langen Tage ertragen sollte.
An diesem Abend begruben sie Jocke in Janssons Kuhwaldchen, auf einer kleinen Lichtung mit Steinbrech im Gras und hohen Birken rundum.
HIER RUHT JOCKE
Pelle hatte es auf ein Stuck Holz geschrieben, und nun lag er auf den Knien und druckte die Grasbuschel auf Jockes Grab fest, wahrend Tjorven und Stina und Bootsmann zusahen. O ja, Jocke sollte es schon hier haben mit bluhendem Steinbrech und den Amseln, die ihm abends etwas vorsangen, genau wie jetzt.
Tjorven und Stina wollten auch singen. Das tat man bei Begrabnissen, das gehorte dazu. Viele Male hatten sie tote Vogel begraben und immer dasselbe Lied gesungen. Jetzt sangen sie es fur Jocke.
»Die Welt, sie ist ein Jammertal, kaum da? man lebt …«
»Nein, das singen wir nicht«, sagte Tjorven schnell.
Was war mit Pelle? Weshalb weinte er? Er hatte bis jetzt nicht geweint, aber nun sa? er dort druben auf einem Stein mit dem Rucken zu ihnen, und sie konnten kleine, merkwurdige Schluchzer horen. Sie schauten sich unschlussig an, und Stina sagte angstlich:
»Er weint vielleicht, weil die Welt ein Jammertal ist?«
»Das ist sie ja gar nicht«, sagte Tjorven. Und sie rief Pelle zu:
»Ach wo, Pelle, die Welt ist kein Jammertal. Wir singen das blo? fur Jocke.«
Sie wollte unter gar keinen Umstanden, da? noch mehr geweint wurde. Auf irgendeine Weise mu?te sie Pelle wieder froh machen, und plotzlich wu?te sie auch, wie sie das anstellen konnte.
»Pelle, du kriegst was von mir, wenn du mir versprichst, da? du nicht mehr traurig bist.«
»Was denn?« brummte Pelle, ohne sich umzuwenden.
»Du kriegst Moses!«
Da drehte er sich um, der weinende Pelle, und starrte Tjorven mi?trauisch an. Aber sie versicherte ihm:
»Doch, du kriegst ihn geschenkt.«
Und zum ersten Mal seit jenem Augenblick des Leides, als Jocke verschwand, lachelte Pelle wieder.
»Bist du aber lieb, Tjorven!«
Sie nickte.
»Ja, das bin ich. Und dann habe ich ja auch Bootsmann.«
Stina schmunzelte.
»Nun haben wir alle wieder ein Tier. Wir mussen aber zu Moses gehen und es ihm erzahlen, das ist doch klar.«
Daruber waren sie sich einig. Moses mu?te erfahren, wem er jetzt gehorte. Au?erdem mu?te er Futter haben, der Armste!
»Lebe wohl, Jockelchen«, sagte Pelle weich. Dann rannte er davon, ohne sich umzusehen.
Und plotzlich war es, als hatte sich ein Krampf in ihm gelost. Plotzlich war er ein ganz anderer Pelle, ein wilder und frohlicher Pelle, der den ganzen Weg bis zur Toten Bucht hupfte und rannte und sich zuletzt auf die Erde warf und den Abhang zu den Bootsschuppen hinunterkullerte. »Du freust dich wohl so, weil du Moses bekommst, was?« sagte Tjorven. Pelle uberlegte.
»Ich wei? nicht – vielleicht. Aber, wei?t du, es ist so traurig, wenn man traurig ist, das halt man nicht lange aus.«
»Warte nur, bis du Moses siehst«, sagte Tjorven und offnete die Tur zum Schuppen.
Und dann standen sie da und starrten besturzt ins Leere. Hier war kein Moses. Er war weg.
»Er ist abgehauen«, sagte Tjorven.
»Abgehauen! Und hat den Haken selber wieder drubergelegt, was?« sagte Pelle.
Moses war nicht abgehauen. Jemand hatte ihn gestohlen. Tjorven wandte sich zu Stina um.
»Hat dich irgendein Mensch gesehen, als du gestern hierhergegangen bist?«
Stina dachte nach.
»Nein, kein Mensch. Blo? Vesterman. Er wollte endlich von Rotkappchen horen.«
»Dir kann man ja wohl alles einreden«, sagte Tjorven. »Oh, dieser Vesterman, so ein Lump!« Tjorven stie? gegen Moses' Schlafkiste, da? sie an die Wand flog.
»Ich rei? ihm die Haare aus. Er ist ein Dieb! Ich schie? ihn tot!« schrie sie wie rasend.
»Ich wei?, was wir machen«, sagte Pelle. »Wir rauben Moses wieder zuruck. Ich wette, da? er ihn in seinem Bootsschuppen hat, und da ist sicher auch nur ein Haken an der Tur.«
Tjorvens Wut legte sich.
»Heute abend, wenn Vesterman schlaft«, sagte sie eifrig.
Stina wurde ebenfalls eifrig, nur eins machte ihr Sorge.
»Wenn wir nun aber eher einschlafen als Vesterman?« sagte sie.
»Das tun wir nicht«, versicherte Tjorven drohend. »Nicht, wenn wir so wutend sind wie jetzt.«
Stina war offenbar nicht wutend genug, denn sie konnte sich nicht wach halten. Tjorven und Pelle aber konnten es, und, was noch merkwurdiger war, niemand bemerkte sie, als sie davonschlichen.
An diesem Abend war auf Saltkrokan Fuchsjagd abgehalten worden, um den Fuchs aus seinem Versteck aufzuscheuchen. Und tatsachlich gelang es ihnen, aber es wurde trotzdem kein Fuchs geschossen. Denn als sie ihn drau?en auf der Landzunge in die Enge getrieben hatten und er keinen anderen Ausweg sah, da glitt er ins Wasser und schwamm davon. Dieser Fuchs wu?te sich zu helfen, und bis zur nachsten Insel war es nicht weit.
Nisse Grankvist schickte einen Schu? hinter ihm her, verfehlte ihn aber. Daruber war Pelle froh, als er es horte.
»Ich finde, Fuchse sollen auch leben durfen«, sagte er. »Und auf Norrsund gibt es jedenfalls keine Kaninchen und keine Schafe und keine Huhner.«
»Das wird ein mageres Leben fur ihn werden«, sagte Tjorven zufrieden. »Der Schurke, weshalb mu?te er Jocke totbei?en.«
»Das hat er nur getan, weil er ein Fuchs ist«, erklarte Pelle ihr. »Dann mu? er sich ja auch wie ein Fuchs verhalten.«
»Es mag ja sein, da? er ein Fuchs ist, aber deswegen kann er sich doch wie ein Mensch benehmen«, sagte Tjorven und wollte den Fuchs durchaus nicht begreifen.
Ubrigens – allerdings – sich wie ein Mensch benehmen? Wie Vesterman zum Beispiel? War das so viel besser? Hinzugehen und einen armen kleinen Seehund zu stehlen, nur um ihn zu verkaufen! Aber daraus wurde nichts werden, darauf konnte Vesterman Gift nehmen! versicherte Tjorven.
»Wenn nur Cora nicht bellt«, sagte sie.
Aber Cora bellte. Sie stand neben ihrer Hundehutte und bellte so laut sie konnte, als sie Tjorven und Pelle heranschleichen sah. Aber damit hatte Pelle gerechnet. Im Schreinerhaus hatte es heute Rinderbrust gegeben. Und nun warf er Cora ein paar prachtige Rindsknochen hin und redete ihr gut zu. Da wurde sie still. Trotzdem hatten sie Angst auszustehen, bis sie wu?ten, ob jemand herauskommen und nachsehen wurde, weshalb Cora gebellt hatte. Lange Zeit lagen sie unter dem Fliederstrauch am Hoftor und warteten. Aber als nichts zu horen war, schlichen sie sich vorsichtig auf den Hof. Dort oben auf einem Felsbuckel vor ihnen lag das Wohnhaus, an dem sie vorbeimu?ten, um zum Bootsschuppen hinunterzukommen. Es war still und dunkel. Wie ein schwarzer, drohender Wurfel lag das Haus dort auf seiner Felsboschung mit dem hellen Nachthimmel daruber. Niemand ruhrte sich.
»Die schlafen wie die Murmeltiere«, sagte Tjorven zufrieden. Das hatte sie jedoch zu fruh gesagt, denn plotzlich wurde es in einem Fenster dort drinnen hell, und Tjorven hielt den Atem an. Sie sahen Frau Vesterman, wie sie gerade die Petroleumlampe uber dem Tisch anzundete. Da liefen sie leise und schnell geradewegs auf das Fenster zu und warfen sich auf die Erde dicht an der Hauswand. Voller Schrecken hockten sie hier und warteten. Hatte sie sie gesehen oder nicht? Vielleicht hatte sie drinnen im Dunkeln gestanden, bevor sie die Lampe anzundete, und hinter dem Vorhang herausgelugt und gesehen, wie sie durchs Hoftor gingen. Kein Mensch konnte sich an einem hellen Juniabend auf diesem Felsbuckel verstecken, wo es nicht einen einzigen Busch gab, hinter den man kriechen konnte.
Aber als Frau Vesterman nicht herausgesturzt kam, begannen sie wieder Mut zu fassen. Hier unterm Fenster konnte sie sie nicht sehen, falls sie sich nicht direkt hinauslehnte und auf sie heruntersah. Sie hofften von ganzem Herzen, da? sie das nicht tun moge. Wenn namlich Frau Vesterman anfinge, Krach zu schlagen, dann kriegte man sie mit ein paar Rindsknochen nicht zum Schweigen, das wu?ten sie. Sie trauten sich nicht, sich zu