Inseln wohnten so wenige Menschen, und wenn die Dunkelheit kam und die Herbststurme um ihre Hauser heulten und das Meer wie irrsinnig an ihren Stegen und Bootsschuppen ruttelte, da gab es wohl diesen oder jenen unter ihnen, der sich fragte, weshalb man hier am weitesten drau?en im Meer lebte, aber sie wu?ten, gerade hier wollten sie leben und nirgendwo anders.
Der Dampfer aus der Hauptstadt kam jetzt einmal in der Woche. Er hatte keine Sommergaste an Bord, uberhaupt keinen Menschen au?er der Besatzung, aber Nisse Grankvist bekam seine Waren und stand getreulich auf dem Anleger, um sie in Empfang zu nehmen. Und Tjorven stand ebenfalls bei jedem Wetter da mit Bootsmann neben sich, obwohl es manchmal kohlrabenschwarze Nacht war, wenn das Schiff endlich kam, und obwohl kein Pelle mitkam.
Aber Pelle schrieb Briefe, denn er ging jetzt in die Schule in der Stadt und konnte in Blockbuchstaben schreiben. Er schrieb nicht an Tjorven, sondern an Jocke. Allerdings war es Tjorven, die zu Jocke in Janssons Stall gehen mu?te und ihm berichtete, was da stand, nachdem Freddy es ihr vorgelesen hatte.
»JOCKELCHEN«, schrieb Pelle, »HALT AUS, HALT AUS, ICH KOME BALT.«
Als Tjorven eines Morgens erwachte, lag Eis auf allen Pfutzen, in denen sie am Tage vorher herumgeplatscht war, und sie hatte lange Zeit ihren Spa? daran, das Eis mit ihren Stiefeln zu zersplittern. Aber am nachsten Tag war noch mehr Eis da, es wurde immer kalter, und eines Nachts fror der Fjord zu. »Noch nie haben wir so fruh Eis gehabt«, sagte Marta.
Die Eisbrecher mu?ten eine Fahrrinne aufbrechen, damit der Dampfer durchkommen konnte, und dennoch dauerte es zehn Stunden, ehe er sich durch all den Eisbrei bis zu den Inseln am au?ersten Rand der Scharenkuste durchgearbeitet hatte.
Und dann wurde es endlich Weihnachten. Grankvists Laden hatte Weihnachtswichtel im Schaufenster, und alle Leute von den Inseln drangten sich am Ladentisch, um Stockfisch und Weihnachtsschinken, Weihnachtskaffee und Weihnachtskerzen zu kaufen.
Teddy und Freddy hatten Weihnachtsferien und mu?ten im Geschaft mithelfen. Tjorven war uberall im Wege.
»Blo? noch wenige Tage bis Heiligabend«, sagte sie, »und ich kann immer noch nicht mit den Ohren wackeln.«
Sie verkehrte in dieser Zeit flei?ig mit Soderman, und der hatte ihr eingeredet, da? der Weihnachtswichtel besonders solche Leute gern hatte, die mit den Ohren wackeln konnten – es sehe freundlich aus, behauptete Soderman. Er selbst beherrschte die Kunst, aber er wollte nach Stockholm fahren und bei Stina Weihnachten feiern, und wer sollte dann hier drau?en auf Saltkrokan dem Weihnachtswichtel freundlich mit den Ohren zuwackeln?
»Das mu?t du machen, Tjorven«, sagte Soderman.
Und Tjorven ubte geduldig und mit Ausdauer.
Drei Tage vor Weihnachten kam die »Saltkrokan I« durch die Eisrinne gestampft mit der Familie Melcherson an Bord. Sie standen allesamt an der Reling und starrten durch das Schneegestober und die Winterdammerung auf ihre Sommerinsel, die jetzt wei? und schweigend dalag, in Schnee gebettet, von Eis umfangen, winterlich schon und seltsam fremdartig, mit wei?en Dachern auf den Bootsschuppen und mit leeren Bootsstegen, an denen keine Boote mehr an ihren Vertauungen schaukelten. War das wirklich ihre Sommerinsel? Sie erkannten sie gar nicht wieder.
Aber sie konnten das Schreinerhaus unter verschneiten Apfelbaumen sehen, der Schornstein rauchte, und Melcher war geruhrt.
»Es ist jedenfalls ein Gefuhl, als kame man nach Hause«, sagte er. Und da stand Nisse Grankvist drau?en auf dem Eis an der Fahrrinne, da kamen Teddy und Freddy auf ihren Schlitten angesaust, da kam Janssons Schlitten mit Soderman drin und mit Jansson auf dem Kutschbock und Tjorven als blindem Passagier hintendrauf. Ein zartes kleines Schellengelaut schlug an ihr Ohr, und Pelle merkte, wie es ihm einen Ruck gab. Jetzt war Weihnachten, und er sollte Jocke wiedersehen, bald, bald sollte er Jocke wiedersehen! Und Bootsmann – da kam er auch auf dem Eis angetrottet. Pelles Augen leuchteten, als er ihn sah. Tjorven winkte und schrie, aber das merkte er nicht. Er sah nur Bootsmann. »Alles ist ganz anders als im Sommer«, daruber waren Johann und Niklas sich einig. Naturlich nicht Teddy und Freddy, die johlten und schrien und krachzten wie Krahen und waren gottlob ganz wie immer, sonst aber war es, als kamen sie in eine andere Welt. Weder Johann noch Niklas machten sich Gedanken daruber, was es hie?, in dieser Welt von Schnee und Eis zu leben, einsam und abgeschieden. Fur sie war all das Winterliche hier und die Veranderung nur aufregend und abenteuerlich, mehr oder weniger um ihrer Zerstreuung willen entstanden.
Der Dampfer hielt jetzt in der Fahrrinne. Bis an den Anlegesteg konnte er nicht kommen. Wollte man aussteigen, mu?te man mit Hilfe einer Leiter aufs Eis hinunterklettern.
»Endlich am Nordpol«, sagte Johann. »Die Mitglieder der Expedition steigen aus.« Er kletterte als erster hinunter, und die anderen folgten nach. Da sahen sie Bjorn auf einer anderen Leiter herankommen, die quer uber der Fahrrinne lag. Es war eine wackelige und ziemlich gefahrliche Brucke, aber so eine brauchte man, wenn man in Norrsund wohnte und nach Saltkrokan hinuberwollte. Und auf Saltkrokan hatte Bjorn offenbar heute etwas zu erledigen.
»Weshalb kommst du, ist was Besonderes los?« fragte Soderman verschmitzt.
Bjorn gab keine Antwort, denn jetzt sah er Malin.
»Hei?a und hopsa und fallerallera, Heiligabend sind wir frohlich und alle wieder da«, schrie Melcher und packte Tjorven. Aber sie ri? sich los, denn sie wollte mit Pelle gehen, und da mu?te sie sich beeilen. Pelle hatte keine Zeit, au?er Bootsmann noch jemanden zu begru?en. Er rannte los, ubers Eis auf den Anleger zu, so schnell ihn seine Beine tragen konnten, und mit derselben Geschwindigkeit ging es die ganze Dorfstra?e entlang. Tjorven konnte nicht nachkommen. Sie rief argerlich hinter ihm her, aber er blieb nicht stehen, und sie sah den wippenden Puschel auf seiner Mutze weit vor sich in der Dammerung verschwinden. Aber sie wu?te, wo sie ihn finden wurde.
»Jocke, Jockelchen, siehst du, ich bin zu dir zuruckgekommen!«
Pelle hatte sein Kaninchen auf dem Arm, als Tjorven in Janssons Stall kam. Es war so dammerig, da? sie ihn kaum sehen konnte, aber sie horte, wie er sich leise mit Jocke unterhielt, fast so, als ware es ein Mensch. »Pelle, rat mal, was ich kann«, sagte Tjorven eifrig. »Ich kann jetzt mit den Ohren wackeln.«
Pelle horte ihr nicht zu. Er sprach weiter mit Jocke, und sie mu?te es dreimal sagen, bevor er sich bequemte, eine Antwort zu geben. »Zeig doch mal«, sagte er schlie?lich. Und Tjorven stellte sich in das sparliche Licht vom Fenster und begann. Sie strengte sich an und schnitt die wildesten Grimassen, und dann fragte sie hoffnungsvoll: »Ging es?«
»Nee«, sagte Pelle. Er begriff nicht, weshalb man uberhaupt mit den Ohren wackeln mu?te, aber Tjorven erklarte ihm, wie gern der Weihnachtswichtel Leute habe, die es konnten. Da lachte Pelle schallend und sagte, erstens gebe es keinen Weihnachtsmann, und zweitens moge er solche, die mit den Ohren wackeln konnten, nicht lieber als andere Menschen. Daher konne sie ebensogut etwas Nutzlicheres lernen, zum Beispiel pfeifen. Das konnte Pelle, und wahrend er Jocke zartlich an sich pre?te, pfiff er ihm »Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen« vor. Und Tjorven auch, falls sie zuhoren wollte.
Pelle wu?te nicht, was er tat, als er das mit dem Weihnachtsmann sagte. Tjorvens Kinderglaube bekam einen Knacks, so da? es krachte. War es moglich, da? es keinen Weihnachtsmann gab? Je naher Heiligabend ruckte, um so mehr Sorgen machte sie sich, da? Pelle vielleicht recht haben konnte, und als sie am Morgen des Heiligabend bei ihrer Morgengrutze sa?, war sie so weit in Unglauben und Verzweiflung hineingeraten, da? sie so gut wie alle Wichtel abgeschafft hatte. Es machte uberhaupt keinen Spa? mehr. Was fur ein Weihnachten sollte das wohl werden? Kein Weihnachtsmann – und dann noch Grutze zum Fruhstuck! Sie schob voller Widerwillen den Teller zuruck.
»I? jetzt, Hummelchen«, sagte ihre Mutter freundlich. Sie begriff nicht, weshalb Tjorvens Augen so dunkel waren. Solche Grutze gerade sei das Beste, was der Weihnachtswichtel kenne, versicherte sie.
»Dann kann er meine kriegen«, sagte Tjorven dumpf. Sie war jetzt wutend auf diesen Weihnachtsmann, den es einerseits nicht gab und der andererseits wollte, man sollte Grutze essen und mit den Ohren wackeln, und sie sagte grollend:
»Essen und an Wichtel glauben, das ist wohl das einzige, was ein Kind tun soll.«
Nisse merkte, da? irgend etwas nicht in Ordnung war. Er merkte es meistens, wenn mit Tjorven etwas nicht in Ordnung war, und er ahnte, was es war. Als Tjorven ihn jetzt fest ansah und geradeheraus fragte: »Gibt es den