geradezu emporenden Stellungen und Lieder die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zogen.
Das erste Paar bildeten ein als Bar verkleideter Mann und eine wilde Marketenderin. Die Kopfmaske mochte dem Manne lastig geworden sein, wenigstens hatte er sie durch ein wie eine Kapuze aussehendes Ding ersetzt, das sein ganzes Gesicht verhullte, bis auf zwei Locher in der Augengegend und einem breiten Spalte, der dem Munde das Sprechen und Atmen ermoglichte.
Dieser Mensch, der sich unter einer Barenmaske versteckte, war kein anderer als Niklas Martial, der sich mit Barbillon, seinem Zellengenossen in Bicetre, und den beiden Mordern, die zu Anfange dieser Erzahlung in der Penne zum wei?en Kaninchen verhaftet worden waren, nach ihrem gemeinsamen Ausbruch aus dem Gefangnis hier bei diesem Volksfest wieder zusammen gefunden hatte.
Die mit ihm tanzende Marketenderin trug einen Lederhut voll Beulen, der mit zerschlissenen Bandern ausgeputzt war, dazu ein Wams aus verschossenem roten Tuche mit drei Reihen Kupferknopfen, das an einen Husarendolman erinnerte, einen grunen Oberrock und Beinkleider aus wei?em Kattun. Ihr Haar fiel verworren auf die Stirn, und ihr bleiches Gesicht verriet schamlose Frechheit.
Das Vis-a-vis des Paares war nicht minder roh und gemein: Der Mann, fast ein Riese, als Robert Macaire kostumiert, hatte sich das knochige Gesicht bis zur Unkenntlichkeit mit Ru? beschmiert. Eine breite Binde bedeckte das rechte Auge, und das matte Wei? des von diesem Gesichte abstechenden Augapfels verunstaltete es noch mehr. Der untere Teil des Gesichts verschwand in einer hohen Krawatte, die aus einem alten roten Schal gedreht worden war. Auf dem Kopfe trug er, entsprechend der Robert Macaire-Maske, einen grauen, abgeschabten, plattgedruckten, schmutzigen Hut, dem der Boden fehlte. Dazu einen zerrissenen grunen Frack und ein Paar rote, an tausend Stellen geflickte Beinkleider, unten mit Bindfaden zusammengeschnurt, und uber stahlblauen Strumpfen ein Paar strohgelbe Sandalen.
In diesem Kostum spielte sich dieser gefahrliche Verbrecher – in welchem der Leser wahrscheinlich schon das »Skelett« wiedererkannt haben durfte – als der rupelhafteste aller Chahut-Tanzer auf – Chahut ist der Name des unanstandigsten aller obszonen Tanze, die das Paris nach dem letztmaligen Regiment der Bourbonen gekannt hat – warf seine langen, eisenharten Glieder nach rechts und links, bald vor-, bald ruckwarts und brachte sie in alle moglichen Formen mit einer Kraft und Elastizitat, wie wenn sie aus Stahlfedern bestunden.
Seine Tanzerin war ein gro?es, gewandtes Geschopf mit frechem Gesichte, trug eine Soldatenmutze, auf das Ohr gekippt, uber einer gefiederten Perucke mit langem Zopfe, eine Jacke und grunsamtne, stark abgeschabte Beinkleider, um die Taille eine orangefarbige Scharpe mit langen Enden, die um sie herflatterten.
Ein dickes, gemeines Weib, die Wirtin aus der Penne »zum wei?en Kaninchen«, sa? auf einer Bank, uber den Knien die karierten Mantel der Marketenderin und dieses frechsten aller Weibsbilder haltend, die gleich ihrer Kameradin in den frechen Stellungen und wilden Sprungen mit dem »Skelett« und mit Niklas Martial wetteiferte.
Unter den Tanzern fiel auch ein kleiner, lahmer Wicht auf, der sich als Teufel kostumiert hatte, aber in einem schwarzen Trikot, der ihm viel zu weit und zu gro? war, und dazu eine grune Maske trug. Trotz seinem Gebrechen besa? dieses kleine Ungeheuer eine bewunderungswurdige Gewandtheit. Seine fruhreife Verdorbenheit war, wenn nicht gro?er, doch wenigstens ebenso gro? wie die seiner schlimmen Genossen, und er sprang so frech und wild vor einer feisten Weibsperson herum, da? sich jeder, der ihn sah, verwundern mu?te, wie sich ein Mensch so zu gebarden vermochte.
Wider den lahmen Jungen Rotbarts war kein Strafverfahren erhoben worden, und sein Vater, der einstweilen in Untersuchungshaft behalten worden war, hatte ihn fur diese Zeit dem alten Micou, dem Hehler, der durch keinen seiner Komplizen angezeigt worden war, in Pflege gegeben.
Als Staffage zu diesem Verbrecherbilde, das wir zu zeichnen versucht haben, denke man sich das gemeinste, schandlichste Gesindel dieses raubsuchtigen, blutdurstigen, gottlosen Pobels, der sich allzeit feindlich gegen die soziale Ordnung auflehnt, und man bekommt eine Losung fur das Ratsel, woher in Tagen der Revolution die schlimmen Gestalten kommen, die dann Leben und Sicherheit auf das schrecklichste gefahrden – die wie aus dem Erdboden gewachsen erscheinen und doch jahraus, jahrein die Hefe der gro?stadtischen Bevolkerung bilden ...
Alle bei dieser ha?lichen Orgie beteiligten Personen, Manner sowohl als Weiber, aufgereizt durch das Gelachter und das Gejohle der an den Fenstern gestauten Volksmenge riefen, ja grohlten den Musikern zu, den Kehraus zu spielen, und diese, froh, das Ende einer fur sie und ihre Lungen so anstrengenden Beschaftigung zu sehen, bequemten sich gern dazu, einen rasenden Galopp zu spielen.
Der wilde Jubel steigerte sich zur bacchantischen Raserei. Alles stellte sich paarweis auf, alles umschlang einander, alle folgten erst hinter dem Skelett und seiner »Dame« her, aber im Nu waren alle Paare zu einem Knauel verwickelt, der unter wildem Getose einen richtigen Hollentanz auffuhrte.
Eine dicke Staubwolke stieg vom Fu?boden unter dem wilden Gestampf auf, eine dunkle rotliche Wolke bildend uber dem Wirbel der fest ineinander gekeilten, in rasenden Drehungen befindlichen Manner und Weiber ...
Bald war es nicht mehr Trunkenheit, sondern Wahnsinn, Tollheit, Raserei, die in dem Saale herrschte, alles erhitzte sich am eignen Geschrei, niemand fand Platz genug fur sich, eines war dem andern ein Hindernis.
Da schrie das Skelett:
»Achtung! Jeder suche die Ture! Hinaus auf den Boulevard! Dort konnen wir rasen! Dort hindert uns keine Wand! Hinaus! Hinaus auf den Boulevard!«
»Juchhe! Juchhe! Bravo, bravo!« heulte alles, »hinaus, hinaus! Und im Galopp bis zur Linie Sankt- Jakob!«
»Es mu? ja bald mit den beiden Weibern losgehen, die gekopft werden sollen!« schrie einer, »wenn die zur Holle galoppieren, tanzen wir ihnen den Takt dazu!«
»Da kann der Henker mit Doppelschlag arbeiten!« schrie ein anderer.
»Und wir machen die Klapphornbegleitung dazu!« ein vierter.
»Juchhe, juchhe zum Fallbeil-Galopp! Juchhe, juchhe zur Halspolka!«
»Ich tanze den Galopp mit einem der beiden gekopften Weiber,« grohlte der kleine Lahme ... »die Hexen wollen auch noch was haben! Juchhe, juchhe! Zum Schafott! Zum Schafott!«
»Juchhe! Wir wollen ihnen einen lustigen Abschied bereiten!«
»Ich nehme die Witwe!« – »Und die Tochter gehort mir!« – Juchhe! Wird das ein Gaudium sein fur den alten Samiel! Wird sich der Henker gecken, wenn er an den Knopf druckt! Wie wird das Beil hinuntersausen, wenn wir den Galopp dazu tanzen!« – »Samiel soll mit seinen beiden Hexen Chahut tanzen auf seinem Podium!« – »Juchhe, juchhe! Den Chahut auf dem Podium! Kinder, wird das ein Fest! wird das ein Fest!«
»Tod allen ehrlichen Lumpen!« schrien Weiberstimmen aus der wilden Menge. »Hoch alle Diebe und Morder! Hoch alle Diebe und Morder!« Dazwischen klangen obszone Lieder, gra?liches Geschrei und Pfeifen, und als es dem Skelett gegluckt war, sich einen Weg durch die vor der Tur gestaute Menge zu bahnen, drangte und stie? alles hinter ihm her, bis alles in einen unentwirrbaren Knauel verwickelt war, und das Gebrull, das Fluchen und Johlen von Menschlichem nichts mehr an sich hatte..
Zweierlei Vorgange steigerten indessen den Tumult ins Unglaubliche..
Am Ende des Boulevards tauchte der Karren mit den beiden Delinquentinnen auf. Kavallerie-Piketts ritten voraus. Die Pobelhaufen rannten johlend und tobend ihnen entgegen.
Da erschien vor dem dichten Haufen, im raschen Lauf vom Invaliden-Boulevard her, ein Kurier, der in der Richtung nach der Charentoner Linie entlang galoppierte, in einer hellblauen Jacke mit gelbem Kragen und Treffen auf allen Nahten, schwarzen Beinkleidern zum Zeichen tiefer Trauer, desgleichen die breitbordierte Mutze mit Krepp umschlungen...
An dem Zugel kam das gro?herzogliche Wappen von Gerolstein im schwarzen Relief zum Vorschein ...
Der Kurier lie? sein Pferd im Schritt gehen, mu?te es jedoch bald anhalten, da er mitten in die Pobelmasse hinein geraten war, und trotzdem er »Achtung! Achtung!« in einem fort schrie, so behutsam und geschickt er sein Pferd lenkte, so wurden doch im Nu Drohungen wider ihn laut.
»Der will wohl mit seinem Biest uber unsre Kopfe wegreiten?« – »Hat dieser Himmelhund aber Silber auf seinem Leibe!« rief der lahme Junge. – »Er soll uns nicht wild machen,« schrie ein anderer, »sonst rei?en wir ihn von seiner Schindmahre in den Stra?endreck!« – »Und schneiden ihm die Tressen von den Lumpen, die Micou schon einschmelzen wird!« grohlte ein vierter. – »Sto?en dem Lakai ein Eisen in den Leib, wenn er nicht parieren will!« rief das Skelett dem Kurier ins Gesicht, wahrend er sein Pferd am Zugel packte, denn das Gedrange war so stark geworden, da? der Rauber darauf verzichtet hatte, seine Galoppade bis zur Linie Sankt-Jakob