Alexandra verzog missmutig den Mund. »Dann bleibt uns tatsachlich nichts anderes ubrig, als darauf zu warten, dass die Leute von ihrem Ausflug zuruckkommen.« Sie sah auf die Uhr an der Wand rechts vom Empfang. »Was ist denn dann mit dem Mittagessen?«

Daraufhin senkte der Monch betreten den Blick und murmelte: »Das fallt heute aus.«

»Weil nicht genug Gaste im Haus sind?«

»Nein, an den Wochenenden bieten wir nur Fruhstuck und Abendessen an. Dadurch sollen unsere Gaste erfahren, was es hei?t zu verzichten. Eine Mahlzeit am Tag ist nur ein kleines Opfer.«

Alexandra nickte. Die Philosophie dahinter war durchaus begru?enswert, aber davon hatte sie nichts, war sie doch schon um ihr Fruhstuck gebracht worden.

Kater Brown sah Alexandra und Tobias nach, wie sie gemeinsam das Foyer verlie?en und sich in den Korridor begaben. Zuvor hatte Alexandra ihn noch einmal ausgiebig gestreichelt. Sie war nett, fand er. Sehr nett. Nur schade, dass es vorhin nicht geklappt hatte, ihr seine andere Entdeckung zu zeigen. Aber Kater Brown war geduldig. Fruher oder spater wurde es ihm schon gelingen, sie zu dem Fund zu fuhren.

Die Manner, mit denen er sein Reich teilte, nahmen von ihm nie Notiz. Seit Wochen setzte er sich – wenn der Weg dorthin fur ihn offen stand – auf immer den gleichen Platz und wartete darauf, dass einem von ihnen auffiel, worauf er sie aufmerksam machen wollte. Aber manche von ihnen sahen ihn gar nicht, andere sprachen ihn an und kraulten ihn ein paar Minuten lang, oder sie gaben ihm sogar eine Kleinigkeit zu essen. Doch das war auch schon alles. Wenn sie dann diese Raume verlie?en, nahmen sie ihn von dem Platz hoch, auf dem er sich niedergelassen hatte, und trugen ihn nach drau?en. Dann schlossen sie die Tur hinter sich und gingen fort.

Nachdem sich auch der Mann hinter der gro?en Theke in den Raum dahinter zuruckgezogen hatte, drehte sich Kater Brown um und schaute zur Eingangstur. Die Sonne schien auf den Platz rings um den Brunnen, und durch die offene Tur wurde angenehm warme Luft in das kuhle Foyer getragen.

Kater Brown schlenderte nach drau?en. Nach einer Runde uber den Platz hatte er die ideale Stelle gefunden, um sich auf dem warmen Boden auszustrecken. Er blinzelte in die Sonne. Ein Schmetterling flatterte uber seinem Kopf umher. Behabig hob Kater Brown eine Pfote und lie? die Krallen ausfahren, kam aber zu der Einsicht, dass es einfach zu viel Muhe machen wurde, dem zitronengelben Etwas nachzujagen. Au?erdem hatte er keine Lust, seinen gemutlichen Platz aufzugeben.

Er nahm die Pfote runter, lie? den Kopf auf die Vorderbeine sinken und schloss die Augen, um die Sonnenstrahlen zu genie?en. So ein Katzenleben konnte herrlich sein!

9. Kapitel

»Und was machen wir nun?«, fragte Tobias.

»Erst mal gehe ich unter die Dusche, dann esse ich einen Happen«, erklarte Alexandra. »Ich habe noch ein Sandwich von gestern. Wenn du mochtest, kannst du eine Halfte haben.«

»Oh, ich glaube, du bist vom Klosterleben infiziert worden! Ich hatte nie gedacht, dass du einmal ganz christlich mit mir dein karges Mahl teilen wurdest.«

Alexandra grinste. »Freu dich nicht zu fruh! Ich habe dir nur ein halbes Sandwich angeboten, aber nicht die Halfte vom Kartoffelsalat und von den Chips, die ich auch noch in meinem Zimmer habe.« Sie zogerte einen Moment und meinte dann: »Ich wei? ja nicht, wie du das handhaben wirst, doch vielleicht werde ich mir bei der Berichterstattung einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen konnen. So gut das Konzept auch ist: Man bezahlt in diesem Hotel andererseits aber auch recht viel dafur, dass einem etwas vorenthalten wird. Die Zimmer sind winzig, um zehn Uhr abends wird der Strom abgestellt …«

Tobias klopfte ihr lachend auf die Schulter. »Du bist jetzt ja nur sauer, weil du nichts zu essen bekommen hast.«

»Nein, aber ich kann mich auch zu Hause hinsetzen, stundenlang schweigen und auf das Mittagessen verzichten. Das kostet mich nichts. Und ich spare sogar noch ein paar Euro, weil ich mein Mittagessen fur den nachsten Tag aufhebe.«

Tobias ging langsam neben ihr her weiter. »Stimmt irgendwie schon … Doch ich glaube, von allein und in seinem gewohnten hauslichen Umfeld kommt man nicht darauf, einmal bewusst zu schweigen oder auf etwas zu verzichten.«

Alexandra zuckte nur mit den Schultern. »Da wir gerade von Mittagessen reden – was haltst du davon, wenn wir uns ins Auto setzen und irgendwo essen gehen? Du wei?t ja, vor vier Uhr konnen wir mit Wildens Mitarbeitern sowieso nicht reden.«

»Gute Idee, ich kriege namlich auch allmahlich Hunger.« Tobias sah auf die Uhr. »Ich schlage vor, wir befragen das Navi in meinem Mietwagen, wo wir in der Gegend ein brauchbares Restaurant finden konnen.«

»Dein Navi kannst du schonen. Auf dem Weg hierher habe ich an einer Wirtschaft angehalten, weil in Lengenich jemand die Stra?e in Richtung Kloster blockiert hatte. Ich meine, ich hatte da eine ziemlich umfangreiche Speisekarte gesehen.«

»Oh. Hausmannskost. Herrlich.« Doch seine Miene strafte seine Worte Lugen.

»Hausmannskost liegt voll im Trend«, hielt sie dagegen. »Sushi und Tapas sind langst auf dem absteigenden Ast. Zwei Scheiben Schweinebraten, dazu Klo?e und Rotkohl – das ist das, was in der nachsten Zeit die Speisekarten beherrschen wird. Oder Leberkase mit Spiegeleiern.«

»Das glaubst du ja selbst nicht!«

Alexandra war vor ihrem Zimmer angekommen. »Okay, ich gehe duschen und ziehe mich um, danach konnen wir losfahren. Unterwegs erzahle ich dir von meiner merkwurdigen Begegnung im Keller.«

Es war halb eins, als Alexandra frisch geduscht und in sauberer Jeans und dunkelblauer Bluse auf dem Bett sa?, um ihre Schuhe anzuziehen. Es waren erst ein paar Stunden vergangen, seit sie auf den Toten im Brunnen gesto?en waren, doch seitdem war sie pausenlos beschaftigt gewesen, ohne einen nennenswerten Schritt weiterzukommen. Das Wichtigste lie? weiter auf sich warten, namlich die Gesprache mit Wildens Mitarbeitern.

Ein wenig missmutig schuttelte sie den Kopf. Sosehr das Verhalten des Polizisten Pallenberg sie auch dazu herausgefordert hatte, es dem Mann zu zeigen, uberwogen in ihr mit einem Mal die Zweifel daran, uberhaupt etwas erreichen zu konnen. Hatte sie sich zu viel vorgenommen? In diesem Moment naherten sich auf dem Flur Schritte. Es klang nicht wie das typische Klatschen der Sandalen, die die Monche trugen, sondern wie das harte Stakkato von hohen, spitzen Absatzen.

Als sie die Tur offnete, erblickte sie eine rothaarige Frau, die sie am Morgen bereits kurz gesehen hatte, als man noch auf der Suche nach Wilden gewesen war. Die Frau steuerte auf das vorletzte Zimmer vor Alexandras Unterkunft zu und hielt den Schlussel in der ausgestreckten Hand.

»Hallo«, rief Alexandra.

Die Rothaarige erwiderte den Gru?.

»Alexandra Berger«, stellte Alexandra sich vor. »Wir sind uns heute Morgen vor dem Kloster schon einmal uber den Weg gelaufen.«

Die Frau schenkte ihr ein zuruckhaltendes Lacheln. »Tina Wittecker.«

»Sie sind also schon von der Wanderung zuruck?«

Tina lachte und winkte ab. »Da bin ich gar nicht erst mitgegangen. Was glauben Sie, wie weit ich mit diesen Absatzen hier in der Pampa kommen wurde?« Sie zog ein Hosenbein hoch, um den Blick auf ihre spitz zulaufenden High Heels freizugeben.

Alexandra stimmte in Tinas Lachen ein. Einmal mehr fragte sie sich, wie jemand auf solchen Stelzen gehen konnte, ohne nach zwei oder drei Schritten umzuknicken. »Oh, das ist allerdings ein gutes Argument gegen eine Wanderung. Aber meinen Sie denn, damit waren Sie auch durchgekommen, wenn Wilden nicht … zu Tode gekommen ware?«

Tina Wittecker runzelte die Stirn, als hatte sie Alexandras Frage nicht verstanden.

»Na ja, so wie ich den Mann gestern erlebt habe, kann ich mir nicht vorstellen, dass er ohne Weiteres einverstanden gewesen ware, wenn Sie die Wanderung nicht mitgemacht hatten …«

Tina warf ihr einen kurzen, prufenden Blick zu. »Wissen Sie, man musste schon ein Gefuhl dafur haben, was

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