Drucksensoren hatten den Schlie?mechanismus blockiert. Die Schleusenkammer war zum Bersten vollgepumpt mit Schiffsschleim.
Die Tur ging auf und eine letzte Schleimwelle ergoss sich in den Korridor.
Zusammen mit Hegazis Uberresten. Entweder der zu hohe Druck oder die explosionsartige Entlastung hatten dazu gefuhrt, dass sich seine organischen und seine metallischen Bestandteile im Unfrieden voneinander trennten.
Einunddrei?ig
»Jetzt ist wohl eine Zigarette fallig«, sagte Volyova. Sie wusste im ersten Moment gar nicht mehr, wo sie die Glimmstangel verstaut hatte, fand sie aber schlie?lich in einer selten benutzten Tasche ihrer Fliegerjacke. Sie lie? sich viel Zeit, das Packchen zu offnen und eins der zerknitterten, vergilbten Rohrchen herauszufischen, und als sie endlich so weit war, inhalierte sie gemachlich und wartete, bis ihre flatternden Nerven wie eine Wolke aufgewirbelter Federn allmahlich zur Ruhe kamen.
»Das Schiff hat ihn getotet«, sagte sie und schaute auf Hegazis Uberreste hinab, bemuhte sich aber nach Kraften, nicht weiter uber den Anblick nachzudenken. »Das ist das Einzige, was Sinn ergibt.«
»Ihn getotet?«, fragte Khouri. Sie hielt den Lauf ihres Plasmagewehrs immer noch auf die Fetzen des Triumvirs gerichtet, die zu ihren Fu?en im glitschigen Schiffsschleim schwammen, als furchte sie, die Teile konnten sich jeden Moment wieder zu einem Ganzen zusammenfugen. »Du meinst, das war kein Unfall?«
»Nein, das war kein Unfall. Ich wei?, dass er mit Sajaki und folglich auch mit Sylveste gemeinsame Sache machte. Trotzdem hat ihn Sonnendieb getotet. Da kommt man ins Grubeln, nicht wahr?«
»Das kann man wohl sagen.«
Vielleicht war Khouri bereits selbst dahinter gekommen, aber Volyova erklarte es ihr trotzdem. »Sylveste hat das Schiff verlassen. Er ist auf dem Weg zu Cerberus, und da es mir nicht gelungen ist, den Bruckenkopf zu sabotieren, kann ihn kaum noch etwas aufhalten. Er wird ins Innere gelangen. Verstehst du? Das hei?t, Sonnendieb hat gesiegt. Er braucht nichts mehr zu tun. Der Rest ist nur noch eine Frage der Zeit. Es genugt, wenn der Status quo erhalten bleibt. Und durch wen wird der bedroht?«
»Durch uns«, sagte Khouri zogernd wie ein kluger Schuler, der seinen Lehrer beeindrucken, sich aber nicht dem Spott seiner Klassenkameraden aussetzen will.
»Mehr als das. Nicht nur durch dich und mich; nicht einmal, wenn wir Pascale mit einbeziehen. Fur Sonnendieb war auch Hegazi eine Bedrohung. Und zwar aus einem einzigen Grund: weil er ein Mensch war.« Das waren naturlich nur Vermutungen, aber fur Volyova klangen sie vollkommen einleuchtend. »Fur jemanden wie Sonnendieb ist menschliche Loyalitat ein unberechenbares, chaotisches Phanomen — vielleicht ist es ihm nicht einmal ganz verstandlich. Er hatte Hegazi umgedreht — oder zumindest die Leute, denen Hegazis Loyalitat bereits gehorte. Aber verstand er, von welcher Dynamik diese Loyalitat beherrscht wurde? Das bezweifle ich. Hegazi war eine Komponente, die ihren Dienst getan hatte und womoglich irgendwann zum Storfaktor wurde.« Sie war von einer eisigen Ruhe erfullt, die daher ruhrte, dass sie ihrer eigenen Vernichtung ins Auge sah und wusste, dass sie ihr selten so nahe gewesen war. »Also musste er sterben. Und nachdem Sonnendieb sein Ziel jetzt fast erreicht hat, gedenkt er mit uns anderen sicher ebenso zu verfahren.«
»Wenn er uns toten wollte…«
»Hatte er es bereits getan? Vielleicht hat er es ja versucht, Khouri. Gro?e Teile des Schiffes werden nicht mehr zentral gesteuert, dadurch sind Sonnendiebs Moglichkeiten begrenzt. Er hat von einem Korper Besitz ergriffen, der nur noch zur Halfte funktionsfahig ist, weil er vom Aussatz zerfressen wird und obendrein gelahmt ist.«
»Sehr poetisch, aber was bedeutet das fur uns?«
Volyova zundete sich eine zweite Zigarette an. Mit der ersten hatte sie kurzen Prozess gemacht. »Fur uns bedeutet das, er wird versuchen, uns zu toten, wobei allerdings schwer vorauszusehen ist, welche Mittel er dafur noch hat. Er kann nicht einfach das ganze Schiff luftleer machen, denn dafur existiert keine Befehlshierarchie. Das konnte nicht einmal ich, es sei denn, ich wollte alle Schleusen von Hand offnen, und dazu musste ich zuerst Tausende von elektromechanischen Sicherungen au?er Kraft setzen. Wahrscheinlich ware es auch nicht einfach fur ihn, gro?ere Bereiche als diese Luftschleuse mit Schleim zu uberfluten. Aber ich bin fest davon uberzeugt, dass ihm schon etwas einfallen wird.«
Sie hob plotzlich und fast automatisch mit beiden Handen das Projektilgewehr und zielte damit in den dunklen Korridor, der zur Schleuse fuhrte.
»Was ist?«
»Nichts«, sagte Volyova. »Ich bin nur nervos. Auffallend nervos. Du wei?t wahrscheinlich auch nicht, was wir jetzt tun sollen, Khouri?«
Khouri hatte tatsachlich einen Vorschlag.
»Wir sollten Pascale suchen. Sie kennt sich nicht so gut aus wie wir. Und wenn es gefahrlich wird…«
Volyova druckte ihre Zigarettenkippe am Lauf des Projektilgewehrs aus.
»Du hast Recht; wir sollten zusammenbleiben: Und das werden wir auch. Sobald…«
Etwas kam gerauschvoll aus dem Halbdunkel und blieb zehn Meter vor ihnen stehen.
Volyova legte sofort darauf an, feuerte aber noch nicht; sie spurte instinktiv, dass im Moment noch keine Lebensgefahr drohte. Es war einer der Servomaten, die Sylveste bei der missgluckten Operation am Captain eingesetzt hatte; ein Raupenfahrzeug ohne kompliziertes Innenleben, kurzum, eine von den Drohnen, die hauptsachlich vom Schiff und nicht von einem eigenen Gehirn gesteuert wurden.
Die vorstehenden Sensoraugen richteten sich auf die beiden Frauen.
»Er ist nicht bewaffnet«, flusterte Volyova und merkte im gleichen Moment, dass Flustern sinnlos war. »Vermutlich hat man ihn losgeschickt, um nach uns zu suchen. Wir befinden uns an einer blinden Stelle; in einem der Bereiche, die das Schiff nicht beobachten kann.«
Der Servomat schwenkte seine Sensoren hin und her, als wollte er die genaue Position der Frauen durch Triangulation ermitteln. Dann fuhr er ruckwarts und schickte sich an, im Dunkel zu verschwinden.
Khouri schoss ihn nieder.
»Warum hast du das getan?«, fragte Volyova, als die Schusse verhallt und die Lichtblitze erloschen waren, so dass sie die Augen wieder offnen konnte. »Was immer er gesehen hat, wurde bereits zum Schiff gesendet. Es war sinnlos, ihn zu erschie?en.«
»Mir hat nicht gefallen, wie er mich angesehen hat«, sagte Khouri. Dann runzelte sie die Stirn. »Au?erdem ist jetzt einer weniger da, der Arger machen kann.«
»Richtig«, sagte Volyova. »Und bei der Geschwindigkeit, mit der das Schiff so simple Drohnen herstellt, dauert es vielleicht sogar zehn bis zwanzig Sekunden, bis er ersetzt ist.«
Khouri sah sie an, als habe sie die Pointe nicht verstanden. Aber Volyova machte keine Witze. Sie hatte soeben etwas bemerkt, was sie viel mehr erschreckte als der Servomat. Immerhin war es logisch, wenn das Schiff fruher oder spater Drohnen einsetzte, um sensorische Informationen zu sammeln; logisch ware auch, wenn es nach Wegen suchte, die Maschinen so auszurusten, dass sie den Rest der menschlichen Besatzung und die Passagiere ermorden konnten. Das hatte sie sich irgendwann auch selbst ausrechnen konnen. Aber das nicht. Was soeben fur einen Moment die Nase aus dem Schiffsschleim gesteckt und sie mit seinen schwarzen Nageraugen angesehen hatte, um dann sofort kehrtzumachen und im Dunkel davonzuschwimmen, traf sie unerwartet.
Doch jetzt erinnerte sie sich. Das Schiff kontrollierte auch die Pfortnerratten.
Als Sylveste zu sich kam — im ersten Moment wusste er nicht mehr genau, wann er das Bewusstsein verloren hatte —, war er von verschwommenen Sternen umgeben, die einen komplizierten Tanz auffuhrten. Wenn ihm nicht bereits ubel gewesen ware, hatte sein Magen bei diesem Anblick ganz sicher rebelliert. Was wollte er hier? Und was war das fur ein sonderbares Gefuhl — als hatte man ihm jede Korperzelle mit Watte ausgestopft? Er steckte in einem Raumanzug — deshalb! In einem der Spezialanzuge, die der Besatzung gehorten. So ein Ding