Dann hatte Sonnendieb wenigstens keine Chance, sie von fern zu beobachten. Er konnte nicht einmal feststellen, wo sie war. Sie offnete einen Spind und atmete auf. Der leichte Raumanzug war noch da, wo er hingehorte, und er war offenbar mit dem atzenden Schiffsschleim nicht in Beruhrung gekommen. Er war nicht nur weniger sperrig als der Anzug, den Sylveste vermutlich genommen hatte, sondern auch weniger intelligent. Und er hatte keine Servosysteme und keinen integrierten Antrieb. Bevor sie ihn anlegte, sprach sie eine Reihe von — wohluberlegten — Worten in ihr Armband, dann stellte sie es so um, dass es nicht mehr auf seine eigenen Akustiksensoren reagierte, sondern die Kommandos, die in ihren Kommunikator gesprochen wurden. Nun brauchte sie noch ein Rucksacktriebwerk. Sie nahm sich Zeit und sah sich die Schalter so grundlich an, als hoffe sie, ihrem Gedachtnis damit die Bedienungsanleitung entlocken zu konnen. Doch dann entschied sie, dass sie sich schon an die wichtigsten Handgriffe erinnern wurde, wenn es so weit war. Sie verstaute den Nadler sorgfaltig im Werkzeuggurt an der Au?enseite des Anzugs, verlie? in aller Ruhe die Schleuse und schwebte mit leichtem Schub, um nicht ans andere Ende getrieben zu werden, in den Hangar.

Da das Schiff nicht um Cerberus kreiste, sondern sich mit schwacher Triebwerksleistung an einer Stelle im All hielt, herrschte nirgendwo im Innern vollige Schwerelosigkeit.

Sei ging daran, sich ein Shuttle auszusuchen. Ihre Wahl fiel auf die kugelformige Abschiedsmelancholie. An einer Seite des Hangars losten sich zwei flaschengrune Servomaten aus ihrer Verankerung und glitten auf sie zu. Es waren Freiflieger; Kugeln mit Krallen und Schneidewerkzeugen, spezialisiert auf Reparaturarbeiten an den Shuttles. Offenbar war sie beim Betreten des Hangars in Sonnendiebs Wahrnehmungsbereich geraten. Nun, das war nicht zu andern, und sie hatte den Nadler nicht mitgebracht, um sich auf langwierige diplomatische Verhandlungen mit nicht empfindungsfahigen Maschinen einzulassen. Also schoss sie kurzerhand, wobei sie jedes Mal mehr als eine Salve brauchte, um ein kritisches System auszuschalten.

Die getroffenen Maschinen entschwebten qualmend durch den Hangar.

Sie druckte mit dem Daumen auf die Rucksackschalter und beschwor das Triebwerk, sie schneller vorwarts zu tragen. Die Melancholie wurde gro?er; sie konnte bereits die kleinen Warnschilder und technischen Hinweise auf dem Rumpf erkennen, die zumeist in ausgestorbenen Sprachen gehalten waren.

Eine weitere Drohne kam hinter dem Shuttle hervor, ein gro?eres, ockergelbes Ellipsoid mit eingeklappten Manipulatoren und Sensoren.

Sie zielte auf Volyova.

Alles erstrahlte in einem grellen Grun, das ihr die Augen zu verbrennen drohte. Das Ding bedrohte sie mit einem Laser. Sie fluchte — der Anzug hatte rechtzeitig abgedunkelt, aber jetzt war sie so gut wie blind.

Sie unterstellte einfach, dass er sie horen konnte. »Sonnendieb«, sagte sie. »Du machst einen schweren Fehler.«

»Das glaube ich nicht.«

»Du wirst immer besser«, lobte sie. »Bei unserem letzten Gesprach war deineAusdrucksweise noch etwas unbeholfen. Was ist geschehen? Hast du auf die Ubersetzungsprogramme fur naturliche Sprachen zugegriffen?«

»Je mehr Zeit ich mit euch verbringe, desto besser lerne ich euch kennen.«

Ihre Sichtscheibe wurde wieder durchsichtig. »Jedenfalls gehst du geschickter vor als bei Nagorny.«

»Ich wollte ihn nicht mit Albtraumen qualen.« Sonnendiebs Stimme war immer noch ein Nichts; ein hauchendes Flustern vor dem wei?en Rauschen statischer Elektrizitat.

»Das glaube ich dir sogar.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Du willst auch mich nicht toten, richtig? Die anderen vielleicht — aber mich nicht; noch nicht. Nicht, so lange der Bruckenkopf mich noch benotigen

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