»Was ist denn das?«, fragte sie erstaunt, als sie den Polizisten entdeckte, der auf einem schwarzen Fahrrad mit Hilfsmotor gleich unter dem Lenker den Weg vom Klostereingang zur Kapelle entlangfuhr. Die Dienstmutze hatte er sich tief ins Gesicht gezogen, wohl damit der Fahrtwind sie ihm nicht vom Kopf wehen konnte.
»Das ist eine Solex«, klarte Tobias sie auf. »Eigentlich ein Mofa, aber viel, viel billiger als das gunstigste ›richtige‹ Mofa, jedenfalls zu der Zeit, als die Dinger noch gebaut wurden. Als ich zur Schule ging, war es total cool, mit so einer Solex vorgefahren zu kommen …«
Pallenberg hatte das Mofa inzwischen abgestellt und naherte sich der Tur. Tobias’ Blick fiel auf einen knallroten Benzinkanister, der vor einer Polizeitasche auf dem Gepacktrager festgeklemmt war.
Der Polizist nickte ihnen zu und ging mit ernstem Gesicht an ihnen vorbei zu Assmanns Leiche.
Bruder Johannes stand von der Bank auf. »Guten Tag, Herr Pallenberg. Danke, dass Sie hergekommen sind.«
»Bruder Johannes«, erwiderte der Polizeiobermeister und druckte ihm die Hand. »Tja, schneller ging’s leider nicht. Mein Dienstwagen ist nach zwei Kilometern mit leerem Tank liegen geblieben, weil die Tankanzeige verruckt spielt. Also musste ich meine gute alte Solex aus der Scheune holen. Gleich muss ich dann weiterfahren zu Jean- Louis und einen Kanister Benzin holen, damit ich mit dem Wagen bis zur Tankstelle komme.« Damit wandte er sich dem Toten zu. Er betrachtete ihn einen Moment schweigend. »Um wen handelt es sich? Konnen Sie mir das sagen?«
»Das ist Kurt Assmann, der Assistent des Mannes, der am Samstagmorgen im Brunnenschacht vor dem Eingang gefunden wurde«, erklarte der Monch. Alexandra und Tobias lie?en Pallenberg nicht aus den Augen.
Der Polizist umkreiste den Toten einige Male langsam und besah ihn sich von allen Seiten. Dann schaute er sich sorgfaltig am Tatort um. Der gesprungenen Steinfliese, der zerbrochenen Skulptur sowie der leeren Halterung an der Empore schenkte er besondere Beachtung. Schlie?lich stand er nachdenklich da und kratzte sich am Kopf.
Alexandra trat auf ihn zu und sagte leise: »Herr Assmann hat mir gestern Abend nach elf Uhr noch eine SMS geschickt, in der er uns mitteilte, dass jemand ihm Wildens Laptop aushandigen wollte. Offenbar wurde Kurt Assmann von seinem Morder bewusst hierher gelockt.«
Pallenberg nickte. »Das passt ins Bild. Auf jeden Fall ist er nicht von einer zufallig herabsturzenden Skulptur erschlagen worden. Vieles deutet auf einen gewaltsamen Tod hin, aber Genaueres mussen die Spezialisten feststellen. Geben Sie mir bitte einen Moment Zeit, ich werde noch einmal versuchen, die Kollegen von der Spurensicherung und der Rechtsmedizin zu erreichen, obwohl ich keine gro?e Hoffnung habe.« Er verlie? die Kapelle und telefonierte einige Minuten mit seinem Handy. Tobias und Alexandra konnten zwar nicht verstehen, was er sagte, aber sie sahen, dass er verschiedene Nummern wahlte und beim Reden aufgeregt gestikulierte.
Schlie?lich kam er zu ihnen zuruck. Sein Gesicht war ernst. »Diese Demo in Trier hat mehr Zulauf erhalten als erwartet. Auch heute sind noch alle Kollegen im Einsatz. Ich bin nach wie vor allein. Vor Montagmorgen kann niemand herkommen, um mich zu unterstutzen. Die Spurensicherung ist mit zwei Einbruchen beschaftigt, und der Gerichtsmediziner, der seinen erkrankten Kollegen vertritt, ist nach Bitburg gerufen worden. Selbst auf der Dienststelle dort ist niemand auf die Schnelle abkommlich. Es tut mir sehr leid …«
Alexandra schuttelte fassungslos den Kopf. »Das kann doch wohl nicht wahr sein! Am Montagmorgen reisen die Kollegen der beiden Toten ab – und der Morder hochstwahrscheinlich mit ihnen!«
»Ich wei?. Doch es andert nichts daran, dass ich allein bin, dass ich keine Ausrustung habe, um Spuren zu sichern, und dass ich auch kein Rechtsmediziner bin, der dem Toten da ein Geheimnis entlocken kann. Ich werde so viele Fotos machen, wie notwendig sind, und ich werde die Kapelle verschlie?en, die Tur mit einem polizeilichen Siegel versehen und die Kollegen von der Spurensicherung gleich morgen fruh herschicken. Mehr kann ich im Augenblick nicht tun.«
»Eines sollten Sie noch erfahren: Ein Unbekannter hat versucht, den Klosterkater zu vergiften«, sagte Tobias.
»Gestern Abend«, erganzte Alexandra. »Jemand hat ihm ein starkes Betaubungsmittel verabreichen wollen, das den Kater beinahe umgebracht hatte.«
Pallenberg betrachtete Kater Brown, der auf dem Steinboden sa? und sich putzte. »Und Sie denken, dass dieser Vorfall mit den beiden Todesfallen in Verbindung steht?« Als Alexandra die Frage bejahte, erkundigte er sich: »Wissen Sie, welches Gift zur Anwendung kam?«
»Wir konnen es erfragen. Bestimmt kann die … der Tierarzt, der Kater Brown behandelt hat, uns das sagen.«
»Bitte informieren Sie mich, wenn Sie Genaueres wissen!«
»Wie wir eben herausgefunden haben, ist auch Assmanns Handy verschwunden«, sagte Alexandra und rechnete schon mit einer Standpauke, weil sie den Toten auf eigene Faust untersucht hatten.
Doch Pallenberg runzelte nur die Stirn. »Vielleicht hatte er es ja gar nicht bei sich …«
Alexandra schuttelte aufgeregt den Kopf. »Doch, bestimmt, denken Sie nur an die SMS, die er uns geschickt hatte!«
»Herr Assmann hat mit dem Handy das Kloster verlassen, ich habe es genau gesehen«, mischte sich da Bruder Johannes ein und erzahlte dem Polizisten auch noch einmal von seiner letzten Begegnung mit Kurt Assmann am vergangenen spaten Abend.
Polizeiobermeister Pallenberg horte ihm aufmerksam zu, und mit jedem Wort, das er vernahm, wurde seine Miene ernster. Als der Monch schlie?lich geendet hatte, nickte er nachdenklich. »Wie gesagt, ich werde nun die Leiche und den Fundort aus allen Perspektiven fotografieren, den Tatort abriegeln und die Tur versiegeln. Die Mitarbeiter der Ermordeten erhalten die klare Anweisung, das Klosterhotel und die Anlagen bis auf Weiteres nicht zu verlassen. Spusi und Rechtsmedizin werden morgen in aller Fruhe hier sein. Mehr kann ich im Augenblick wirklich nicht tun.« Damit drehte er sich um und ging zu seinem Mofa hinaus, um die Polizeitasche an sich zu nehmen.
Kater Brown folgte Alexandra nach drau?en. Er war sehr zufrieden, dass sie so schnell verstanden hatte, was er ihr hatte mitteilen wollen. Allerdings war da immer noch die eine Sache, die ihr bislang entgangen war, aber darauf wurde er sie bestimmt noch hinweisen konnen. Er musste nur den richtigen Moment abpassen und ihr den Weg zeigen. Mit dieser Hundeleine musste das eigentlich klappen.
Nachdem sie das Gebaude verlassen hatten, in dem er den toten Mann gewittert hatte, konnte er wieder ein Stuck durchs angenehm kuhle Gras laufen, das so schon unter seinen Pfoten kitzelte. Ein knallgelber Schmetterling kam auf ihn zugeflattert, und Kater Brown blieb stehen, um ihn genauer zu betrachten. Der Schmetterling flog kreuz und quer uber den Rasen und freute sich seines Lebens. Es war schwierig, seine Flugbahn vorauszuberechnen, denn er lie? sich mal hierhin, mal dorthin trudeln.
Dennoch duckte sich Kater Brown und spannte die Muskeln an, wahrend seine Augen jede Bewegung des gelben Falters genau verfolgten. Es dauerte eine Weile, aber dann war der Schmetterling nahe genug, und Kater Brown konzentrierte sich ganz genau auf den einen Punkt, den der Falter gleich erreichen musste. Einen Sekundenbruchteil, bevor dieser Moment gekommen war, sprang er hoch, streckte die Vorderpfoten vor und fuhr die Krallen aus, um den Schmetterling zu erwischen … aber der Falter anderte im allerletzten Augenblick seinen Kurs, und Kater Browns Krallen gingen ins Leere. Verflixt! Schnell warf er einen Blick zu Alexandra hinuber. Wie peinlich! Aber wenn sie uber diesen gescheiterten Beutezug amusiert war, lie? sie sich jedenfalls nichts anmerken.
»Mach dir nichts draus!«, sagte sie nur. »Beim nachsten Mal klappt’s bestimmt.«
Hm, ja. Kater Brown setzte sich hin und gahnte. Das machte er immer, wenn er verlegen war und von einer Niederlage ablenken wollte. Vielleicht sollte er sich auch gleich noch einmal putzen …
Da spurte er auf einmal eine federleichte Beruhrung hinter dem Ohr und wandte blitzschnell den Kopf. Frechheit! Der gelbe Falter war offenbar zum Gegenangriff ubergegangen und wollte ihn attackieren! Na warte! Blitzschnell sprang er hoch und schlug die Vorderpfoten zusammen – nur um ein zweites Mal unverrichteter Dinge wieder auf allen vieren zu landen. Der Schmetterling flatterte frohlich zu einer der Hortensien hinuber. Doch Kater Brown wurdigte ihn keines Blickes mehr, sondern stolzierte beleidigt davon. Er wurde dieses freche Ding schon noch bekommen. Es musste ja nicht heute sein …
Alexandra war noch viel zu erschuttert uber die Entdeckung von Assmanns Leiche, um uber die Kapriolen des Katers lachen zu konnen. Schweigend ging sie hinter ihm her. Als er den Brunnen ansteuerte, auf dessen Rand Kater Brown offenbar ein Nickerchen machen wollen, schuttelte sie bedauernd den Kopf. »Nein, mein Kleiner, du