»Oh, wie interessant«, rief Janequin. »Wirklich faszinierend.«
»Nicht schlecht«, lobte auch Cal.
»Nicht schlecht?«, wiederholte Sylveste. »Er ist weitaus gro?er und besser erhalten als alles, was wir bisher gefunden haben. Ein klarer Beweis, dass die Amarantin auf einer technisch fortgeschritteneren Zivilisationsstufe standen… womoglich kurz vor einer ausgewachsenen industriellen Revolution.«
»Es konnte tatsachlich ein bedeutsamer Fund sein«, gab Calvin widerstrebend zu. »Du… hm, du willst ihn vermutlich freilegen?«
»Das hatte ich bis vor kurzem noch vor.« Sylveste hielt inne. »Aber jetzt ist etwas dazwischengekommen. Ich habe soeben… Ich habe soeben ganz allein herausgefunden, dass Girardieu sehr viel fruher gegen mich losschlagen will, als ich befurchtet hatte.«
»Ohne Mehrheit im Expeditionsrat kann er dir nichts anhaben«, sagte Cal.
»Nein, das konnte er nicht«, sagte Janequin, »wenn er so vorgehen wollte. Aber Dans Informationen sind richtig. Es sieht so aus, als plante Girardieu eine direkte Aktion.«
»Das hei?t, so etwas wie einen… Umsturz, nehme ich an.«
»Das ware wohl der Fachausdruck«, nickte Janequin.
»Sind Sie sicher?« Wieder fiel Calvin in die Konzentrationspose. Schwarze Falten gruben sich in seine Stirn. »Ja… sie konnten Recht haben. In den Medien wird seit gestern viel uber Girardieus nachsten Zug spekuliert, und man wundert sich, dass Dan sich irgendeiner Ausgrabung widmet, wahrend die Kolonie durch eine Fuhrungskrise stolpert… au?erdem ist eine deutliche Zunahme an verschlusselten Kontakten unter den bekannten Girardieu- Anhangern festzustellen. Ich kann die Codes naturlich nicht knacken, aber ich kann Vermutungen uber den Grund fur die gestiegene Frequenz anstellen.«
»Dann ist tatsachlich etwas im Busch?«, fragte Dan.
Sluka hatte Recht, dachte er bei sich. Und das hie?, sie hatte ihm sogar einen Gefallen getan, als sie drohte, die Arbeit niederzulegen. Ohne ihre Warnung hatte er Cal nie gerufen.
»Es sieht ganz danach aus«, sagte Janequin. »Deshalb wollte ich dich ja so dringend erreichen. Was Cal uber Girardieus Anhanger sagt, bestarkt mich nur in meinen Befurchtungen.« Seine Hand spannte sich fester um das Gelander. Die Armelmanschetten — die Jacke hing schlaff von seinen knochigen Schultern — waren mit Pfauenaugen bedruckt. »Es hat vermutlich keinen Sinn, wenn ich noch langer bleibe, Dan. Ich habe mich bemuht, meine Beziehung zu dir moglichst unverdachtig zu halten, aber ich muss davon ausgehen, dass dieses Gesprach abgehort wird. Mehr darf ich wirklich nicht sagen.« Er wandte sich von der Stadtansicht und dem schwebenden Obelisken ab und sah den Mann im Lehnstuhl an: »Calvin… Es hat mich sehr gefreut, Sie nach so langer Zeit wiederzusehen.«
Cal streckte eine Hand in Janequins Richtung. »Passen Sie gut auf sich auf«, sagte er. »Und viel Gluck mit Ihren Pfauen.«
Janequin war sichtlich uberrascht. »Sie wissen von meinem kleinen Projekt?«
Calvin lachelte nur. Was fur eine uberflussige Frage, dachte Sylveste.
Der alte Mann schuttelte ihm die Hand — die Projektion schloss auch taktile Interaktionen ein — und verlie? den Aufnahmebereich.
Die beiden blieben allein auf dem Balkon zuruck.
»Nun?«, fragte Cal.
»Ich darf die Kontrolle uber die Kolonie nicht verlieren.« Sylveste hatte auch nach Alicias Abzug formell die Leitung der gesamten Resurgam-Expedition behalten. An sich hatten alle, die auf dem Planeten geblieben waren, anstatt mit ihr nach Hause zu fliegen, seine Verbundeten sein und damit seine Position starken mussen. Aber so war es nicht. Nicht jedem, der mit Alicia sympathisierte, war es gelungen, an Bord der
Calvin rutschte unruhig hin und her. »Das hei?t, du setzt deinem Vater die Daumenschrauben an. Wie reizend von dir.«
»Nein«, knirschte Sylveste mit zusammengebissenen Zahnen. »Ich sage nur, du konntest in falsche Hande geraten, wenn du mich nicht gut beratst. Fur den Pobel bist du nur einer von vielen Angehorigen unseres erlauchten Clans.«
»Wobei du dem nicht unbedingt zustimmen wurdest, nicht wahr? In deinen Augen bin ich nur ein Programm, das du aufgerufen hast. Wann darf ich endlich wieder deinen Korper ubernehmen?«
»Darauf kannst du lange warten.«
Calvin hob mahnend den Zeigefinger. »Nicht pampig werden, mein Sohn. Schlie?lich hast du mich gerufen, nicht umgekehrt. Du kannst den Geist jederzeit in die Flasche zuruckschicken. Ich fuhle mich dort ganz wohl.«
»Das werde ich auch tun. Aber erst, nachdem ich deinen Rat gehort habe.«
Calvin beugte sich vor. »Sag mir, was du mit meiner Alpha-Simulation angestellt hast, und ich uberlege es mir.« Er grinste spitzbubisch. »Verdammt, vielleicht erzahle ich dir sogar ein paar Dinge uber die Achtzig, die du noch nicht wei?t.«
»Was gibt es da schon zu erzahlen?«, fragte Sylveste. »Neunundsiebzig unschuldige Menschen mussten sterben. Das ist kein Geheimnis. Aber ich mache dich nicht dafur verantwortlich. Ebenso gut konnte man die Fotografie eines Tyrannen als Kriegsverbrecher bezeichnen.«
»Du verdankst mir dein Augenlicht, du undankbare kleine Rotznase.« Der Lehnstuhl drehte sich und zeigte Sylveste seine massive Ruckseite. »Zugegeben, deine Augen sind nicht unbedingt auf dem neuesten Stand der Technik, aber was konntest du schon erwarten?« Der Lehnstuhl drehte sich wieder zuruck. Jetzt trug Calvin die gleiche Kleidung und die gleiche Frisur wie Sylveste, und sein Gesicht war faltenlos. »Erzahl mir von den Schleierwebern«, verlangte er. »Verrate mir deine schmutzigen Geheimnisse, mein Sohn. Sag mir, was vor Lascailles Schleier wirklich geschehen ist, und speis mich nicht mit dem Lugengebaude ab, an dem du seit deiner Ruckkehr arbeitest.«
Sylveste trat an das Schreibpult, um die Kassette auszuwerfen. »Warte«, sagte Calvin und hob rasch die Hande. »Du wolltest doch meinen Rat?«
»Jetzt kommen wir endlich zur Sache.«
»Du darfst Girardieu nicht gewinnen lassen. Wenn der Umsturz wirklich unmittelbar bevorsteht, musst du nach Cuvier zuruck, um die letzten Anhanger zu mobilisieren, die dir noch geblieben sind.«
Sylveste schaute aus dem Fenster zum Gitter hinuber. Schatten wanderten uber die Walle — die Arbeiter verlie?en die Grabung und strebten lautlos dem zweiten Schlepper zu, um dort Schutz zu suchen. »Das konnte der wichtigste Fund seit unserer Landung sein.«
»Trotzdem musst du ihn vielleicht opfern. Wenn du Girardieu in Schach haltst, kannst du dir wenigstens den Luxus erlauben, zuruckzukommen und die Suche wiederaufzunehmen. Wenn jedoch Girardieu siegt, sind alle deine Funde keinen Pfifferling mehr wert.«
»Ich wei?«, sagte Sylveste. Fur einen Moment ruhte die Feindseligkeit zwischen ihnen. Calvins Schlussfolgerung war zwingend, und es ware kleinlich gewesen, das zu bestreiten.
»Dann wirst du meinen Rat befolgen?«
Sylveste hob die Hand, um die Kassette auszuwerfen. »Ich werde daruber nachdenken.«
Zwei