Angst um mich oder um dich?«

»Weder noch. Ich frage mich nur, ob es so klug ist, irgendwelche Reaktionen herauszufordern.«

»Tobias, wir mussen mit unseren Befragungen irgendwo anfangen, und Bruder Johannes ist dafur unsere beste Wahl.« Sie warf einen raschen Blick nach links und rechts, um sicherzugehen, dass niemand sie belauschte. »Wir brauchen seine Erlaubnis, uns hier umzusehen. Au?erdem hat er so viel Arbeit und Kraft in dieses Kloster gesteckt, da wird er doch nicht alles aufs Spiel setzen, indem er einen seiner zahlenden Kunden umbringt.«

»Vielleicht hat er ja dessen Norgeleien nicht mehr ertragen«, gab Tobias nur halb im Ernst zuruck.

Alexandra verzog den Mund. »Okay, pass auf, ich sag dir, was wir machen. Wir locken ihn einfach auf eine falsche Fahrte, so wie ich das bei Wildens Mitarbeitern auch vorhabe. Das wird funktionieren.«

Tobias sah sie interessiert an. »Eine falsche Fahrte? Davon hast du mir noch gar nichts gesagt.«

»Ist mir auch gerade erst eingefallen. Wir werden …«

»Frau Berger? Herr Rombach?«, wurden sie von einer tiefen, etwas rauen Stimme unterbrochen.

Erst jetzt bemerkten sie, dass Bruder Johannes bereits einige Meter entfernt am Fu? der Treppe auf sie wartete.

»Da sind Sie ja«, sagte der Monch, als sie ihn erreicht hatten. »Was kann ich fur Sie tun?«

»Wir wollten uns gern kurz mit Ihnen unterhalten … unter sechs Augen, wenn das moglich ist«, sagte Alexandra.

»Dann kommen Sie doch bitte mit in mein Zimmer, da sind wir auf jeden Fall ungestort.« Bei diesen Worten holte er sein Handy aus der Tasche und schaltete den Klingelton aus.

Sie folgten dem Monch durch den Korridor, vorbei an den Quartieren seiner Mitbruder und der Tur, die zum Krautergarten fuhrte. Der Gang knickte nach links ab und verlief dann quer zum ersten Flur. Schlie?lich gelangten sie in einen Raum, der mindestens dreimal so gro? war wie Alexandras Unterkunft.

Beim Anblick des machtigen Bucherregals, das die gesamte rechte Wand beanspruchte, entfuhr Alexandra ein Laut des Erstaunens.

»Ich wei?, was Sie jetzt denken«, erklarte Bruder Johannes schmunzelnd, »aber ganz so ist es nicht. Das hier ist das ehemalige Zimmer von Abt Bruno. Nachdem er uns … verlassen hatte, bestanden meine Bruder darauf, dass ich dieses gro?e Zimmer bekomme – sozusagen als Dankeschon, weil ich mich so fur den Erhalt des Klosters engagiert habe. Ich habe zwar versucht, mich dagegen zu strauben … schlie?lich habe ich nur getan, was jeder andere auch getan hatte, aber sie haben so lange auf mich eingeredet, bis ich einlenken musste, um sie nicht zu beleidigen.« Er wies mit der Hand auf das ausladende Regal. »Auch bei den Buchern handelt es sich zu einem gro?en Teil um Abt Brunos private Sammlung, die er zurucklassen musste, als er Hals uber Kopf von hier verschwand. Nachdem ich das Zimmer bezogen hatte, habe ich die Reihen gesichtet und einen kleinen Teil nach oben in die Bibliothek und einen anderen, weniger bedeutsamen Teil, in den Keller bringen lassen. Was Sie sehen, ist also zu … bestimmt neunzig Prozent oder mehr das Einzige, was unser Abt uns an Vermogenswerten zuruckgelassen hat, als er sich mit dem Geld absetzte. Nur diese drei Reihen da rechts sind meine eigene Sammlung.«

»Ich dachte immer, wenn man in ein Kloster geht, lasst man all seine weltlichen Guter hinter sich zuruck«, sagte Tobias. »Au?er vielleicht ein Foto von einem lieben Menschen oder so was.«

»Das ist richtig«, bestatigte Bruder Johannes. »Aber wir bekommen ja auch manchmal etwas geschenkt …« Ein schelmisches Lacheln umspielte seine Lippen. »Davon abgesehen, ist es den Mitgliedern unseres Ordens gestattet, in freien Zeit privaten Interessen nachzugehen. Sehen Sie, mein Steckenpferd sind spezielle Kriminalromane.« Voller Stolz zeigte er auf die drei Regalreihen. »Das sind alles Krimis, in denen ein Geistlicher bei einem Verbrechen ermittelt, Originalausgaben und deutsche Ubersetzungen …«

Tobias trat naher. »Also Pater Brown und so weiter?«

»Ja, damit hat es angefangen«, sagte der Monch. »Das ist ubrigens sehr interessant, weil die Figur des Pater Brown bei uns das Bild des ermittelnden Geistlichen gepragt hat, vor allem Ruhmann in dieser Rolle. Er hat ihn ja auch gut gespielt, dagegen gibt es gar nichts einzuwenden. Aber es ist bei Pater Brown so wie bei vielen oder vielleicht sogar bei den meisten Literaturverfilmungen: Der Film hat mit der Vorlage ziemlich wenig zu tun.«

»Es bleibt nicht aus, dass Nebenhandlungen wegfallen mussen, weil sie alle gar nicht in einen eineinhalbstundigen Film gepackt werden konnen«, wandte Alexandra ein.

Bruder Johannes nickte. »Das stimmt. Aber es geht auch um viele Details, die unter den Tisch fallen. Da haben die Drehbuchautoren eine gut recherchierte Vorlage, und trotzdem basteln sie sich oft irgendwelchen Unsinn zusammen, weil sich ja leider alles der Dramaturgie und den special effects unterordnen muss. Doch da wir von Pater Brown reden … Man darf die Schuld nicht allein dem Medium Film geben, denn da ist das Ubel schon in der Vorlage zu finden.«

»Tatsachlich?«, hakte Alexandra nach, obwohl sie lieber mit ihm uber Wildens Tod gesprochen hatte. Es war jedoch sinnvoller, den Mann erst einmal reden zu lassen. Wenn er in Redelaune war, wurde er womoglich spater ausfuhrlicher auf ihre Fragen antworten. Wurde sie ihm dagegen jetzt ins Wort fallen, konnte sie nachher moglicherweise nicht mehr auf seine Kooperation hoffen.

»Ja, Sie mussen dazu wissen, dass Gilbert Chesterton, der Brown erfunden hatte, ein uberzeugter Anhanger des katholischen Glaubens war, so sehr sogar, dass Papst Pius XI. ihn nach seinem Tod mit dem Titel ›Verteidiger des Glaubens‹ ehrte. Chesterton benutzte die Kriminalfalle als Aufhanger, um sich fur seine religiosen Ansichten einzusetzen. Davon ist in den Ruhmann-Filmen nicht viel ubrig geblieben …«

»Ich bin mir auch nicht sicher, ob den Filmen mit einer allzu deutlichen religiosen Botschaft gedient gewesen ware …«, warf Alexandra ein.

»Ganz richtig, Frau Berger«, pflichtete er ihr bei. »Ein unterhaltender Film sollte den Zuschauer nicht belehren, dafur gibt es andere filmische Genres. Obwohl es auch anders geht. Ich wei? nicht, ob Sie je die englische Pater-Brown-Verfilmung mit Sir Alec Guinness gesehen haben, obwohl … damals war er ja noch gar kein Sir. Es hei?t, dass das Drehbuch und eine personliche Begegnung mit Chesterton bei ihm einen so tiefen und bleibenden Eindruck hinterlassen haben, dass er daraufhin zum katholischen Glauben ubergetreten ist.«

Alexandra sah zu Tobias. »Wusstest du das?«

»Ich dachte immer, er ist nach Star Wars dem Orden der Jedi-Ritter beigetreten«, kam dessen lapidare Antwort.

Bruder Johannes lachte erheitert auf. »Nein, ernsthaft, wenn Sie Chesterton im Original lesen, dann erwecken die Romane einen vollig anderen Eindruck, sowohl was die Charaktere angeht als auch die Botschaft, die er mit den Geschichten vermitteln wollte. In den ersten deutschen Ausgaben hat man vieles von dem einfach herausgestrichen, wohl weil man das fur die deutschen Leser nicht fur geeignet hielt. Deswegen hatten die deutschen Filme auch so wenig mit Chestertons Original zu tun.« Der Monch zuckte mit den Schultern. »Zum Gluck gibt es seit ein paar Jahren neue Ubersetzungen, und die bleiben wenigstens dicht am Original.«

Ehe Alexandra auf den eigentlichen Grund ihres Kommens uberleiten konnte, zog Bruder Johannes ein Taschenbuch aus dem Regal und hielt es ihnen kurz hin. Dann blatterte er darin und redete gleichzeitig weiter: »Was mich auch schon immer fasziniert hat, sind die Krimis von Harry Kemelman. Bestimmt haben Sie schon mal einen seiner Rabbi-Krimis in einer Buchhandlung gesehen.« Als er die fragenden Blicke seiner Gaste bemerkte, fugte er hinzu: »Die haben immer sehr eingangige Titel. Dieser hier zum Beispiel hei?t Am Freitag schlief der Rabbi lang. Dadurch sind sie mir damals uberhaupt erst aufgefallen, und ich muss sagen, sie sind sogar richtig lehrreich. Wissen Sie, ein Rabbi namens David Small ermittelt in den unterschiedlichsten Fallen, und ganz nebenbei erfahrt man unglaublich viel uber den judischen Glauben. Vor allem bekommt man diese Dinge in einem praktischen Zusammenhang erklart, ohne dass man sich durch ein trockenes Sachbuch qualen muss.« Er stellte das Buch zuruck ins Regal und zeigte auf verschiedene andere Romane. »Ich darf naturlich nicht Bruder Cadfael vergessen, geschaffen von der unvergleichlichen Ellis Peters, Gott sei ihrer Seele gnadig! Ich glaube, als sie diese Krimis schrieb, hatte sie schon Sir Derek Jacobi im Hinterkopf … Er hat spater im Fernsehen diesen Benediktinermonch Cadfael gespielt. Er war die ideale Besetzung.« Bruder Johannes lachelte versonnen. »Und die drei Figuren sind nur die bekanntesten Geistlichen, die dem Verbrechen auf der Spur sind. In den beiden unteren Reihen hier stehen noch mal uber hundert Krimis mit anderen ›Kollegen‹, die im Namen des Herrn fur Recht und Ordnung sorgen. Sie spielen zum Teil an ganz exotischen Schauplatzen, zum Teil aber auch gleich hier um die Ecke. Ich habe einiges zusammengetragen, doch es gibt immer noch Romane, die ich nicht habe … Manchmal naturlich auch deshalb, weil sie nicht als deutsche Ausgabe erschienen sind und ich die jeweilige

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