damit habe, mir Pallenberg als Morder vorzustellen. Aber wenn ich andererseits sehe, wie sich Wilden jedem gegenuber aufgefuhrt hat, dann mochte ich nicht ausschlie?en, dass irgendjemand ihn in den Brunnen gesto?en hat. Was ich nur nicht verstehe … Wieso mochtest du jetzt mit mir zusammenarbeiten, Alexandra?«

»Naturlich wurde ich mich auch allein auf die Suche nach der Wahrheit begeben. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass du dir eine solche Story entgehen lassen wirst. Eher fangst du ebenfalls an, zu recherchieren und Leute zu befragen. Und wenn du das machst, sind wir beide angeschmiert. Dann werden die Leute dich auf mich und mich auf dich verweisen. Bestenfalls wurde jeder von uns verkurzte Antworten bekommen, die ein falsches Bild ergeben. Wir wurden beide auf der Stelle treten und den Fall nicht losen oder uns standig zusammensetzen und unsere Informationen austauschen mussen.« Sie hob ein wenig frustriert die Schultern. »Da konnen wir auch gleich zusammen losziehen und gemeinsam die Leute befragen. Auf diese Weise kommen wir am besten voran.«

Er kratzte sich am Kopf. »Ich hatte nicht gedacht, dass dich so was begeistern konnte.«

»So was?«

»Na, in einem moglichen Mordfall zu ermitteln, meine ich.«

»Ach, das.« Sie machte eine abwehrende Handbewegung. »So was hat mich schon immer gereizt.«

Alexandra stand auf. Der Kater gab ein missbilligendes Miauen von sich und setzte sich so abrupt auf, dass Tobias ein wenig erschrocken zuruckwich. Doch Kater Brown schien nicht nach ihm schlagen zu wollen, sondern sprang in einem gro?en Satz von der Bank. Miauend strich er um Alexandras Beine.

»Was hast du denn, mein Su?er? Ich laufe nicht weg.« Sie ging in die Hocke, und Kater Brown rieb nachdrucklich den Kopf an ihrem Knie. »Danke, dass du mir den Toten gezeigt hast. Ich werde versuchen herauszufinden, was dem Mann zugesto?en ist, okay?«

Kater Brown schnurrte, als wollte er sagen: Gute Idee! Dabei druckte er sich weiter an Alexandras Knie.

»Das kannst du doch nicht wirklich glauben!« Tobias lachte leise. »Du meinst im Ernst, Kater Brown hat dir die Leiche zeigen wollen!«

»Ja, davon bin ich uberzeugt. Darum ist er die ganze Zeit auf dem Brunnenrand hin und her gelaufen: Damit ich einen Blick in den Schacht werfe. Er hat gewusst, dass da unten was ist. Und er wollte mich darauf aufmerksam machen …« Als Alexandra sah, wie Tobias zweifelnd die Stirn runzelte, fugte sie hinzu: »Okay, vielleicht nicht ausschlie?lich mich, aber der Kater wollte jemandem seine Entdeckung im Schacht zeigen.«

Tobias wirkte immer noch nicht uberzeugt.

»Du kannst daruber denken, wie du willst, doch Kater Brown wird dir vielleicht noch beweisen, dass er einen sechsten Sinn hat.«

Tobias stand ebenfalls auf und sah sich um. »Und womit willst du jetzt anfangen? Wir konnen Wilden ja nicht einfach so da liegen lassen.«

»Ich schlage vor, wir sehen ihn uns einmal etwas genauer an.« Ohne auf Tobias’ Zustimmung zu warten, ging Alexandra zuruck zu der Leiche, kniete sich hin und schlug die Decke zuruck. Kater Brown schlenderte an ihr vorbei und setzte sich in gut einem Meter Abstand hin, um aus dieser Entfernung das weitere Geschehen zu beobachten.

»Ich wusste gar nicht, dass du auch immer davon getraumt hast, als Rechtsmedizinerin zu arbeiten«, neckte Tobias sie und hockte sich neben sie, wahrend sie die Kopfhaltung des Toten studierte.

»Komiker«, brummte sie abgelenkt, dann gab sie einen missmutigen Ton von sich.

»Pass auf, gleich schlagt er die Augen auf und macht ›buh‹«, meinte Tobias leise.

Sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, aber wenn sie sich selbst gegenuber ehrlich war, dann lauerte tatsachlich irgendwo in ihrem Kopf diese irrationale Angst.

»Da klebt zu viel getrocknetes Blut an seinem Schadel«, murmelte sie. »Es ist nichts zu erkennen.«

Tobias wurde angesichts des Toten schnell wieder ernst. »Wonach suchst du denn?«

»Nach einem Hinweis darauf, dass ihn jemand niedergeschlagen hat, ehe er in den Brunnen geworfen wurde.«

»Da kannst du lange suchen. Wilden ist eindeutig mit dem Kopf auf dem Grund aufgeschlagen. Das war ja an seiner Lage im Brunnen zu erkennen. Etwas anderes kann man vielleicht mit etwas Gluck noch bei der Autopsie feststellen. Aber wie kommst du uberhaupt darauf, dass er zuvor niedergeschlagen worden ist?«

»Na, uberleg mal! Er muss zumindest ohnmachtig gewesen sein, als der Tater ihn in den Brunnen geworfen hat, sonst hatte er geschrien, und das hatte man horen mussen. Du musst bedenken, wie toten … wie mucksmauschenstill es hier vergangene Nacht war. Jedes Gerausch wird durch die Dunkelheit getragen, und wenn ich in meinem Bett liege und hore Schritte vom anderen Ende des Korridors, dann hatte ein Aufschrei das ganze Klosterhotel aufwecken mussen.« Sie legte nachdenklich den Kopf schrag. »Vielleicht war Wilden vor dem Aufprall sogar schon tot, immerhin konnte der Tater nicht mit Gewissheit sagen, dass Wilden sich bei dem Sturz in den Schacht das Genick brechen wurde. Hatte er ihn uberlebt und um Hilfe gerufen, ware man bald auf ihn aufmerksam geworden. Und nach seiner Rettung hatte er den Tater identifizieren konnen.«

»Ein Aufprall mit dem Schadel auf dem Brunnenboden ist meiner Ansicht nach nichts, was man uberleben kann …«

»Wenn die Person genau mit dem Kopf voran aufschlagt, dann sicher nicht«, pflichtete sie ihm bei. »Sie konnte beim Sturz jedoch in eine Schraglage geraten, wenn sie auf einer Seite von der Innenwand abprallt und sich zu drehen beginnt. Nein, Wilden war bestimmt schon tot. Oder so schwer verletzt, dass er gar keine Chance hatte, aus der Ohnmacht zu erwachen.«

Tobias sah sie nachdenklich an. »Liest du eigentlich viele Krimis? Oder hast du wirklich eine so bluhende Fantasie?«

»Das hat mit Fantasie wenig zu tun. Wenn du dir die Fakten ansiehst und dann die Moglichkeiten in Erwagung ziehst, die infrage kommen, dann landest du zwangslaufig bei diesen Uberlegungen.« Sie lachelte ihn fluchtig an, dann stutzte sie und sprang auf. »Warte hier, ich bin gleich wieder da.« Alexandra lief auf den Feldweg, uberquerte den Parkplatz bis zu ihrem Wagen, holte einen kleinen Beutel aus dem Handschuhfach und eilte zuruck zum Brunnen. »Hier, zieh die an!«, forderte sie Tobias auf und hielt ihm ein Paar Latexhandschuhe hin, wahrend sie das andere Paar anzog.

»Hey, Augenblick mal, ich packe den Toten nicht an!«

»Red keinen Blodsinn!«, konterte sie. »Ich mochte doch nur seine Taschen durchsuchen. Wenn sie Wilden erst mal in die Kuhlkammer des Leichenschauhauses gebracht haben, kommen wir nicht mehr an ihn ran. Ich mochte aber sichergehen, dass er nicht irgendetwas bei sich tragt, das uns einen Hinweis auf den Tater geben konnte.«

»Zum Beispiel ein Zettel mit dem Namen seines Morders? Oder dessen Visitenkarte?«, fragte Tobias mit einem mitleidigen Lacheln.

Alexandra hielt kurz inne und sah ihn an. »Wenn du vorhast, dich uber jede meiner Bemerkungen lustig zu machen, kannst du meinen Vorschlag gleich vergessen. Bin gespannt, wie weit du allein kommst.«

»Hey, hey, ist ja schon gut! Ich hab’s nicht so gemeint.«

»Vielleicht ist da ja irgendetwas, das uns weiterhilft. Ein Zettel mit einer Uhrzeit und einem Treffpunkt oder eins dieser Streichholzheftchen aus einem Lokal hier aus der Gegend. Oder eine Quittung, die uns verrat, wo Wilden war, bevor er gestern Abend zum Kloster zuruckgekommen ist. Falls er tatsachlich noch irgendwo anders war.«

Wahrend Tobias hastig die Einweghandschuhe uberstreifte, zog Alexandra aus der Hemdtasche einen Zettel, an dem etwas getrocknetes Blut klebte. Sie faltete ihn auseinander. Darauf waren verschiedene Posten addiert. Einige der Zahlen wurden durch einen Buchstaben erganzt, der alles Mogliche bedeuten konnte.

»Und?«

»Keine Ahnung, was es damit auf sich hat«, antwortete sie. »Wenn ich die Zahlen addiere, komme ich auf ein anderes Ergebnis. Vermutlich stehen die einzelnen Positionen fur irgendetwas, und es geht gar nicht um eine Addition …« Sie legte den Zettel zur Seite, dann gab sie Tobias ein Zeichen, ihr erst Wildens rechte und dann die linke Hosentasche aufzuhalten.

Sie forderte eine Geldborse, eine Brieftasche, zwei verpackte Kondome und ein Packchen Kaugummi zutage und steckte es in den Plastikbeutel. »Das ist alles«, erklarte sie. »Und wo ist sein Handy?«

»Vielleicht liegt es noch im Wagen«, uberlegte er.

»Wer hat inzwischen den Schlussel? Oder steckt der noch?«

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