Entfernung zu halten. Und wenn der Mann nicht da ist, dann suchst du die Eule kirre zu machen.« »Ich diese alte Hexe? Lieber prugle ich mich mit Bakel!« »Still! Die Eule wird naturlich fuchswild sein, da? ihr ein so fetter Bissen entgeht. Du versicherst ihr dafur, da? dir ein noch besseres Geschaft fur sie bekannt ware, bei dem gar viel zu verdienen ware, wenn Bakel mit von der Partie sein wollte. Du wartest, sagst du, blo? noch auf einen guten Freund, mit dem du dich auch hier hattest treffen wollen. Eine Stunde lang la? sie warten. Dann sagst du ihr, dem Freund musse doch wohl etwas dazwischen gekommen sein, und so leid es dir tue, mu?test du sie bitten, morgen in aller Fruhe zusammen mit Bakel wiederzukommen. Verstehst du?« »Gewi?, Herr Rudolf.« »Um zehn Uhr abends komm sodann an die Ecke, wo sich die Elysaischen Felder mit der Allee des Veuves schneiden.«
»Sollts eine Falle sein, Herr Rudolf, dann nehmen Sie sich ja in acht. Bakel ist ein hamischer Teufel. Sie haben ihm ein paar bose Puffe versetzt. Beim geringsten Verdacht konnen Sie sein Messer zwischen den Rippen fuhlen. Doch jetzt kein Wort weiter! Ich sehe dort unten einen wei?en Punkt aufschimmern. Ich vermute, es ist die Haube des Satans. Gehen Sie! Gehen Sie! Ich krieche wieder in mein Kellerloch.« »Und heut abend in der zehnten Stunde ...« »An der Stelle, wo sich die Allee des Veuves mit den Elysaischen Feldern schneidet ... Ganz recht!«
Den letzten Teil der von den beiden Mannern gefuhrten Unterhaltung hatte Marienblumchen nicht mehr gehort, sie sa? schon wieder, ihres ihr nachfolgenden Begleiters harrend, in dem Fiaker.
Zehntes Kapitel.
Die Meierei.
Rudolf verharrte nach dieser Unterhaltung eine Weile im ernsten Nachdenken. Das Madchen getraute sich nicht, ihn zu storen, sondern blickte tieftraurig vor sich hin. Endlich blickte Rudolf auf und sagte, freundlich lachelnd: »Wo sind Sie mit Ihren Gedanken? Es ist Ihnen gewi? nicht recht gewesen, da? Sie den Schuri hier trafen? Nicht wahr? Wir waren doch so lustig!« – »Im Gegenteil, Herr Rudolf, es ist mir recht lieb, da? wir ihn getroffen haben, kann er Ihnen doch von Nutzen sein!« – »Nun, befassen wir uns nicht weiter mit der Sache, meine Liebe! Mir sollte es schmerzlich sein, wenn ich Sie betrubt hatte, bin ich doch nur in der Absicht hierher gefahren, um Ihnen einmal einen frohlichen Tag zu bereiten.«
Je langer das harmlose Madchen den Blick auf das stille, lachende Landschaftsbild gerichtet hielt, das sich vor ihren Augen ausbreitete, desto heller klarte sich ihr Gesicht wieder auf ... »Ach, Herr Rudolf«, sagte sie, »sehen Sie doch das kleine Feuer dort unten auf dem Felde. Gewi? haben dort Leute Kartoffelkrautich in Brand gesteckt. Wie der wei?e Qualm aufsteigt! Und dann dort den Pflug mit den beiden Schimmeln davor! O, wenn ich ein Mann ware, dann mochte ich nichts anderes sein als Landwirt. Es mu? herrlich sein, mitten auf stillem Felde hinter dem Pfluge herzugehen, fern drau?en den gro?en Wald zu sehen ... bei einem Wetter wie beispielsweise heute ..« »Nun, Kind, da du so artig bist«, sagte Rudolf scherzend, »wollen wir bis in die Meierei hinausfahren. Zu der Frau, die mich als Kind aufgezogen hat.« »O, wird das schon werden, Herr Rudolf! Da bekommen wir doch auch Milch?« »Naturlich, auch herrlichen Rahm, wenn Sie wollen, Butter von der besten Sorte und frische Tageseier.«
»O, will ich da vergnugt sein, Herr Rudolf!«
Aber da fiel ihr ein, da? der Tag zu Ende gehen und da? sie, wenn der Abend kame, wieder zuruck in die Kaschemme werde wandern mussen, und da? ihr das schreckliche Leben nach dieser Abwechslung blo? noch schrecklicher vorkommen werde. Tief aufschluchzend bedeckte sie das Gesicht mit den Handen.
»Was ist Ihnen denn, Marienblume?« fragte Rudolf verwundert, »was macht Ihnen denn so tiefen Kummer?«
»Ach nichts, Herr Rudolf, nichts!« sagte sie, sich eine Trane aus den Augen wischend und ein mattes Lacheln versuchend, »seien Sie mir blo? nicht bose, da? ich betrubt bin! Es ist wirklich nichts, gar nichts ... es war blo? ein Einfall... Ich werde gleich wieder lustig sein.«
Die Wolke leichten Trubsinns, die auf der Stirn des Madchens stand, hatte sich schnell wieder verzogen. Marienblumchen wollte die Gegenwart genie?en und sich mit der Zukunft nicht befassen.
Bald sah man nun die Kirchturmspitze von Saint-Denis. Eine Weile hatten sie still nebeneinander gesessen, Dann fragte Rudolf plotzlich das Madchen: »Marienblume! Haben Sie schon einmal einen Mann lieb gehabt?« »Noch nie in meinem Leben, Herr Rudolf!« erwiderte das Madchen, zur Beteuerung die Hand aufs Herz legend. »Und warum noch nie?« »Sie haben doch die Menschen gesehen, die das Haus meiner Dienstherrin besuchen? Und um jemand sein Herz zu schenken, darf noch kein Makel auf einem haften.« »Und haftet denn auf dir ein Makel?«
»Ich kenne doch meine Eltern nicht einmal, Herr Rudolf«, erwiderte sie schluchzend; »ach, Herr Rudolf, wenn ich Sie bitten darf, so sprechen Sie nicht weiter hiervon!« »Es sei, mein Kind! La? uns von anderen Dingen sprechen ... Aber weshalb schauen Sie mich so ernst an? Ihre hubschen Augen fullen sich schon wieder mit Tranen. Habe ich Ihnen etwa weh getan?« »Nicht doch! Nicht doch!« sagte sie, »aber Sie sind so lieb und gut zu mir, da? ich weinen mu?, auch wenn ich es nicht wollte! Und dann sagen Sie auch nicht Du zu mir, wie im Wirtshause all die Menschen, die dort aus- und eingehen. Sie haben mich ja auch blo? hierher gebracht, um mir eine Freude zu machen, und wenn ich froh und lustig bin, dann zeigt auch Ihr sonst so ernstes Gesicht einen freudigen Ausdruck. Und dann haben Sie gestern fur mich beinahe Ihr Leben gewagt!«
»Sie fuhlen sich also heute wirklich glucklich?« fragte Rudolf. »Ich werde dies viele, viele Gluck mein Leben lang nicht vergessen, Herr Rudolf! Habe ich doch nur wenig Freude gehabt auf Erden, so bescheiden ich in meinen Wunschen auch bin. Wenn ich blo? meiner Wirtin die Schuld abtragen konnte, in der ich ohne mein Verschulden bei ihr stehe, und dann soviel Geld hatte, da? ich ohne Sorgen leben konnte, bis ich Arbeit fande.«
Rudolf blickte ernst vor sich hin. Er gedachte des grausamen Schicksals, das auf dem armen Madchen gelastet hatte; er gedachte ihrer Mutter, die vielleicht in Reichtum und Luxus lebte, vielleicht eine glanzende Rolle in der Welt spielte und geehrt, umschwarmt war ... wahrend ihr armes Kind, ein ungluckliches Madchen, der Schande uberliefert werden sollte, die Dachkammer der Eule mit der Zelle einer Besserungsanstalt, diese wieder mit der Kaschemme einer herzlosen Zuchthauslerin hatte vertauschen mussen! Das betrubte Madchen sah ihrem Begleiter in das ernste Gesicht und sagte traurig zu ihm: »Seien Sie mir nicht bose, Herr Rudolf! Solche Gedanken sollte ich eigentlich gar nicht haben! Sie nehmen mich mit aufs Land hinaus, um mir ein paar heitere Stunden zu bereiten, und ich klage Ihnen die Ohren voll. Du mein Gott! Ich wei? nicht, wie es zugeht; es kommt mir ganz von selbst in den Sinn. Glucklicher als jetzt habe ich mich ja nie im Leben gefuhlt. Wo kommen blo? die Tranen her, die mir die Augen fullen? Nicht wahr, Herr Rudolf, Sie sind mir nicht bose? Sehen Sie, die Traurigkeit vergeht ja wieder, so schnell wie sie gekommen ist ..« Noch einmal blinzelte sie kraftig, um die Tranen aus den Augen zu entfernen, die sich immer wieder darin festsetzen wollten. Rudolf blickte sie mit innigem Mitleid an.
Der Fiaker hatte eben das Dorf Sarcelles passiert. Rudolf rief dem Kutscher zu, rechts abzubiegen, durch Villiers-le-Bel zu fahren und dann links immer gradeaus zu fahren ... »Nun konnen wir wieder Luftschlosser bauen, Marienblumchen,« sagte er, »zumal es ja keinen von uns Geld kostet.« – »Nun, da wollen wir doch einmal sehen, ob ich raten wurde, was fur Luftschlosser Sie sich aussuchen mochten.« – »Nun, angenommen, dieser Pfad hier fuhrte nach einem niedlichen, seitab von der gro?en Heerstra?e gelegenen Dorfchen ... das so recht hubsch hinter Baumen versteckt und am Ufer eines Buchleins lage, neben einer Meierei, auf der einen Seite lage ein Obst-, auf der andern ein Gemusegarten ..«
»Aber, Herr Rudolf, dieses kleine Dorfchen liegt ja doch vor mir, dort druben! Sehen Sie es denn nicht?« – »Und in dem Dorfchen steht ein schmuckes Landhauschen, unten mit einer gro?en Kuche fur die Leute, oben mit einem saubern, nett eingerichteten E?stubchen fur die Pachterin, mit grunen Jalousien vor den Fenstern, und hubschem Mobiliar ... Und die Pachterin, Kind, ware Ihre Tante?«
»Ach, und die hatte mich lieb, so recht von Herzen lieb, Herr Rudolf«, rief das Madchen in schwarmerischem Entzucken; »ach! wie schon mu? es doch sein, von solcher Frau aufrichtig geliebt zu werden!« Sie faltete die Hande und wandte mit einem unbeschreiblichen Ausdruck inniger Freude die Augen zum Himmel empor ..
»Und oben im ersten Stock«, fuhr Rudolf fort, »lage Ihr eignes Stubchen, Marienblumchen, mit zwei Fenstern, die auf Blumengarten und Wiese hinausgingen, und von wo aus Sie das kleine, muntere Bachlein sehen konnten. Und hubsch tapeziert mu?te es sein und schone Gardinen haben, ein gro?er Rosenstock und ein Jelangerjelieber sollten drin stehen, so da? Sie blo? die Hand auszustrecken brauchten, wenn Sie einen Blumenstrau? flechten wollten..«