»Ich will nichts werden«, sagte Pelle. »Ich will nur eine Menge Tiere haben.«
Tjorven starrte ihn an.
»Irgendwas mu?t du aber doch werden?«
»Nee, das will ich nicht.«
»Und dann brauchst du auch nicht«, sagte Stina einschmeichelnd.
Jetzt war es wieder soweit. Tjorven wurde bose.
»Das hast du doch wohl nicht zu bestimmen!«
»Hab ich das denn gesagt?« fragte Stina.
»Geh nach Hause!« schrie Tjorven. »Kleine Kinder durfen nicht auf Anlegestegen sein, hab ich doch gesagt!«
»Das hast du schlie?lich auch nicht zu bestimmen«, sagte Stina.
Da schuttelte sich Pelle, als ob er in einem Ameisenhaufen gesessen hatte. »Nee, jetzt geh ich aber«, sagte er. »Hier kann man es ja nicht aushalten.«
Melcher sa? noch immer in der kleinen Madchenkammer neben der Kuche und schrieb. Er hatte das Fenster geoffnet, damit er den Duft vom Labkraut drau?en einatmen konnte, und wenn er den Blick von der Schreibmaschine hob, sah er einen kleinen blauen Zipfel vom Fjord, und das war wohltuend. Aber er hatte nicht allzuviel Zeit, vom Papier aufzublicken. Das Schreiben ging ihm jetzt so gut von der Hand, und da war es das beste, sich gar nicht zu unterbrechen. Der einzige Nachteil war, da? durch das offene Fenster viel zu viele Gerausche von drau?en in seine Dichterwelt eindrangen. Er horte Malin mit Johann und Niklas verhandeln. Sie sollten Milch holen, aber sie bettelten und flehten, Malin solle es ihnen erlassen. Ob sie nicht Pelle schicken konne, na ja, sie wollten gerade jetzt mit Teddy und Freddy zur Landzunge hinausfahren und das alte Wrack dort untersuchen.
Offenbar gelang es ihnen, Malin zu erweichen. Melcher horte das frohliche Juhugeschrei der Jungen in der Ferne verklingen und segnete die schone Stille, die nach ihrem Verschwinden entstand.
Leider wahrte sie nicht lange, denn plotzlich steckte Tjorven die Nase zum Fenster herein. Sie hatte sich gerade am Steg von Stina getrennt. Als Pelle weg war, hatte Tjorven es auch eilig gehabt fortzukommen. Sie hatte Stina vorher nur noch klipp und klar gesagt, sie solle nicht mehr damit rechnen, in diesem Leben jemals wieder mit ihr, Tjorven, zu spielen, und Stina hatte erwidert, das sei das Beste, was sie seit langem gehort habe.
Nun war Tjorven hinauf zum Schreinerhaus gezogen, um Pelle dort zu erwischen und vernunftig mit ihm zu reden, aber er war nirgendwo zu sehen. Dafur entdeckte sie ihren Freund Melcher am Fenster der Madchenkammer.
»Und du schreibst und schreibst nur«, sagte sie. »Was schreibst du da eigentlich?«
Melchers Hande sanken von den Tasten herunter.
»Ach, wei?t du, das verstehst du nicht«, sagte er kurz.
»Nein? – Ich verstehe all – alles«, versicherte Tjorven.
»Aber dies hier nun doch nicht«, sagte Melcher.
»Aber du selber, verstehst du das denn?« fragte Tjorven.
Sie lehnte sich gegen das Fensterblech, als ob sie die Absicht hatte, den ganzen Tag dort hangenzubleiben, und Melcher stohnte.
»Geht es dir nicht gut?« fragte Tjorven.
Melcher sagte, es gehe ihm gut, es wurde ihm aber noch besser gehen, wenn sie von hier verschwande. Und da ging Tjorven. Aber nach ein paar Schritten drehte sie sich um und schrie:
»Herr Melcher, wei?t du was? Wenn du nicht so schreiben kannst, da? ich es verstehe, dann kannst du es ebensogut lassen.«
Melcher stohnte von neuem. Zuerst einmal und dann noch einmal. Denn jetzt sah er, wie Tjorven sich auf einem Stein niederlie? und sich dort gemutlich einrichtete.
»Wenn ich hier sitze, dann bin ich doch nicht im Wege«, schrie sie.
»Nein, aber Gras mit den Zehen ausrupfen, das kannst du sicher genausogut zu Hause in eurem eigenen Garten tun«, rief Melcher. »Soviel ich wei?, wachst dort mehr Gras.«
Es war allerdings ein schones sommerliches Bild, mu?te Melcher denken – rundliches Kind zwischen Labkraut und Zittergras –, er wu?te aber, da? er keine Silbe wurde schreiben konnen, wenn er das Madchen weiterhin im Blickfeld hatte, sobald er hochschaute. Da horte er Pelle mit der Milchflasche kommen, und er rief aufgeregt: »Pelle, nimm Tjorven mit! Komm, hier hast du eine Krone* [
Pelle hatte eigentlich gehofft, einen einsamen kleinen Spaziergang machen zu durfen ohne irgendwelches Weibervolk. Er hatte es notig, die Ohren auszuruhen nach allem auf dem Steg. Aber Eis war Eis, und mit Tjorven allein konnte er es wohl aushalten. Sie war durchaus friedlich und nett, wenn Stina nicht dabei war.
Mit innigem Wohlbehagen sah Melcher sie auf dem Pfad zu Janssons Anwesen hin verschwinden, Bootsmann dicht hinter ihnen. Er versuchte, seine Gedanken wieder zu sammeln, und das ware ihm fast gelungen. Da horte er von drau?en ein Piepsen, und Stina steckte den Kopf uber das Fensterblech.
»Schreibst du Marchen?« fragte sie. »Dann schreib doch eins fur mich!«
»Ich schreibe
Stina zuckte nicht zusammen. Sie blinzelte nur ein bi?chen. Zwar merkte sie, da? Onkel Melcher nicht so recht vergnugt zu sein schien, aber das kam wohl daher, weil er keine Marchen schreiben konnte, der Armste! »Ich kann dir eins erzahlen«, sagte sie trostend, »das kannst du dann aufschreiben.«
»Malin«, schrie Melcher, »Malin, komm und hilf mir!«
Stina betrachtete voller Interesse seine Schreibmaschine.
»Es ist wohl schwer, Bucher zu schreiben? Besonders die Einbande, was? Schreibt Malin die?«
»M-a-l-i-n …!« schrie Melcher.
Ihr braucht euch nicht zu beeilen – das hatte Melcher seinem Sohn Pelle besonders nachdrucklich gesagt. Wie uberflussig, das zu erwahnen. Man sollte meinen, er wisse nichts von Kindern und habe nie Janssons Kuhwaldchen gesehen. Das mu?te man durchqueren, wenn man Milch holen wollte, und so gingen sie den kleinen Pfad zwischen den Birken entlang, Tjorven und Pelle und Bootsmann. Kuhe waren zur Zeit nicht im Waldchen, was Pelle ein wenig gramte. Aber dort wuchsen Walderdbeeren, und dort wuchsen Heidelbeeren, Schmetterlinge flatterten dort herum, Ameisen hatten dort ihre Ameisenpfade und ihre Ameisenhaufen, dort gab es gro?e, bemooste Steine, auf die man hinaufklettern konnte, und in einer Birke wu?te Tjorven ein Vogelnest. Wahrhaftig, es bedurfte keiner besonderen Aufforderung, zwei Stunden lang durchs Geholz zu streifen. Es gab auch einen Fuchsbau, da wohnte der Fuchs mit seinen Jungen, erzahlte Tjorven. Sie war selbst eines fruhen Morgens mit ihrem Papa dagewesen und hatte die Fuchsjungen drau?en vor dem Bau spielen sehen.
Aber jetzt, als sie Pelle den Fuchsbau zeigen wollte, konnte sie ihn nicht finden. Bootsmann jedoch fand ihn. Lange hatte er geglaubt, Tjorven und Pelle seien zu ihrer geheimen Hutte unterwegs, aber sobald er verstand, wonach Tjorven eigentlich suchte, sah er sie an, als dachte er so ungefahr: Hummelchen, weshalb fragst du mich nicht gleich? Und da fuhrte er sie geradewegs zum Bau. Der lag ganz hinten im Wald und so versteckt, wie ein Fuchs es sich nur wunschen konnte. In einer Steinmauer. Pelle zitterte vor Erregung. Dort unten in den finsteren Gangen war der Fuchs. Was machte es schon, wenn man ihn nicht zu sehen bekam, wenn man doch wu?te, da? er dort drinnen sa? mit seinem roten Fell und seiner langen Lunte und den blitzenden Augen. Das genugte Pelle.
Sie machten auch einen kleinen Abstecher zu ihrer geheimen Hutte, da sie es ja uberhaupt nicht eilig hatten. Die Hutte hatten sie aus Protest gebaut gegen Teddy und Freddy und Johann und Niklas, diese vier Geheimen. Die hatten irgendwo eine geheime Hutte, und sie hatten gesagt, niemand auf der Welt, der nicht mit in ihrem geheimen Klub sei, durfte jemals erfahren, wo diese Hutte sei. Tjorven und Pelle hatten sich sofort angeboten, in den geheimen Klub einzutreten, aber das ging auch nicht, denn sie seien zu klein, sagte Teddy, und die geheime Hutte liege weit weg auf einer anderen Insel, einer geheimen, unbewohnten Insel, und dort durfe niemand hinkommen, der noch nicht zwolf Jahre alt sei, so laute das Gesetz, sagte Freddy. Zwei Wochen lang waren die vier Geheimen jeden Morgen in ihrem Kahn losgerudert, da? es nur so schaumte, wahrend Tjorven und Pelle und Stina wutend auf dem Steg zuruckblieben und fuhlten, da? sie zu klein waren.