den richtigen Umgang mit Bernd Wilden betraf«, erklarte sie und nickte Tobias zu, der neben Alexandra erschienen war. »Man musste im Umgang mit ihm die gleichen schweren Geschutze auffahren wie er. In diesem speziellen Fall hatte er mir wahrscheinlich mit einer Abmahnung gedroht. Daraufhin hatte ich ihm einen Brief zur Unterschrift vorgelegt, mit dem er sich verpflichtet hatte, fur alle Behandlungs-und Folgekosten aufzukommen, sollte ich wegen meiner ungeeigneten Schuhe sturzen und mich verletzen.«
Alexandra musste unwillkurlich lacheln. »Beliebt war er als Chef sicher nicht …«
Die rothaarige Frau zogerte einen Moment. »Ich glaube, jeder aus unserem Verband wurde Bernd Wilden als einen Tyrannen beschreiben. Was Sie hier von ihm zu sehen bekommen haben, war Wilden, wie wir ihn jeden Tag ertragen mussten.«
»Aber doch sicher nicht in jeder Abteilung, oder?«, wandte Tobias ein, nachdem er sich vorgestellt hatte. »Ich meine, als Geschaftsfuhrer wird er doch keine Zeit gehabt haben, sich in alles einzumischen.«
Tina Wittecker schenkte ihm ein spottisches Lacheln. »Ich leite den Mahlzeitendienst. Ich habe acht Mitarbeiterinnen, die an jedem Tag in der Woche unterwegs sind, um Essen auszufahren. Dabei folgen sie einem ausgeklugelten Zeitplan, der gewahrleistet, dass diese Fertigessen spatestens um halb eins bei unseren Kunden sind. Um Beschwerden vorzubeugen, muss dieses Essen seinen Empfanger warm erreichen. Damit das funktioniert, haben wir an vier Stellen in der Stadt kleine Buros angemietet, in denen die Essen erhitzt werden, ehe meine Frauen es ausliefern. Ich mache diesen Job jetzt seit siebzehn Jahren. Ich habe als Fahrerin angefangen und mich hochgearbeitet, und es war meine Idee, das Aufwarmen zu dezentralisieren, weil das Stress, Zeit, Benzin und damit bares Geld spart. Vor drei Jahren hat Herr Wilden den Posten des Kreisgeschaftsfuhrers ubernommen. Nach ungefahr zwei Monaten kam er auf einmal in mein Buro geschneit und erzahlte mir, er sei in den letzten zwei Wochen an insgesamt vier Tagen jeweils einer meiner Mitarbeiterinnen hinterhergefahren, und zwar in allen vier Fallen uber die komplette Strecke. Mit einer Videokamera hatte er die gesamte Fahrt dokumentiert und anschlie?end mit der Stoppuhr ausgewertet. Dabei wollte er festgestellt haben, dass die von den Frauen genommenen Fahrtrouten unwirtschaftlich sind. Sie sollten doch an zentraleren Stellen parken und von da aus gleich mit drei oder vier Warmhalteboxen zu den Kundinnen laufen. Das wurde sehr viel mehr Zeit sparen, meinte er.«
Als Tina Wittecker eine Pause folgen lie?, warf Alexandra augenzwinkernd ein: »Ich nehme an, Sie waren von seinen Vorschlagen ganz begeistert.«
»Ich bin aufgestanden, habe vier Boxen mit Fertigessen ubereinandergestapelt und ihn aufgefordert, damit bis nach oben in sein Buro zu gehen. Nachdem er dann versucht hat, die vier Boxen ein paar Meter weit zu tragen, fiel ihm dann alles herunter und verteilte sich auf dem Fu?boden. So viel zu seinem ach so schlauen Vorschlag!« Sie verschrankte die Arme vor der Brust. »Danach hat er mich weitgehend in Ruhe gelassen, von Kleinigkeiten abgesehen. Ich mochte meine Kollegen nicht um den Spa? bringen, Ihnen ihre schonsten Erlebnisse zu schildern, das durfen die spater gern selbst machen.« Nach einer kurzen Pause stutzte sie. »Wieso wollen Sie das eigentlich wissen?«
»Wir stellen ein paar Nachforschungen an, was die Umstande von Wildens Tod angeht«, erklarte Alexandra.
»Er ist im Ubereifer im Dunkeln in den Brunnen gesturzt«, sagte Tina Wittecker schulterzuckend. »Wahrscheinlich wollte er feststellen, wie viel Wasser drin ist, um sich dann uber den Pegel zu beschweren.«
»Sein Tod scheint Sie nicht sehr zu beruhren«, stellte Tobias fest.
Tina Wittecker warf ihm einen argerlichen Blick zu. »Sie haben doch gehort, was ich erzahlt habe. Naturlich habe ich ihm nicht den Tod gewunscht, ich kann aber auch nicht behaupten, dass ich traurig bin, von jetzt an meine Ruhe vor ihm zu haben. Aber soweit ich wei?, hat dieser Polizist doch gesagt, dass es ein Unfall war, oder nicht?«
»Ja, doch er hat den Toten auch nicht genauer untersuchen konnen. Au?erdem«, Alexandra wechselte einen raschen Blick mit Tobias, »haben wir verschiedene Au?erungen aus dem Kreis Ihrer Kollegen mitbekommen, die Zweifel an einem Unfalltod aufkommen lassen«, bluffte sie.
Tina Wittecker sah Alexandra mit zusammengekniffenen Augen an. »Was denn fur Au?erungen? Und von wem?«
»Es waren … sagen wir … vage Au?erungen. Unter anderem sagte gestern Abend ein Mann, dass die ›einzige Moglichkeit‹ darin bestehen wurde, Wilden ›fur immer zum Schweigen zu bringen‹«, behauptete Alexandra aufs Geratewohl. »Und heute Morgen am Brunnen bekam ich am Rande die Bemerkung mit, jetzt sei irgendwer ja ›endlich am Ziel‹.«
»Und nicht zu vergessen die Bemerkung – sie stammte ubrigens von einer Frau aus Ihrer Gruppe –, das sei wohl die Rache dafur, dass er ›die Zicke abgeschossen‹ hat«, erganzte Tobias.
»Ist Ihnen daruber etwas bekannt?«, fragte Alexandra. »Hatte Herr Wilden ein Verhaltnis mit einer seiner Mitarbeiterinnen?«
»Mit einer? Pah!« Tina lachte spottisch. »Mit etlichen, ware genauer formuliert. Aber ich wei? das nur vom Horensagen …«
»Hatte er mit Ihnen auch ein Verhaltnis?«, erkundigte sich Tobias geradeheraus.
In den Augen der rothaarigen Frau blitzte es zornig auf. »Sehe ich so aus?«
»Sie sind eine attraktive Frau, warum sollte er kein Interesse an Ihnen gehabt haben?« Tobias schenkte ihr ein charmantes Lacheln, das sie jedoch nur mit einem hochmutigen Blick quittierte.
»An mir haben standig Manner Interesse und manchmal auch Frauen, aber das hei?t nicht, dass ich auch leicht zu haben bin. Und bevor
Alexandra seufzte leise. »Gibt es eine Kollegin, die eine Affare mit Bernd Wilden hatte und nun einen Grund haben konnte, sich an ihm zu rachen?«
Tina Wittecker zuckte mit den Schultern. »Wilden hielt sich fur unwiderstehlich, und auch wenn ich’s nicht beschworen kann, wird er sehr wahrscheinlich versucht haben, seine Machtposition auszunutzen. Also, es wurden in diesem Zusammenhang mal seine beiden Sekretarinnen erwahnt, Yasmin Tonger und Regina Drach. Die beiden mussten ihn haufig auf Dienstreisen oder zu Kongressen begleiten, und was sich da in den Hotelzimmern abgespielt hat, das wissen nur die drei und der liebe Gott. Das haben Sie aber nicht von mir, damit das klar ist. Wenn Sie nachher die beiden zur Rede stellen und mich da reinziehen, werde ich alles abstreiten.«
»Und was ist mit der Bemerkung, dass da irgendwer jetzt ›am Ziel‹ angekommen sei?«, fragte Tobias. »Gibt es jemanden, der von Wildens Tod profitiert?«
Die Frau uberlegte kurz. »Sein Assistent Kurt Assmann konnte den Posten ›erben‹; er darf als sein Stellvertreter fungieren. Und dann naturlich die Damen und Herren Gro?, Dessing und Kramsch … und eventuell noch der Wiesmann.«
»Und wieso?« Alexandra notierte sich die Namen auf einem kleinen Block.
»Die leiten seit Jahren die drei wesentlichen Bereiche des Verbands: Verwaltung, Rettungsdienst, Soziale Dienste. Und Wiesmann hat die Finanzen unter sich. Eigentlich waren sie alle im Gesprach fur die Nachfolge des vorangegangenen Kreisgeschaftsfuhrers. Aber dann hat sich Wilden mit einer Klage wegen Ungleichbehandlung zu Wort gemeldet und den Vorstand so beeindruckt, dass der sich fur ihn entschieden hat.«
»Er hat seine Einstellung eingeklagt?« Alexandra sah die Frau verdutzt an. »Das nenne ich ja einen guten ersten Eindruck.«
»Nein, er hat nicht geklagt, er hat nur damit gedroht. Sein Argument war, dass er als einziger Bewerber von au?en keine Chance habe gegen die vier internen Kandidaten, und deswegen sei es diskriminierend, ihn nicht einzustellen.« Tina Wittecker verzog den Mund zu einem spottischen Grinsen. Ihre Augen blitzten. »Er hatte den Vorstand in eine Zwickmuhle manovriert, aus der es keinen anderen Ausweg gab als seine Einstellung.«
»Der Vorstand hatte doch ein paar Au?enstehende bitten konnen, sich zum Schein zu bewerben, dann ware Wilden mit seiner Drohung gegen die Wand gelaufen«, wandte Tobias ein.
»Ich wei?, und das sagen auch alle anderen. Vielleicht hatte er ja irgendetwas gegen den Vorstand in der Hand, mit dem er die Leute erpressen konnte, keine Ahnung.«
»Na ja, es ware nicht das erste Mal, dass Spendengelder veruntreut wurden«, gab Alexandra zu bedenken. »Und wenn Wilden davon Wind bekommen hatte …« Sie sah zu Tobias, dann wandte sie sich wieder an die rothaarige Frau. »Vielen Dank, Frau Wittecker, Sie haben uns sehr geholfen, und ich versichere Ihnen, dass wir die Informationen vertraulich behandeln werden.«
»Danke. Notfalls konnen Sie ja behaupten, Sie hatten das auch alles bei irgendeiner Gelegenheit zufallig