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»Nachher?« wiederholte die Witwe mit schneidendem Hohne ... »es ist keine Zeit mehr! Aber ware noch dazu Zeit, dann – hatte ich dir geraten, Nonne zu werden! Warte wenigstens mit deinem Gejammer, bis dein Bruder Martial da sein wird! Er wird dich sicher vollends bekehren ... aber ich glaube kaum, da? er kommen wird, der uberehrliche Mensch! und der uberbrave Sohn!«
Kaum hatte die Witwe diese Worte gesprochen, als das ungeheure Schlo? in der Tur knarrte und die Tur selbst geoffnet wurde.
Sechstes Kapitel.
Die letzten Stunden der Delinquenten: Mutter und Sohn.
Mit einem krampfhaften Ruck richtete sich die Tochter in die Hohe. Dann rief sie: »Schon! Schon! Sollte uns der Herrgott noch scharfer strafen wollen, indem er uns die allerletzten Minuten noch verkurzt?« – Und ihr Gesicht begann sich auf grauenhafte Weise zu verzerren ...
»Ei,« rief hohnisch die Alte, »wenn die Uhr des Henkers vorgeht, desto besser fur uns! Mir kann dein Beten und Kopfhangen ja doch nur Schande machen.«
Ein Beifron trat ein und sagte mild: »Frau! Ihr Sohn ist drau?en – wollen Sie ihn sprechen?«
Die Witwe ruhrte kein Glied, sagte aber kurz: »Ja. Ich will ihn sehen.«
Der Fron wandte sich zur Tur ... »Sie konnen kommen,« sagte er zu einem drau?en stehenden Manne, von dem zunachst nur ein finsterer Schatten zu sehen war.
Jetzt trat der Mann ein: es war Martial.
Der Invalide blieb in der Zelle, ja er lie? zur Erhohung der Vorsicht die Tur offen stehen. In dem halbdunklen Gange, der durch den anbrechenden Tag und durch eine an der Wand hangende Lampe trube erhellt wurde, waren, teils umherstehend, teils umherhockend, Soldaten und Gefangnisfrone zu sehen.
Martials Gesicht war so bleich wie das seiner Mutter ... Auf seinen Zugen lag Angst und Abscheu ausgedruckt, die Kniee zitterten ihm unter dem Leibe. Trotzdem er in seiner Mutter eine schwere Verbrecherin kannte, trotzdem er sich nie verhehlt hatte, da? er ihr nie Liebe hatte abgewinnen konnen, hatte er doch gemeint, ihrem letzten Willen gehorchen zu mussen.
Die Witwe ma? ihn, sobald er den Fu? uber die Schwelle des Kerkers gesetzt hatte, mit durchbohrenden Blicken. Dann rief sie ihm, wie um heftigen Ha? in seinem Gemute zu wecken, zornig entgegen:
»Du siehst – was man – mit deiner Mutter – mit deiner Schwester vorhat.«
»O, Mutter!« erwiderte der Sohn mit stockender Stimme, »gewi? ist's schrecklich – aber – hatte ich es dir nicht vorher gesagt?«
Zornig bi? die Witwe die Lippen aufeinander. Ihr Sohn begriff nicht, was sie von ihm wollte; trotzig fuhr sie deshalb fort:
»Man wird uns umbringen wie deinen Vater!«
»Ach, und ich kann nichts tun,« rief der Sohn, »kann gar nichts tun! Warum hast du, warum hat die Schwester nicht auf meine Warnungen gehort? Dann waret Ihr nicht hier –«
»Was du nicht sagst?« versetzte die Mutter mit schneidendem Tone, »du meinst also, es geschahe uns nur recht?«
»Mutter!« rief der Sohn.
»Du bist zufrieden also,« fuhr die Mutter fort, »wirst also, ohne zu lugen, sagen konnen, deine Mutter sei tot? wirst dich ihrer noch im Grabe schamen?«
»Ware ich ein schlechter Sohn,« warf Martial ein, »dann stunde ich jetzt wohl nicht hier!«
»Bist wohl aus Neugierde gekommen?« fragte die Mutter ironisch.
Martial verdro? die ungerechte Harte der Mutter, und er antwortete barsch:
»Ich bin hier, weil du gewunscht hast, ich mochte kommen.«
»Ach, Martial,« sagte die Tochter, »hatte ich nur auf dich gehort, statt auf die Mutter, dann ware ich jetzt nicht hier!« Ihre Stimme hatte einen herzzerrei?enden Klang, denn es war ihr nicht moglich, ihre Angst und ihr Entsetzen zu verbergen – »deine Schuld ist's, Mutter, und ich – Mutter – ich – verfluche – dich!«
Mit teuflischem Lacheln sagte die Mutter zu ihrem Sohne: »Horst du, wie sie bereut? wie sie mich anklagt? Freuts dich nicht – he? Freuts dich nicht?«
Ohne zu antworten, trat Martial zu seiner Schwester, die mit der Todesangst kampfte, und sagte, von Mitleid erfa?t:
»Arme Schwester – aber – nun ist es – zu spat!«
»Die feige Memme zu spielen, dazu ist es nie zu spat,« erwiderte die Mutter mit verbissenem Grimm, »ist das eine Art und Weise! Ist das eine Familie! Zum Gluck ist Niklas ausgebrochen – und Franz und Amandine werden, so hoffe ich, dir auch noch einmal ausrei?en! Angesteckt vom Bosen sind sie so wie so, und durch Armut werden sie vollends werden, was sie sollen!«
Das Madchen aber warf, dumpf aufschreiend, beide Arme dem Bruder entgegen und schrie: »O Martial! Sorge fur die beiden Kinder! Wenn du es nicht tust, so enden sie sicher wie ich und die Mutter! Der Kopf wird ihnen abgeschlagen werden! Der Kopf!«
»Mag er nur sorgen!« rief die Witwe, vor wilder Freude in die Hande klatschend, »mag er sorgen! Laster und Armut werden starker sein als er, und es wird ein Tag kommen, da die Kinder Vater, Schwester und Mutter rachen werden!«
Unwirsch versetzte Martial: »Diese grause Hoffnung wird sich nicht erfullen, Mutter! Denn hinfort haben die beiden Geschwister so wenig wie ich Not und Armut zu befurchten. Meine Braut hat das junge Madchen gerettet, das Niklas in der Seine ertranken wollte, und die Verwandten des Madchens haben uns die Wahl freigestellt zwischen einer gro?eren Geldsumme als Belohnung oder einer geringeren Geldsumme, dafur aber einer Farm in Algier, die sie schon einem andern Manne, dem sie ebenfalls fur gro?e Dienstleistungen zu Dank verpflichtet waren, auf eine gewisse Zeit abgetreten hatten, der sie aber nicht hat ubernehmen wollen ... Dafur haben wir uns aber entschlossen, nach Algier zu gehen, wenngleich eine gewisse Gefahr dabei nicht zu verkennen ist. Aber damit haben wir uns abzufinden, meine Braut und ich. Wir reisen morgen mit Franz und Amandinen weg und werden wohl Europa nicht wiedersehen.«
»Verhalt sich das wirklich so?« fragte die Witwe voll zorniger Verwunderung.
»Ich luge niemals,« antwortete Martial barsch.
»Aber heute tust du es, um mich in meiner letzten Lebensstunde noch zu argern,« rief die Witwe.
»Mutter! La? doch jetzt solche Reden!«
»Aus jungen Wolfen werden Lammer gemacht, nicht wahr? Deines Vaters, deiner Mutter, deiner Schwester Blut soll ungerochen bleiben an denen, die es jetzt vergie?en – He? Ist das dein Ernst, du feige Memme?«
»Mutter! Nicht solche Worte in deiner letzten Stunde!« rief Martial, beide Hande wie zum Schwure erhebend.
»Wer Blut vergie?t, des Blut soll wieder vergossen werden,« rief die Mutter – »gut dann! Bin ich gekopft, so bin ich quitt mit der menschlichen Sippe.«
»Mutter – kennst du – gar keine – Reue?« rief Martial wieder.
Wild auf lachte die Alte ... »Reue? Und hatte ich darum drei?ig Jahre im Scho?e des Verbrechens gelebt? Ist's denn denen, die mich richten, ernst mit Reue? Warum lassen sie mir blo? drei Tage Zeit dazu? ... Nein, nein! Wenn mein Kopf unterm Fallbeile fallt, soll mein Gesicht noch Wut und Ha? ausdrucken.«
Der Schwester Gedanken schienen sich zu verwirren ... Angstvoll zu dem Bruder aufschauend, murmelte sie: »Bruder – Bruder – hilf mir – fuhre mich weg von hier – Niklas hat ja auch den Weg zur Freiheit aus diesem Kerker gefunden – hilf mir und fuhre mich weg! Die Henker kommen! Die Henker kommen!«
Ueber diese Schwache ihrer Tochter ergrimmt, schrie die Witwe: »Willst du dein jammerliches Maul halten? Soll ich mich deiner in der letzten Stunde noch schamen? He, du ungeratener Wicht! Rede ihr zu, da? sie mir die Stange halt, wie es sich fur sie gehort ... Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen! Wie will sie sich beikommen lassen, wider den Strom zu schwimmen? Und werden wir nicht gehangen, so werden wir gekopft ... es kommt doch alles auf eins hinaus ... und vorbei ist's so oder so in knapp drei Minuten!«
Erschuttert von diesem Auftritte, rief Martial wieder: »Mutter! Mutter! Warum hast du mich hierher