Moses. Das war kein vergnuglicher Gedanke, und sie bat instandig:
»Lieber Moses, geh runter von meinen Beinen!«
Aber Moses wollte nicht. Wieder versuchte sie, ihn hinunterzuknuffen, aber er zischte sie nur an.
Da sah sie noch einen Stromling im Korb liegen. Der wurde ihre Rettung. Sie nahm ihn sich und hielt ihn hoch in die Luft, so da? Moses ihn nicht erreichen konnte. Und dann schleuderte sie ihn mit aller Kraft fort. Der Stromling landete in einem entfernten Winkel, und Moses wackelte gierig hin, um ihn sich zu holen. Als er zuruckkam und keiner mehr da war, auf dessen Scho? er sitzen konnte, schrie er vor Wut.
»Tschus, Moses«, sagte Stina und schlo? die Tur. Sie legte den Haken uber und ging davon, ganz zufrieden mit sich selber. Sie guckte weder nach rechts noch nach links und sah auch Vesterman nicht, der sich in einer Lucke zwischen zwei Schuppen versteckt hielt.
Aber wenn Stina auch genauso arglos war wie Rotkappchen
– was fur ein Gluck trotz allem, da? sie gerade um diese Stunde mit Stromlingen zu Moses gegangen war, und was fur ein Gluck, da? er so lange auf ihrem Scho? gesessen hatte und da? sie auf dem Nachhauseweg gerade in diesem Augenblick an der Schafweide vorbeikam! Sonst hatte sie nie den Fuchs gesehen, der dort wutete. Einen gro?en hungrigen Fuchs, der heute nacht nicht das erwischt hatte, worauf er aus gewesen war, kein Lammchen und nicht einmal ein Kaninchen, weil ein rasender Hund ihn in seinen Bau zuruckgejagt hatte.
Er war hungriger denn je und wollte sich jetzt einen Lammbraten holen, da aber kam ein Menschenkind, sicher eines von der allergefahrlichsten Sorte, denn es schrie aus vollem Halse. Er bekam einen Todesschrecken und schlupfte voller Angst durch eine Lucke im Zaun auf den Weg hinaus und verschwand zwischen den Tannen am Waldrand.
Wie ein leuchtend roter Strich flitzte er dicht an den Fu?en vom alten Soderman vorbei, der nachsehen wollte, ob Bootsmann nicht noch mehr Unheil unter den Schafen angerichtet hatte, au?er dem, was er heute nacht hatte feststellen konnen. Er blieb jah stehen, als er den Fuchs vorbeihuschen sah.
»Der Fuchs!« schrie Stina. »Gro?vater, hast du den Fuchs gesehen?«
»Und ob ich ihn gesehen habe«, sagte Soderman. »Das war das gro?te Ungetum von einem Fuchs, das ich in meinem Leben gesehen habe. Aha, dieser Halunke ist es also, der unter meinen Lammern haust!«
»Und dann gehst du rum und behauptest, Bootsmann ware es gewesen«, sagte Stina unwirsch.
»Ja, dann gehe ich rum und behaupte, Bootsmann ware es gewesen«, sagte ihr Gro?vater und kratzte sich am Hinterkopf. Er war alt und schon langsam im Denken. Wie hing das eigentlich alles zusammen? Er
»Bleib hier«, sagte er zu Stina, »und schrei, wenn du den Fuchs siehst.«
Er mu?te zu Nisse, und zwar schnellstens. Er rannte, der alte Soderman, wie er seit vielen Jahren nicht mehr gerannt war, und kam keuchend und au?er Atem in den Laden.
»Nisse, bist du drinnen?« rief er voller Bangen, und da kam Marta heraus, ganz verweint.
»Nein, Nisse ist mit Bootsmann in den Wald gegangen«, sagte sie. Dann schlug sie die Hande vors Gesicht und sturzte wieder hinein. Achachach! Soderman stand da, als hatte er einen Schlag mit der Keule bekommen. Dann rannte er wieder los. Er jammerte laut und rannte. Bald konnte er nicht mehr, aber er mu?te konnen, er
»Wo bist du, Nisse?« schrie er. »Wo bist du? Nicht schie?en!«
Es war ein ruhiger Tag und ganz still im Wald. Weit entfernt rief ein Kuckuck, aber dann schwieg der auch. Soderman rannte und horte nur sein eigenes Keuchen und seine eigenen bangen Rufe.
»Wo bist du, Nisse? Nicht schie?en!«
Er bekam keine Antwort. Es war still zwischen Tannen und Kiefern. Soderman rannte. Da fiel ein Schu? – oh, wie es knallte und zwischen den Baumen widerhallte. Soderman blieb stehen und griff sich an die Brust. Er war zu spat gekommen, jetzt war es geschehen! Achachach, er wurde Tjorven nie mehr in die Augen sehen konnen. Was fur ein jammervoller Tag, was fur ein Elend!
Soderman stand still und schlo? die Augen. Da horte er Schritte, und er schaute auf. Da kam Nisse mit dem Gewehr uber der Schulter und neben ihm … Soderman starrte mit offenem Mund. Neben Nisse trottete Bootsmann!
»Hast du nicht – geschossen?« stammelte Soderman.
Nisse warf ihm einen verzweifelten Blick zu.
»Gott steh mir bei, Soderman, ich
Freud und Leid reichen einander die Hand, und manchmal kann sich alles ebenso rasch wenden, wie man niest. Es braucht nur ein atemloser Alter dort zu stehen, der mit Tranen in den Augen von dem Fuchs auf seiner Schafweide berichtet.
Nisse umarmte Soderman.
»Noch nie hat ein Mensch mich so froh gemacht wie du, Soderman!«
Und noch nie ist ein Mann mit seinem Hund so frohlich aus dem Wald heimgekehrt wie Nisse Grankvist heute mit Bootsmann. Er ist froh. Trotzdem wird er heute nacht wach liegen und an die schwere Stunde oben im Wald denken. Am meisten wird er an die Augen von Bootsmann denken, wie er dort an dem Stein zwischen den Tannen sa? und auf den Schu? wartete. Bootsmann
»Tjorven, komm! Hummelchen, komm her, ich mu? dir etwas Schones erzahlen.«
»Ich kann nicht aufhoren zu weinen«, sagte Tjorven erstaunt. Sie sa? in der Kuche auf dem Fu?boden, ganz dicht an Bootsmann gedruckt, und Bootsmann fra? Beefsteakhack. Ein ganzes Kilo erstklassiges Hack hatte er bekommen, und alle hatten ihn um Verzeihung gebeten. Nun sa? die ganze Familie im Kreis um ihn herum und himmelte ihn an und streichelte ihn, und Tjorven fand das alles wunderbar schon.
»Aber was ist das blo?, ich kann nicht aufhoren zu weinen«, sagte sie argerlich und wischte sich mit der Faust ein paar Tranen ab. Sie erinnerte sich an alles, was sie in diesen letzten schrecklichen Stunden gedacht hatte. Sie hatte sich geirrt. Bootsmann hetzte keine Schafe, und wenn sie sich zehn Mosesse halten wurde. Er war so gutartig wie immer. Aber sie hatte auch richtig gedacht, und richtig sollte es von nun an zugehen. Alles sollte werden wie fruher, bevor Moses kam und alles durcheinanderbrachte.
Ach ja, Moses! Sie fragte sich, wie es ihm in seinem Bootsschuppen wohl gehen mochte. Und plotzlich fiel ihr Jocke ein. Und Pelle, der arme Pelle, weshalb konnte er jetzt nicht auch so frohlich sein wie sie?
Und naturlich freute sich Pelle, als er horte, da? Bootsmann unschuldig war, sosehr man sich freuen konnte, wenn man selber ganz verzweifelt war. Er hatte um Bootsmann ebenso getrauert wie um sein Kaninchen, und es war ein Trost, da? Bootsmann nicht schuld an Jockes Tod war. »Ich hab ein viel besseres Gefuhl, weil Bootsmann es nicht war«, sagte er zu Melcher.
Dann aber wandte er den Kopf ab und sagte mit leiser Stimme: »Fur Jocke ist es aber ganz einerlei, wer es getan hat.«
In der Nacht traumte er von Jocke, einem lebendigen Jocke, der angehopst kam und Lowenzahn haben wollte. Aber es wurde wieder Morgen, und es gab keinen Jocke mehr. Nicht einmal sein Stall war mehr da. Johann und Niklas hatten ihn weggeraumt, damit Pelle ihn nicht mehr sehen mu?te. Sie waren nett, seine Bruder, sie hatten ihm Sachen geschenkt. Er hatte ein feines Modellschiff bekommen, das Niklas gebaut hatte, und Johann hatte ihm sein altes Taschenmesser geschenkt. Pelle war so dankbar, da? er hatte platzen konnen, und dennoch war dies ein schwerer Morgen, und er uberlegte sich, ob er es immer so empfinden wurde und wie er dann seine