Die Diener des Fursten hatten Schuri an einen Baum gestutzt.
Der ganze Vorgang hatte sich weit schneller abgespielt, als es gedauert hat, ihn zu erzahlen, und zwar wenige Schritte vor dem Wirtshaufe, aus welchem das Skelett mit seinem Anhange gekommen war.
Bleich und tiefbewegt hielt der Furst seine ohnmachtige Tochter umschlungen, wahrend die Postillone sich damit befa?ten, das Geschirr ihrer Pferde wieder in Ordnung zu bringen.
»Geschwind!« befahl der Furst seinen Leuten, »bringt den Unglucklichen ins Gasthaus hinuber. Du aber,« wandte er sich an seinen Kurier, »fahre geschwind nach meinem Palais zuruck und hole David, den Doktor, her. Er wollte erst um elf Uhr wegfahren. Du wirst ihn also noch zu Hause antreffen.«
Kurz nachher fuhr der Wagen im Galopp davon. Die beiden Diener trugen Schuri in den niedrigen Saal, in welchem die Orgien gefeiert worden waren, und wo noch einige von den Weibern sich aufhielten, die daran teilgenommen hatten.
»Armes Kind,« sagte Rudolf zu seiner Tochter, »ich werde dich in eine Stube dort bringen, wo du auf mich, warten magst, denn ich kann den mutigen Mann auf keinen Fall blo? meinen Leuten uberlassen.«
»Ach, mein lieber Vater,« sagte Marie, »lassen Sie mich nicht allein! ich sturbe ja vor Angst... nein, nein! Ich will bei Ihnen bleiben, bei Ihnen! bei Ihnen!«
»Aber was du sehen wirst, wird deine Nerven erschuttern, Kind!«
»Verdanke ich nicht diesem Manne das Leben meines Vaters?« fragte Marie tief erschuttert, »so lassen Sie mich also ihm zusammen mit Ihnen danken und ihn Pflegen und trosten.«
Der Furst befand sich in arger Verlegenheit. Er begriff recht gut, da? es fur sein Kind schlimme Bedenken hatte, allein in einer Stube solches gemeinen Wirtshauses zu verweilen, und so entschlo? er sich zu dem kleineren Uebel und erlaubte ihr, mit in den Saal zu kommen, worin man Schuri gebettet hatte.
Der Wirt war im Verein mit mehreren Magden eifrig um den Verwundeten bemuht, und suchte das Blut zu stillen, das ihm aus der verwundeten Brust rann. Schuri hatte gerade die Augen aufgeschlagen, als Rudolf eintrat. Das todbleiche Gesicht bekam, als seine Augen den Fursten erblickten, jah wieder Leben, und schwach lachelnd, sagte er mit matter Stimme:
»Ach, Herr Rudolf, es war doch wirklich gut, da? ich mit bei der Affare war!«
»Du bist eben mutig und aufopferungsvoll wie immer ... und dabei hast du mich ja schon einmal gerettet!« sagte Rudolf in bewegtem Tone zu ihm.
»Ich wollte – an die Linie von Charenton – gehen, um Sie – vorbeifahren zu sehen; – zum Gluck wurde ich – von dem Gedrange aufgehalten. Uebrigens mu?te mir – das begegnen – ich habe es Martial gesagt; ich ahnte es.«
»Ahntest es? Wirklich?«
»Ja, Herr Rudolf, – der Traum vom Feldwebel, den ich heut nacht wieder gehabt habe –«
»Vergi? das und hoffe; die Wunde wird nicht todlich sein –«
»Ach, das Skelett hat gut gezielt. – Es schadet aber nichts; ja, ich hatte recht, als ich zu Martial sagte, ein Wurm wie ich – konnte auch manchmal einem – gro?en Herrn – wie Ihnen – nutzlich sein – Wir sind nun quitt – Herr Rudolf. – Sie haben mir gesagt, ich hatte ein Herz und Ehre im Leibe, – und diese Worte, sehen Sie – Ach, ich ersticke. – Gnadigster Herr – ohne Ihnen etwas zumuten zu wollen, das Sie nicht tun konnen oder durfen – erweisen Sie mir die Ehre – und reichen Sie mir die Hand; – ich fuhle, da? es – zu Ende geht.«
»Nein, es kann nicht sein – es kann nicht sein!« rief der Furst, indem er sich uber den Schuri-Mann bog und die kalte Hand des Verwundeten druckte, – »nein, du wirst leben, du wirst leben!«
»Herr Rudolf – sehen Sie, – es gibt – da oben – etwas! – ich habe gemordet – durch einen Messerstich und – ich sterbe – durch einen – Messerstich,« sagte Schuri mit immer schwacher werdender Stimme.
In diesem Augenblick fiel sein Blick auf Marienblume, die er noch nicht bemerkt hatte. – Auf seinem Gesicht malte sich Erstaunen, er machte eine Bewegung und sagte:
»Ach – mein – Gott! – die Schalldirne! Die – Schall – dir – ne!«
»Ja, – sie ist meine Tochter! Sie segnet dich dafur, da? du ihr den Vater erhalten!«
»Sie – Ihre Tochter! – das – erinnert mich daran – wie – wir miteinander – bekannt – wurden – Herr Rudolf – und – an die – Faustschlage – aber – dieser Messersto? – ist – auch gut. – Ich habe – das Messer gebraucht – und sterbe durch – ein Messer. – Es ist ganz – recht.«
Noch einmal holte er tief Atem; dann lie? er den Kopf zurucksinken. Er verschied.
Drau?en horte man Pferdegetrappel und Wagengerassel; der Kurier war dem Wagen von Murph und David begegnet, die fruher abgefahren waren, als bestimmt gewesen.
David und der Squire traten in die Stube.
»David,« sagte Rudolf, seine Tranen trocknend und auf Schuri zeigend, »ist keine Hoffnung mehr?«
»Keine, konigliche Hoheit,« sagte der Arzt nach kurzer Untersuchung.
Wahrend dieser Minute hatte eine schreckliche, stumme Szene sich zwischen Marie und der Wirtin vom »wei?en Kaninchen« abgespielt, die Rudolf nicht bemerkt hatte.
Als Schuri halblaut den Namen der Schalldirne ausgesprochen, hatte die Wirtin rasch aufgeschaut und das Madchen erblickt.
Das schreckliche Weib hatte auch bereits Rudolf erkannt: man nannte ihn »gnadigster Herr, konigliche Hoheit«, – und er – er nannte die Schalldirne seine Tochter; – solche Verwandlung ging uber die Begriffe der Frau, die ihr ehemaliges Opfer unverwandt anstierte.
Marie stand bleich und unbeweglich da und schien durch diesen Blick wie festgebannt zu sein.
Der Tod Schuris und das unerwartete Erscheinen der Wirtin, das die Erinnerung an ihr fruheres Leben schmerzlicher als je heraufbeschwor, bedunkte sie eine traurige Vorbedeutung. Sie konnte von diesem Augenblick an eine Ahnung nicht niederkampfen, und Ahnungen haben oft auf Charaktere gleich dem ihrigen einen unabweislichen Einflu?.
Bald nach diesen traurigen Begebnissen hatte Furst Rudolf mit seiner Tochter Paris fur immer verlassen.
Dreizehnter Teil.
Briefwechsel zwischen dem Prinzen Heinrich von Herkausen-Oldenzaal und dem Grafen Maximilian von Kaminietz.
Oldenzaal, am 25. August 1840. Lieber Max! – Eben komme ich von Gerolstein, wo ich ein Vierteljahr Gast beim Gro?herzog und seiner Gesippschaft gewesen bin. Ich rechnete darauf, von Dir ein paar Worte hier zu finden, die mir Deine baldige Ankunft in Oldenzaal melden wurden. Stelle Dir meine Ueberraschung, meinen Verdru? vor, als ich erfahre, da? Du noch wochenlang im Ungarlande festgehalten sein wirst ..
Ich habe Dir seit vier Monaten nicht schreiben konnen, wu?te ich doch bei Deiner abenteuerlichen Weise, zu reisen, niemals recht, wohin ich meine Briefe richten sollte. Dagegen hattest Du mir feierlich versprochen, als wir uns in Wien trennten, am 1. August wieder hier in Oldenzaal zu sein.
Ich mu? also dem Vergnugen, Dich bei mir zu sehen, entsagen; ich hatte gar zu gern mit Dir gesprochen, habe ich Dir doch gewisserma?en mein Herz auszuschutten! Dir, meinem altesten und liebsten Freunde! Denn wenn wir auch beide noch immer junge Leutchen sind, so datiert doch unsre Freundschaft schon seit »Anno Toback«, hatte ich fast hinzugesetzt ... aber seit unserer fruhesten Kindheit, entspricht den Umstanden genauer.
Was soll ich Dir sagen? Seit einem Vierteljahre etwa ist mit mir eine formliche Wandlung vorgegangen, denn ich stehe vor einem jener Momente im menschlichen Leben, die uber ein ganzes Dasein entscheiden ..
Urteile also hiernach, wie sehr mir Deine Ratschlage fehlen, wie sehr ich es vermisse, Dich an meiner Seite zu haben!
Freilich, ich wei? ja, da? Du mir nicht mehr so lange fehlen wirst, wie Du mir eben gefehlt hast; und was Dich auch im Ungarlande zuruckhalten mag, kommen wirst Du ja, Max! Und Du mu?t kommen, ich beschwore Dich, Freund! Brauche ich doch Trost aus Freundesmund, und kann ich doch nicht zu Dir kommen! Nein, nein! Das ginge unter keinen Umstanden! Also, Freund, komm, komm schnell!