»Nein, ich glaube, den hat Bruder Johannes an sich genommen, damit der Wagen nicht gestohlen wird.«
»Dann fragen wir ihn gleich danach, sobald der Leichenwagen Wilden abgeholt hat«, entschied sie. »Mit Bruder Johannes mussen wir sowieso noch reden. Wir sollten namlich seine Erlaubnis einholen, bevor wir uns im Klosterhotel umhoren.«
In diesem Moment naherte sich auf der Landstra?e ein Leichenwagen und bog in die Zufahrt zum Klosterhotel ein. Zwei Manner in dunklen Anzugen stiegen mit ernster Miene aus. Tobias ging ihnen entgegen, unterhielt sich kurz mit ihnen und kam zu Alexandra zuruck. »Wir konnen jetzt gehen, die Herren kummern sich um alles Notige. Wann sehen wir uns das an?« Er deutete auf den Plastikbeutel mit Wildens Besitztumern, den Alexandra in der Hand hielt.
»Damit beschaftigen wir uns spater.« Sie dachte kurz nach. »Wei?t du was? Ich lege die Sachen in meinen Wagen. Da kommt wenigstens kein Unbefugter dran. Wenn ich das in meinem Zimmer deponiere, bekomme ich vielleicht noch ungebetenen Besuch.«
»Meinst du, der Tater hatte nicht sofort dafur gesorgt, etwas Belastendes beiseitezuschaffen?«
»Vielleicht wurde er gestort und hatte dafur keine Zeit mehr. Das wurde auch erklaren, warum bei Wildens Wagen der Zundschlussel noch steckte.«
»Hm«, machte Tobias, wahrend er neben ihr her mit zu ihrem Auto ging. »Dann durfte der Tater die Sache aber nicht von langer Hand geplant haben.«
»Mord im Affekt. Oder er ist mit seinem Plan von falschen Voraussetzungen ausgegangen«, hielt sie dagegen. »Vielleicht ist ihm Wilden an der falschen Stelle uber den Weg gelaufen. Er musste daraufhin improvisieren, und anstatt ihn druben am Brunnen niederzuschlagen, musste er ihm auf den Parkplatz nachlaufen. Und als er dann den bewusstlosen oder womoglich schon toten Wilden beseitigen wollte, naherte sich ihm jemand Drittes. Dann hat der Tater Wilden in aller Eile zum Brunnen geschafft und in den Schacht geworfen und ist danach ins Kloster zuruckgekehrt, um nicht gesehen zu werden.«
Sie schloss den Kofferraum auf und versteckte die Habseligkeiten des Toten unter einer Decke.
»Also mussten wir herausfinden, ob sonst noch jemand so spat ins Kloster zuruckgekehrt ist, der Gefahr lief, den Tater zu entdecken«, uberlegte er. »Vielleicht hat dieser Jemand ja irgendetwas beobachtet.«
Seite an Seite verlie?en sie den Parkplatz. »Nicht unbedingt. Wenn Wilden sich mit jemandem verabredet hatte, mit dem er sich hier am Kloster treffen wollte, um danach mit ihm irgendwohin zu fahren, dann konnte sich der Tater von Bernd Wildens Bekanntem gestort gefuhlt haben. Dieser Unbekannte hatte dann eine Weile auf Wilden gewartet und ware irgendwann, als Wilden nicht am Treffpunkt erschien, unverrichteter Dinge wieder abgefahren.«
»Ich wei? nicht, Alexandra«, seufzte er. »Ich glaube, du machst da irgendwas verkehrt.«
»Wieso?«
»Na ja, normalerweise versucht der Kommissar bei einem Mordfall, den Taterkreis einzugrenzen. Du dagegen bringst immer noch mehr Leute ins Spiel, die mit Wildens Tod etwas zu tun haben konnten – wobei es ja nach wie vor reine Spekulation ist, dass hier uberhaupt ein Verbrechen stattgefunden hat.«
»Ich bin immer mehr davon uberzeugt, dass es ein Verbrechen war«, erwiderte sie. »Da passen einfach zu viele Dinge nicht zusammen.«
»Manchmal ist die simpelste Erklarung auch die richtige«, konterte Tobias. »Wilden ist zu seinem Wagen gegangen und hat gemerkt, dass er etwas vergessen hat. Daraufhin ist er zum Kloster zuruckgelaufen, und weil er so in Eile war, ist er gestolpert und dann so unglucklich gefallen, dass er kopfuber in den Brunnenschacht gesturzt ist. Fertig. Unfall. Schluss. Aus.«
Alexandra lachte. »Also wei?t du … Gut, dass du keine Krimis schreibst! Bei dir wurde der ausgeklugeltste Mord nach zwei Seiten aufgeklart, beispielsweise weil der Tater dummerweise eine Webcam ubersehen hat und bei der Tat gefilmt worden ist. Der Kommissar konfrontiert ihn mit den Aufnahmen, der Tater gesteht. Fertig. Schluss. Aus. Und dann stehst du mit zweihundertachtundneunzig leeren Seiten da.«
»Platz genug fur eine ausgiebige Sexszene zwischen dem Kommissar und der attraktiven Taterin.«
Alexandra verdrehte die Augen. »Warum sollten die beiden Sex haben?«
»Braucht man denn dafur einen Grund? Die beiden nutzen einfach die gunstige Gelegenheit.«
Alexandra sparte sich jeden Kommentar. Sie nickte den Mannern vom Beerdigungsinstitut zu, die den Toten in einen Metallsarg gebettet und in ihren Wagen geladen hatten und soeben abfuhren. Kater Brown lag nun dort, wo sich eben noch Wildens Leiche befunden hatte, und putzte sich ausgiebig, wahrend er sich die Sonne auf den Rucken scheinen lie?.
Bei ihm angekommen, hockte sich Alexandra kurz hin, um den Kater zu streicheln. »Sieh mal«, sagte sie zu Tobias. »Je nachdem, wie die Sonnenstrahlen auf sein Fell fallen, sieht er gar nicht schwarz aus, sondern mehr dunkelbraun. Aber komm, lass uns jetzt zu Bruder Johannes gehen! Vielleicht kann er uns ja den einen oder anderen Tipp geben.«
Sie richtete sich auf, was Kater Brown offenbar als Aufforderung deutete, die Putzstunde zu unterbrechen. Jedenfalls sprang er auf und stellte sich so vor Alexandra hin, dass er sich gegen ihre Schienbeine drucken konnte.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte sie ihn und buckte sich, um ihm uber den Kopf zu streicheln, doch Kater Brown machte bereits einen Satz nach oben, als wollte er ihr ein Stuck entgegenkommen. Dann hatte er auch schon die Vorderpfoten um ihren Unterarm geschlungen. »Autsch«, rief sie leise, als sie die Krallen spurte, die sich glucklicherweise nur leicht in ihre Haut druckten. »Du willst wohl getragen werden, wie?«
Tobias schaute interessiert zu, wie Alexandra den Kater hochhob und so gegen sich legte, dass er die Vorderpfoten uber ihre Schulter baumeln lassen konnte. Von dieser Warte aus hatte er freie Sicht nach hinten, doch im Moment reckte er den Hals und verdrehte den Kopf nach rechts, wo Tobias stand. Dabei war der wei?e Fleck an der Kehle des Tiers deutlich zu sehen, der durch seine langliche Form tatsachlich etwas von dem wei?en Kragen eines Geistlichen hatte.
»Jetzt bist du doch da, wo du sein wolltest, du Rauber«, sagte Tobias. »Was guckst du mich also so an?«
»Es konnte nicht schaden, wenn man dabei auch noch gekrault wird.« Alexandra lachte. »Immerhin habe ich jetzt dafur keine Hand mehr frei.«
»Na gut, aber wehe, der kratzt mich!« Er streckte die Hand aus. Kater Brown kam ihm sofort mit dem Kopf entgegen und rieb sich genusslich an Tobias’ Fingern.
Alexandra betrat mit dem Tier auf dem Arm und Tobias im Schlepptau das Foyer. Am Empfangstresen blieb sie stehen und sah sich um. Die Tur zum Refektorium stand offen. In dem gro?en Raum hielten sich einige der Leute auf, die zuvor drau?en um den Brunnen herumgestanden hatten. Sie unterhielten sich leise miteinander; vermutlich standen sie noch unter Schock.
Aus dem Buro hinter der Empfangstheke kam Bruder Andreas. Er lachelte sie an.
»Normalerweise sollte Bruder Johannes um diese Zeit in der Verwaltung sein«, lie? der Monch sie wissen, nachdem er sie nach ihren Wunschen gefragt hatte. »Aber heute ist ja alles andere als ein normaler Tag. Dieser schreckliche Unfall …« Der Mann zuckte die muskulosen Schultern und schaute betreten drein. »Einen Moment.« Er ging nach hinten ins Buro und zog dabei ein Handy aus der Tasche.
»Ich wusste gar nicht, dass du auf Schwarzenegger-Klone stehst«, merkte Tobias leise an, als er den Monch im Nebenraum telefonieren horte. »Oder habe ich deine interessierten Blicke gerade missverstanden?«
»Unsinn«, wisperte Alexandra. »Ich habe bei seinem Anblick nur uberlegt, dass jemand mit solchen Muskelpaketen keine Muhe haben durfte, einen kleineren Mann niederzuschlagen und ihn dann in den Brunnen zu werfen. Ist doch vorstellbar, dass der Tater im Kreise der …« Sie brach ab, weil Bruder Andreas wieder zu ihnen trat.
»Bruder Johannes kommt Ihnen entgegen. Wenn Sie an der Treppe zum ersten Stock warten mochten …«
»Ah, gut, vielen Dank«, sagte Alexandra und verzog ein wenig das Gesicht, da sich Kater Brown nun etwas fester in ihre Schulter krallte.
»Du, warte mal«, flusterte Tobias ihr zu. »Was ist eigentlich, wenn Bruder Johannes Wilden ermordet hat? Du erzahlst ihm, was du vermutest und was du vorhast, und der Mann ist vorgewarnt. Du bringst dich damit womoglich selbst in Gefahr … und mich gleich mit.«
Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um. »Jetzt spinnst du aber wirklich! Ich verstehe dich nicht. Hast du