das hatte eine Unfalltheorie sofort ad absurdum gefuhrt. Also lasst er die Figur da landen«, sie zeigte auf die zersplitterte Fliese, »anschlie?end sammelt er die Trummer ein und arrangiert ein Stuck weiter rechts eine Szene, die den Eindruck erweckt, als ware Assmann unbefugt in die Kapelle eingedrungen und dabei von einer Heiligenskulptur todlich getroffen worden.«
»Schon und gut«, meinte Tobias dazu. »Nur ware die Polizei bestimmt spatestens bei der Entdeckung des Metallstifts da oben stutzig geworden. Schlie?lich springt so eine Statue nicht von selbst aus so einer Halterung.«
Alexandra hob die Schultern. »Das hier ist eine Baustelle. Hier hat niemand au?er den Bauarbeitern etwas zu suchen, also muss die Figur auch nicht gut gesichert auf diesem Stift gestanden haben. Jemand kann sie hochgenommen haben, weil sie im Weg war, und dann nicht wieder richtig zuruckgesetzt haben. So lie?e sich die Unfalltheorie vielleicht doch untermauern.«
Tobias seufzte und nickte dann. »Du horst dich schon an wie Polizeiobermeister Pallenberg.«
Sie grinste schief. Ihr Blick fiel auf Assmanns Leiche, und ein Schauder uberlief sie. »Komm, wir mussen den Monchen Bescheid geben, dass es einen weiteren Toten gibt. Ich uberlasse es gern ihnen, die Polizei zu verstandigen.«
Als sie sich zum Gehen wandten, stand Kater Brown auf und lief mit hoch erhobenem Kopf vor ihnen her in Richtung Tur.
»Lass dir das Leichenfinden blo? nicht zur Gewohnheit werden«, murmelte Tobias bedruckt. »Zwei Tote sind fur meinen Geschmack mehr als genug.«
Der Kater warf ihm uber die Schulter einen Blick zu, dann miaute er leise, als wollte er ihm aus vollstem Herzen zustimmen.
18. Kapitel
Es war bereits nach vierzehn Uhr drei?ig am Sonntagnachmittag, aber Polizeiobermeister Pallenberg war noch immer nicht am Tatort eingetroffen. In der Zwischenzeit waren Alexandra und Tobias an den Fundort von Assmanns Leiche zuruckgekehrt, um sich dort noch einmal in Ruhe umzusehen. Kater Brown hatte sie begleitet, denn Alexandra hatte sich vorgenommen, das Tier nicht einmal fur eine Minute aus den Augen zu lassen. Sie wussten nicht, wer fur die beiden Morde und den Giftanschlag auf den Kater verantwortlich war. Und solange das so war, wurde sie alles tun, um das Leben ihres kleinen pelzigen Freundes zu beschutzen. Und falls der Morder nicht gefasst wurde, war sie fest entschlossen, die Monche davon zu uberzeugen, ihr Kater Brown zu uberlassen.
Mit Einweghandschuhen ausgerustet, hatten sie den Toten abgetastet und dabei feststellen mussen, dass er kein Handy bei sich trug. Das war auch zu erwarten gewesen, immerhin war es wahrscheinlich, dass Assmann selbst per Anruf oder SMS in die Falle gelockt worden war.
Gerade wollte Alexandra nach drau?en gehen, um nach Pallenberg Ausschau zu halten, als die Tur aufgezogen wurde.
Bruder Johannes trat zu ihnen. Er war kreidebleich. »Es gibt einen weiteren Todesfall? Oh, mein Gott! Bruder Andreas hat mich gerade erst informiert. Zum Gluck sind Sie beide wohlauf! Dem Himmel sei Dank!« Er buckte sich zu Kater Brown, um ihn zu streicheln, aber seine Hand zitterte so sehr, dass er sie wieder zuruckzog. »Dir geht es wenigstens wieder gut.« Bruder Johannes’ Mundwinkel verzogen sich zu einem kleinen Lacheln, doch gleich darauf kehrte der besorgte Gesichtsausdruck zuruck. »Bruder Andreas konnte mir nichts Genaues sagen, er wusste nur, dass es noch einen Toten gegeben hat, und hat die Polizei informiert …« Er stutzte und sah sich um. »Ist Herr Pallenberg etwa schon wieder abgefahren?«
»Nein, nein. Er ist bislang noch gar nicht aufgetaucht.« Tobias trat einen Schritt zur Seite und gab damit den Blick auf den Toten frei, der in der Nahe der letzten Bankreihe auf dem Boden lag.
Bruder Johannes trat langsam naher und wurde womoglich noch blasser. »Herr Assmann?«, entfuhr es ihm entsetzt, und er stohnte auf. Er wankte nach links und lie? sich auf die Holzbank sinken. »O Gott, hatte ich ihm doch blo? nicht die Tur aufgeschlossen!«
»Die Tur aufgeschlossen?«, wiederholte Alexandra und frostelte mit einem Mal. »Wie meinen Sie das?«
Der Monch fuhr sich fahrig mit der Hand durchs Gesicht. »Herr Assmann kam gestern Abend spat zu mir. Sie waren mit Kater Brown auf dem Weg zum Tierarzt, und er hatte die Unterredung mit seinen Mitarbeitern beendet. Alle waren in ihren Quartieren, das Licht war ausgeschaltet worden, als er auf einmal bei mir klopfte und darauf bestand, dass ich ihm die Eingangstur aufschloss. Er sagte, er musse noch mal weg. Er wollte mir den Grund nicht verraten. Aber er war sehr … Ich wei? gar nicht, wie ich es am besten beschreiben soll … ›Ungeduldig‹ trifft es vielleicht am besten. So als hatte er einen Termin vergessen und musste sich nun ganz besonders sputen.«
»Um wie viel Uhr war das?«, wollte Alexandra wissen.
»Oh, lassen Sie mich nachdenken … Auf jeden Fall nach elf. Die Lichter waren schon eine Weile aus, und ich hatte mich in mein Zimmer zuruckgezogen und sa? in der Dunkelheit. Einschlafen konnte ich nicht, weil ich immer an Kater Brown denken musste. Au?erdem wartete ich ja auf Ihre Ruckkehr und wollte Ihnen aufschlie?en. Ich hatte Bedenken, Herrn Assmann um diese Zeit noch aus dem Haus zu lassen. Ehrlich gesagt hatte ich auch keine Lust, die halbe Nacht auf ihn zu warten, um ihm wieder aufzuschlie?en. Aber er beharrte darauf und wischte meine Bedenken beiseite.«
»Zu seinen Planen hat er wirklich nicht mehr gesagt?«
»Nein, und ich habe ihn auch nicht danach gefragt. Er wollte bei seiner Ruckkehr einen seiner Kollegen mit dem Handy aus dem Bett klingeln. Der sollte mich dann wecken.« Bruder Johannes hob hilflos die Schultern. »Ich gab seinem Drangen nach und lie? ihn raus. Er blieb dann in der Nahe des Brunnens stehen und sah zur Stra?e hinuber, als wartete er auf jemanden. Ein paar Minuten beobachtete ich ihn, wie er unruhig auf und ab ging. Aber dann hatte ich einfach keine Lust mehr, fur ihn das Kindermadchen zu spielen.«
Tobias nickte verstandnisvoll, und Bruder Johannes fuhr bedruckt fort:
»Nach einer Weile kehrte ich also in mein Zimmer zuruck, aber die Unruhe wegen Kater Brown hielt mich weiter wach. Ich begab mich wieder ins Foyer, um Sie hereinzulassen und nach Herrn Assmann zu sehen. Als ich ins Foyer kam, stand er nicht mehr drau?en auf dem Platz am Brunnen. Ich ging davon aus, dass derjenige, mit dem er sich treffen wollte, in der Zwischenzeit eingetroffen und mit ihm weggefahren war. Irgendwann sah ich die Lichter Ihres Wagens auf dem Parkplatz … und den Rest kennen Sie ja. Wenn ich geahnt hatte, dass Assmann sich in die Kapelle begibt … Was hat er hier wohl gesucht?«
»Schwer zu sagen«, meinte Alexandra. »Wir vermuten, dass man ihn mit irgendetwas gekodert hat, vielleicht mit einem Beweisstuck, das Wildens Morder hatte uberfuhren konnen.«
»Aber warum totet jemand einen Geschaftsfuhrer und seinen Stellvertreter?«, ratselte Bruder Johannes.
»Dieser zweite Todesfall untermauert unseren Verdacht, dass der Tater in den Reihen seiner Mitarbeiter zu suchen ist. Am ehesten kommt einer der leitenden Angestellten infrage, weil sie von Assmanns Tod profitieren wurden. Immerhin hatte er wahrscheinlich die Nachfolge von Wilden angetreten, und damit ware der Posten auf Jahre hinaus besetzt gewesen. Da Assmann junger war als alle anderen potenziellen Kandidaten, hatte keiner von ihnen mehr die Chance bekommen, vor ihrer Pensionierung doch noch ein paar Jahre als Geschaftsfuhrer tatig zu sein.«
»Und … wenn Herr Pallenberg wieder genauso reagiert wie bei Herrn Wilden?«, fragte der Monch beunruhigt. »Wenn er diesen Todesfall auch zum Unfall erklart, und niemand nimmt irgendwelche offiziellen Ermittlungen auf …«
Alexandra hob ratlos die Schultern. »Wir konnen Pallenberg nur die Fakten vorlegen, alles Weitere hangt wohl von ihm ab. Aber ich denke, die Indizienlage wird diesmal ausreichen, um ihn …«
Ein lautes Knattern unterbrach Alexandra mitten im Satz. Bruder Johannes horchte auf, und auch Kater Brown spitzte die Ohren.
Alexandra und Tobias gingen mit dem Kater zur Tur und druckten sie weit genug auf, um einen Blick nach drau?en werfen zu konnen.