Am Nachmittag.

Mich hat mein Vater aus Gerolstein abgerufen, weil seine Gesundheit, die stets zu wunschen la?t, seit kurzem viel Ursache zu Klagen gibt, so da? er taglich schwacher und hinfalliger wird ... Es geht wirklich nicht mehr an, da? ich ihn allein lasse ... Ach, und doch habe ich Dir soviel, so unendlich viel zu erzahlen, Freund! Habe Dir zu erzahlen von Lebensabschnitten, wie ich sie ereignisvoller und romantischer noch nie gekannt habe!

Es ist wirklich recht bedauerlich und auch recht wunderlich, da? wir gerade jetzt so weit voneinander sein mussen, wahrend wir doch sonst so aneinander hingen, da? man uns die »Unzertrennlichen« oder wohl gar »die Zwillingsbruder« zu nennen liebte ... Und wir waren auch wirklich ein Freundespaar, wie man es sich inniger kaum wohl vorstellen kann ... Waren wir nicht immer gewisserma?en stolz darauf, den Beweis dafur zu erbringen, da? wir nicht blo? Phantasiefiguren seien wie Schillers Carlos und Posa, sondern den su?en Zauber eines zartlichen, innigen Freundschaftsbundes zu schatzen, zu genie?en verstehen!

Abends.

Ach, mein teuerster Freund, warum bist Du nicht an meiner Seite? Warum warest Du nicht an meiner Seite?

Seit einem Vierteljahre stromt mein Herz uber von unaussprechlich traurigen und doch auch wieder so unaussprechlich trauten und su?en Empfindungen!

Und ich mu?te alles allein mit mir verarbeiten! Konnte Dich nicht teilhaftig machen all jener seelischen Wandlungen, die sich in mir vollzogen!

Und doch kennst Du all meine launenhafte Empfindsamkeit, hast oft genug die Tranen in meinem Auge gesehen, wenn mir irgend eine liebe Tat, ein Zeichen von menschenfreundlicher Gesinnung zu Ohren kam... oder wenn wir zusammen auf irgend einem Hugel unsers lieben Heimatlandes sa?en und dem herrlichen Sonnenuntergange zuschauten oder im stillen Zauber einer milden, klaren Sternennacht schwelgten!

Besinnst Du Dich noch auf unsern prachtigen Ausflug vergangenes Jahr nach den Ruinen von Oppenfeld, am Ufer des machtigen Sees, und wie wir an dem schonen Abend zusammen traumerisch am Strande sa?en und Luftschlosser bauten?

Seltsamer Abstand zwischen damals und heute! Es war gerade drei Tage vor dem blutigen Zweikampfe, zu dessen Sekundanten ich Dich nicht nehmen mochte, denn unter Deinen Augen blessiert zu werden, ware mir zu schmerzlich gewesen! Saint-Remy, der junge franzosische Edelmann, der Gesandschaft am Gerolsteiner Hofe attachiert, fiel, von meinem Sekundanten durchbohrt – und was war der frivole Anla? zu dem Duell? Ein geringfugiger Zwist beim Spiel! Apropos, wei?t Du auch, was aus der sakrischen Sirene geworden ist, die Saint- Remy mit nach Oppenfeld brachte, und die, wenn ich mich recht entsinne, Cecily David hie??

Lieber Freund! Ich sehe, wie Du mitleidig die Lippen krauselst, da? ich mich in so losen Erinnerungen bewege, da? ich immer und immer wieder mit der Vergangenheit mich befasse, statt zu jenen Mitteilungen ernster Natur zu gelangen, auf die ich Dich vorbereitet habe ... aber es wird mir schwer, Freund, und wenn ich mir auch sage, da? ich unrecht daran tue, so zogere ich doch damit, schiebe doch den Augenblick hinaus, wo ich Dir mein Herz ausschutten sollte, denn ich kenne Deine Sittenstrenge und furchte bose Worte aus Deinem Munde ... weil ich ohne Ueberlegung – nicht mit klugem Vorbedacht – aber was will das hei?en bei einem Alter von 21 Jahren? – sondern ins Gelag hinein, toll und unbesonnen gehandelt habe! weil ich mich blindlings von dem Strome habe hinwegrei?en lassen, der mich packte ... Und erwacht aus dem zauberhaften Traume bin ich erst seit meinem Aufbruch von Gerolstein, nachdem ich ein volles Vierteljahr darin gefangen gewesen, mich sorglos ein Vierteljahr lang darin gewiegt habe ... Ach! Und mein Erwachen ist traurig, so traurig. –

Am zweiten Tage, morgens.

Und doch, lieber Max, – ich nehme all meinen Mut zusammen – will ich nun beichten. Hore mich nachsichtsvoll an! – Wenn ich mich auch nicht getraue, die Augen zu Dir aufzuschlagen, denn ich merke, da? Du zwischen den Zeilen liest, da? Deine Zuge ernst und streng werden – Du kalter Stoiker!

Ich hatte auf ein halbes Jahr Urlaub erhalten, wandte Wien den Rucken und verweilte einige Zeit bei meinem Vater. Damals stand es um seine Gesundheit noch gut – er empfahl mir, meiner vortrefflichen Tante, der Prinzessin Juliane, die auch Oberin des Gerolsteiner Stiftes ist, einen Besuch zu machen.

Ich habe Dir wohl schon gesagt, da? meine Urgro?mutter eine Cousine des Urgro?vaters des jetzt regierenden Gro?herzogs war und da? dieser, Gustav Rudolf mit Namen, mich und meinen Vater zufolge dieses verwandtschaftlichen Verhaltnisses immer mit der herzlichsten Freundschaft, als seine »Vettern« behandelt hat ..

Du wei?t wohl ferner, da? der Gro?herzog wahrend der langen Reise, die er jungst nach Frankreich unternahm, meinem Vater die Regierung seines Landes ubertrug – als Verweser naturlich nur. –

Da? ich von diesen Nebenumstanden, lieber Freund, nicht aus Ehrgeiz spreche, sondern nur, um Dir die Ursachen jener gro?en Vertraulichkeit zu erklaren, in der ich wahrend meines Aufenthaltes in Gerolstein mit dem Gro?herzog und seiner Familie gelebt habe, wei?t Du.

Ebenso wirst Du Dich erinnern, da? wir im vorigen Jahre auf einer Rheinreise erzahlen horten, da? unser Furst in Frankreich die Grafin Mac Gregor wiedergefunden und sich mit ihr in extremis habe trauen lassen, um die Geburt einer Tochter zu legitimieren, die ihm besagte Grafin in heimlicher, nachmals wegen gewisser, dabei unterlaufener Formfehler als ungiltig erklarten Verbindung geboren hatte. Diese Quasi-Ehe hatte unser jetzt regierender Gro?herzog seinerzeit wider den strengen Willen seines in Gott ruhenden, allerhochsten Vaters geschlossen.

Dieses junge, jetzt in aller Form anerkannte und in all ihre Rechte feierlich eingesetzte Madchen ist die liebenswurdige Prinzessin Amalie, – ihren fruheren Namen hat der Gro?herzog fallen lassen, weil er ihm und seiner Tochter eine Reihe recht unangenehmer Erinnerungen wachruft – es ist eine hochst interessante Dame. Lord Dudley, der sie im vorigen Jahre in Gerolstein kennen zu lernen die Ehre hatte, entwarf bekanntlich im vorigen Jahre in Wien eine so begeisterte Schilderung von ihr, da? wir ihn alle der Uebertreibung ziehen – aber – wer mir gesagt hatte, Freund! Nein, es ist tatsachlich nicht zu glauben, wie wunderlich doch das Schicksal mit uns Menschen spielt!

Am zweiten Tage, mittags.

Ich war wirklich so ergriffen, da? ich mein Schreiben schon wieder unterbrechen mu?te, Freund ... Ich bilde mir ein, da? Du mein Geheimnis schon witterst und da? ich Dir also kaum noch viel zu sagen haben durfte ... Immerhin will ich Dir getreu in der Reihenfolge, wie die Ereignisse sich vollzogen haben, weiter berichten ..

Also: Das Kloster von Sankt-Hermangild, dessen Aebtissin meine Tante ist, befindet sich in unmittelbarer Nahe von Gerolstein, man hat kaum eine halbe Stunde Wegs bis dahin – und der Park der Abtei reicht eigentlich bis dicht an die Vorstadt von Gerolstein. – Dort hatte mir meine Tante ein sehr schmuckes, vom Kloster selbst vollig abgeschiedenes Haus zur Verfugung gestellt.

Um Tage meiner Ankunft lie? sie mir sagen, es sei am andern Morgen gro?er Empfang und Hoffestlichkeit, bei der der Gro?herzog seine demnachstige Vermahlung mit Frau Marquise von Harville, die mit ihrem Vater, dem Grafen von Orbigny, seit einiger Zeit in seiner Residenz weile, offiziell anzeigen werde.

Von verschiedenen Seiten werde der Furst deshalb getadelt, da es doch nahe gelegen habe, da? er diesmal eine Verbindung mit einem souveranen Hause hatte nachsuchen mussen – denn seine erste Gemahlin, die verstorbene Gro?herzogin, hatte dem bayrischen Konigshause angehort – andere, und zu ihnen gehorte meine Tante, gratulierten ihm, da? er, statt den Lockungen ehrgeiziger Konvenienzrucksichten zu folgen, eine junge liebenswurdige Dame aus einem der altesten Adelsgeschlechter Frankreichs gewahlt habe, da es sich hier doch um eine wahre Liebesheirat handle ...

Da? meine Tante fur den Gro?herzog allzeit die innigste Zuneigung gefuhlt hat, wei?t Du, auch, da? sie seine trefflichen Eigenschaften besser als mancher andere zu schatzen versteht ...

Als ich mit ihr uber die Festlichkeit, der ich am andern Tage beiwohnen sollte, mich unterhielt, sagte sie: »Mein lieber Junge, das merkwurdigste, was dir morgen zu sehen beschieden sein durfte, wird sicher die Perle von Gerolstein sein.«

»Wen verstehen Sie darunter, liebe Tante?«

»Ei, unsre Prinzessin Amalie!« erklarte sie.

»Das gro?herzogliche Tochterlein?« fragte ich lachend; »ei, Lord Dudley hat uns ja bereits in Wien eine so enthusiastische Skizze von ihr gegeben, da? ich wirklich gespannt bin!«

»Mein Junge,« erwiderte die Tante, »in meinem Alter exaltiert man sich nicht mehr so leicht fur jemand,

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